Die Europäische Union arbeitet energisch an einer Digitalisierung aller öffentlichen Verwaltungen der Mitgliedstaaten.

BG/Dr.SW – 10/2017

Der mittlerweile schon Dritte eGovernment-Aktionsplan fordert, dass die öffentlichen Verwaltungen bis 2020 grenzübergreifende, personalisierte und vollständig digitalisierte öffentliche Dienstleistungen für alle Unionsbürger anbieten müssen. In diesem Sinne nutzt auch zur Zeit der „digitale Vorreiter“ Estland sehr effektiv seine Rolle als Ratspräsident. 

Manches scheitert noch an den technischen Voraussetzungen

Für eine solche „Europäische Gigabit-Gesellschaft“ müssen einige wichtige Grundvoraussetzungen vorliegen. Unter anderem muss sichergestellt sein, dass flächendeckend Breitbandverbindungen bestehen, die Hardware für jeden erreichbar ist und die digitalen Kompetenzen vorhanden sind. Hier bestehen allerdings ehebliche Zweifel. 

 

Es spricht – bezogen auf Deutschland – vieles dafür, dass das von der Großen Koalition aus Union und SPD gesetzte Ziel, bis 2018 alle deutschen Haushalte mit Internet-Übertragungsraten von mindestens 50 Megabit pro Sekunde auszustatten, nicht mehr erreicht wird. Blickt man auf Europa, so muss festgestellt werden, dass keineswegs jeder Haushalt über ein internetfähiges Endgerät verfügt oder auf andere Weise Zugang hat. 

Digitale Kompetenzen

Vor allem bei den digitalen Kompetenzen der Bürger liegt vieles im Argen. Aus den Eigenstatistiken der Kommission geht hervor, dass 60 Millionen Unionsbürger das Internet noch nie genutzt haben und 45% der Bevölkerung der EU auch keine dafür ausreichenden digitalen Kompetenzen haben. 

Wird der Bürger zwangsdigitalisiert?

Es stellt sich die dringende Frage, was mit bestimmten Gruppen – etwa Haushalte mit finanziellen Schwierigkeiten, Senioren, die Landbevölkerung und Menschen mit bestimmten Behinderungen – passiert, die diese Fähigkeiten nicht mehr erlernen wollen oder auch können.  

 

Schon heute zwingen staatliche Behörden und Organisationen wie etwa Banken die Bürger zunehmend, ausschließlich elektronisch zu kommunizieren. Der normale Postweg ist verschlossen oder kostet extra. 

 

So wurden z.B. die norwegischen Rentner vom Arbeits- und Wohlfahrtsamt NAV Anfang 2017 mit dem Entscheid überrascht, dass Rentenabrechnungen nur noch elektronisch versandt werden, ungeachtet dessen, ob die Rentner für die elektronische Kommunikation ausgerüstet waren oder nicht. Gegen diese unpopuläre „Zwangsdigitalisierung“ setzten sie sich zu Wehr. Selbst wenn indes diesem Anliegen Rechnung getragen werden sollte, bedeutet das noch nicht das Ende des Ungemachs. Im Fall eines Versands mittels gelber Post droht eine vom Rentner zu tragender Anteil an den Kosten in Höhe von umgerechnet zirka 5,- Euro. 

Beratungen auf EU-Ebene

Auf parteiübergreifende Anfragen mehrerer Mitglieder des Europäischen Parlaments verwies die Kommission auf einschlägige Grundsätze im eGovernment-Aktionsplan. Diese sähen zwar vor, dass öffentliche Stellen Dienstleistungen vorzugsweise digital erbringen sollen. Gleichzeitig sollen sie jedoch auch andere Kanäle offen halten für diejenigen, die digitale Daten nicht nutzen wollen oder können. Die digitalen öffentlichen Dienste sollen dabei so konzipiert sein, dass sie grundsätzlich inklusiv sind und unterschiedlichen Bedürfnissen – etwa denen von älteren Menschen oder Menschen mit Behinderungen – Rechnung tragen.  

 

Mit den Erläuterungen des Europäischen Parlaments und den Inhalten des Aktionsplans sollte deutlich geworden sein, dass es zwar wünschenswert ist, wenn jeder Unionsbürger seine Rechte und Pflichten digital in Anspruch nimmt, dies aber kein „Muss“ darstellen sollte. 

Die parlamentarische Anfrage P-004813-17 und die dazu erteilte Antwort der Europäischen Kommission sind im Internet abrufbar.