Am 26. Mai 2016 veranstaltete die Landesvertretung Nordrhein-Westfalen in Brüssel eine Veranstaltung zur geplanten Schaffung einer „europäischen Säule sozialer Rechte“.

06/2016

Hintergrund ist eine entsprechende Konsultation der Europäischen Kommission, zu der noch bis Ende des Jahres Stellung genommen werden kann. Die Veranstaltung wurde gemeinsam mit einer Reihe anderer in Brüssel vertretener Einrichtungen organisiert, so der Friedrich-Ebert Stiftung, der Diakonie, dem ÖGB (Österreichischer Gewerkschaftsbund), der (österreichischen) Arbeiterkammer Europa, dem DGB und der europäischen Nichtregierungsorganisation Solidar.  

 

Im Laufe der Veranstaltung wurde ein weiteres Mal deutlich, dass es keinesfalls um die Einführung neuer und individuell einklagbarer Ansprüche geht. Die Umsetzung der Säule wird eher im Wege eines „Leistungs-Screenings“ geschehen. Im Laufe der Tagung waren viele kritische, aber auch positive Stimmen zu vernehmen. Immer wieder wurde die Befürchtung geäußert, aus der Initiative könne nur ein „Placebo“ oder eine Art unverbindlicher „Sozial-Knigge“ herauskommen. So genannte „Rechte“ gebe es heute schon zur Genüge; das Problem, so viele Sprecher, sei ihre Implementierung sowie der individuelle Zugang. 

Dies ist der Hintergrund für den von vielen Seiten geäußerten Wunsch, die Elemente der Säule müssten einen höheren Verbindlichkeitsgrad annehmen. Derartige Positionen konnten sich auf das Versprechen der EU-Kommission stützen, man wolle mit Benchmarks und Mindeststandards eine „Konvergenz nach oben“ erzeugen. Eher selten waren dagegen die zur Vorsicht mahnenden Stimmen, die zu Recht auf die Kehrseite von sozialen Rechten, Zielen usw. hinwiesen: die Bedingungen und Konditionen, von denen der Zugang abhängig ist. Durch die Verschärfung dieser Bedingungen könne sich der ursprüngliche Wille, Standards auf dem Weg nach oben anzugleichen, in einen „Fahrstuhl zur Abwärtskonvergenz“ verkehren.  

 

„Wasser in den Wein“ goss auch die Vertreterin des EU-Arbeitgeberverbandes „Business Europe“. Jede „nach oben gerichtete“ Konvergenz setze voraus, dass sie durch Wachstum und Produktivität gedeckt ist. Inhaltlich habe sich die Säule das Ziel zu setzen, die Effektivität von Sozialausgaben zu stärken und diese auf die Ziele Wachstum, Beschäftigung und Arbeitsmarktintegration auszurichten. Mit Mindeststandards habe man keine Probleme. Immerhin stehe den Mitgliedstaaten das Recht zu, höhere Standards zu definieren. 

 

Moderat äußerte sich die Vertreterin der Bundesregierung. Die Säule biete die Chance, den sozialen Acquis voranzubringen. Mindeststandards könne man durch europäische Empfehlungen implementieren, aber auch durch Richtlinien. Dezidiert kritisch kommentierte sie bestimmte von der Kommission vorgestellte Prinzipien zur Rentenpolitik. Die Anbindung des Rentenalters an die steigende Lebenserwartung sei national zu definieren und nicht auf dem Weg eines europäisch vorgegebenen Automatismus. Das gleiche gelte auch für die Frage, ob und wie die Beitragsbemessungsgrundlage verbreitert werden kann.  

Fast durchweg kritisch wurde der Ansatz der Kommission kommentiert, die Einführung der Säule bis auf Weiteres auf die Euro-Zone zu konzentrieren. Es dürfe in wichtigen sozialen Fragen kein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ geben“, so auch die Vertreterin des deutschen BMAS. Die Zurückweisung der engen Adressaten-Auswahl mag denn auch erklären, warum man bei der Frage der Finanzierung höherer Sozialstandards die Einrichtung eines Euro-Zonen-Haushalts nicht einmal zur Sprache brachte. Stattdessen wurde wiederholt auf die Möglichkeit des Einsatzes von EU-Fördermitteln aus verschiedenen bereits heute bestehenden Fonds hingewiesen. 

 

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Auch wenn die EU-Kommission die Säule als Beitrag zu einer „nach oben“ gerichteten sozialen Konvergenz Europas sehen möchte – es blieben Zweifel hinsichtlich der Erreichung dieses Ziels. Ganz allgemein war in der Diskussion der Unterschied zwischen „Rechten“, „Mindeststandards“ und „Benchmarks“ immer wieder Gegenstand von Unklarheiten. Umstritten war denn auch die Frage, an welchen „Vorbildern“ sie sich auszurichten hätten: den schlechtesten (Mindeststandards), den Besten (Benchmarks) oder einem politisch auf europäischer Ebene zu definierenden „angemessenen“ Niveau?  

 

Ab Sommer 2016 plant die EU-Kommission die Durchführung zielgerichteter Anhörungen von Sozialpartnern und Zivilgesellschaft auf Ebene der Mitgliedstaaten. Aber auch das BMAS wird im Rahmen seiner regierungsintern koordinierenden Rolle Konsultationsprozesse z.B. mit Sozialpartnern und Wohlfahrtsverbänden organisieren.