Bewirkt die Italienkrise ein neues Umverteilungszeitalter zu Lasten Deutschlands? Kommen Eurobonds wieder auf die Tagesordnung?

GD – 12/2016

Wie in Italien allgemein erwartet wurde, verlor Matteo Renzi sein ehrgeiziges und auf seine Person zugeschnittenes Referendum über eine tiefgreifende Verfassungsänderung krachend. Wie die britische „Times“ meldete, hielt sich der europäische Börsenschock in Grenzen. Die Kapitalflucht aus dem überschuldeten und kaum produktiven Land hatte demnach – man stellt dies an den sogenannten „target-Werten“ der Zentralbanken fest – schon zuvor eingesetzt und das Resultat vorweggenommen. Renzi sei demnach ein politisches Leichtgewicht, dass seine entscheidende Abstimmung zutiefst mit dem Schicksal seiner politischen Person verknüpfte. Erwartungsgemäß folgte die Volksmehrheit dem als „umtriebig“ geltenden und erkennbar von sich eingenommenen Politiker nicht mehr. Angesichts der Mehrheit des Renzilagers in allen Kammern konnte der Staatspräsident Mattarella mit der in deutschen Medien so betonten „Gelassenheit“ nach Renzis Rücktritt an die Regierungsbildung gehen.  

Wenig überrascht der neue Kandidat und bisherige Außenminister Paolo Gentilono, ein sehr enger Vertrauter des demissionierten Renzi. Die wahren Folgen dieser epochalen Niederlage sind weder in Brüssel noch in Berlin unbekannt. Dennoch möchte man so schnell wie möglich zur Normalität – dem Status quo ante – zurück. Renzi hat viel von sich reden gemacht, jedoch weder die schwache Produktivität Italiens – ein Grundübel – nennenswert verbessert, noch gar die exorbitanten Schulden des Staates reduziert oder den maroder Bankensektor ernsthaft vor Schlimmerem bewahrt. Viele Beobachter – so u.a. der „Daily Telegraph“ bewerten seine Politik als ein Galeriespiel „in Fortsetzung“ der monetären Versuche zur Bewahrung des bisherigen Euromodells. 

Ernst steht es um die Banken Italiens. Mit rund 360 Mrd. EUR faulen Krediten in den Salden (im Krisenjahr 2009 waren dies laut „Handelsblatt“ noch bloß 132 Mrd. EUR) kann schon der Ausfall eines Instituts – etwa der Banca Monta Paschi di Siena (BMP), die bis zum Jahresultimo mindestens 5 Milliarden neues Geld braucht – ausreichen, um das Kartenhaus einstürzen zu lassen. Man wird seitens der amtlichen Euroretter alles unternehmen, um diesen Zustand zu verhindern oder zu verschieben. Dabei spielt die italienische Regierung nach Meinung vieler kaum eine zentrale Rolle, solange sie denn „kooperiert“. Eben hier zeigt das Referendum mögliche Grenzen auf: die Neinsager und Populisten – egal ob von ganz rechts oder ganz links – haben einen beachtlichen Erfolg errungen. Sie wollen Neuwahlen, die das Brüssel-konforme Renzilager möglicherweise entmachten würden. Sie erreichen jedoch im Unterschied zu diesem offenbar eher diejenigen Wähler, die in Italien ein weitgehend sieches Gemeinwesen mit steigenden Schulden, enormer Korruption (laut Handelsblatt sehen 89 Prozent der wahlfähigen Bevölkerung die italienischen Parteien als korruptionsgeneigt an!) und rasant zunehmender Massenverarmung erkennen. Den angebotenen klassischen Rezepten wird offenbar nicht mehr getraut. Der Niedergang der sozialstaatlichen Versorgung würde sich in einer echten Bankenkrise drastisch beschleunigen. Die Hoffnungen einer weiteren Generation verschwänden hinter dem Horizont.  

Für Deutschland bedeutete eine echte Italienkrise ein neues Umverteilungszeitalter. Rasch wären „Eurobonds“ (neue öffentliche Schuldtitel im Namen und zur Haftung von allen oder mehreren Eurostaaten um die ramponierte Bonität der einzelnen Pleiteländer nicht zu belasten), wie schon 2011 von MdEP Martin Schulz gefordert, wieder auf der Tagesordnung. Nach Harmonisierung von Primärlasten im Sozialschutzbereich wird schon vielerorts gerufen. Müsste die BMP „abgewickelt“ werden, so würden Hunderttausende von Kleinsparern kaum ohne massive Verluste ihrer Sparanlagen in Institutsemissionen wegkommen. Strauchelten noch andere Institute, so könnte der ganze Staat dies kaum mehr kompensieren. Die sozialen und politischen Folgen wären dramatisch.