Braucht flexibles Arbeiten mehr Regeln?

SW – 08/2020

Zeitlich und räumlich flexibles Arbeiten bietet für viele Vorteile, wie mehr Selbstbestimmung bei der Arbeit und bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Während der Corona Krise hat die Telearbeit es in vielen Bereichen ermöglicht, einen Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten und Mitarbeiter zu beschäftigen. Flexibles Arbeiten birgt aber auch eine Reihe von Gefahren, wie beispielsweise die Entgrenzung von Privat- und Berufsleben und die ständige Erreichbarkeit. Und sie stellt Mitarbeiter und Führungskräfte vor neue Anforderungen. Auch das bereits bekannte Thema eines "Rechts auf Abschalten" erfährt neue Aufmerksamkeit.

Ob es für ein Recht auf Abschalten zusätzlicher gesetzlicher Regelungen bedarf, mit dieser Frage beschäftigt sich derzeit der Ausschuss „Beschäftigung und Soziale Angelegenheiten“ des Europäischen Parlaments. In seinem am 27. Juli 2020 vorgelegten Entwurf eines Berichtes mit Empfehlungen an die Kommission (2019/2181/INL) fordert der Ausschuss eine Richtlinie, um sicherzustellen, dass Arbeitnehmer von ihrem Recht auf Abschalten Gebrauch machen können (Text liegt derzeit nur in Englisch vor). Das Recht der Arbeitnehmer auf Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz sei der Schlüssel zu einem Recht auf Abschalten, um die körperliche und geistige Gesundheit und das Wohlbefinden der Arbeitnehmer zu schützen.

Die neue Richtlinie müsse Lösungen bieten, um die Verantwortlichkeiten der Arbeitgeber und die Erwartungen der Arbeitnehmer hinsichtlich der Organisation ihrer Arbeitszeit beim Einsatz digitaler Arbeitsmittel zu berücksichtigen. Sie solle die Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, die Richtlinie (EU) 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union sowie und die Richtlinie (EU) 2019/1158 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige ergänzen.

Hintergrund

Auch der Wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlaments hat sich in seinem Bericht „The right to disconnect“ mit den Auswirkungen der Zunahme der Telearbeit beschäftigt (Text liegt nur in Englisch vor). Ein Risiko sei die mögliche Arbeitsintensivierung, wenn das Recht der Telearbeiter auf Abschalten nicht ausdrücklich geregelt und uneingeschränkt eingehalten werde. Besorgniserregend sei auch, dass die Überwachung mobiler Geräte von Mitarbeitern es Arbeitgebern ermöglichen könnte, GPS-Tracking-Informationen zu erhalten, mit denen sie Standorte, tägliche Routinen, private Informationen und Gesundheitszustände von Mitarbeitern ermitteln könnten.

Zwar hätten einige EU Mitgliedstaaten im Hinblick auf Telearbeit kürzlich positive Schritte unternommen, um die arbeitsbezogene Nutzung digitaler Kommunikation zu regulieren und Arbeitnehmer zu schützen. Es gebe jedoch derzeit keine EU-Rechtsvorschriften, die sich konkret mit dem Umfang oder Zeitpunkt arbeitsbezogener elektronischer Kommunikation zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern befassen.

Die Arbeitszeitrichtlinie beschäftige sich durch die Festlegung der Arbeitszeit, der maximalen Arbeitszeit sowie der minimalen täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten indirekt mit dem Recht auf Abschalten. Die Artikel 153 und 154 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), die es der EU ermöglichen, Richtlinien zu verabschieden, in denen Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen festgelegt sind, und die Aktivitäten der Mitgliedstaaten in diesem Bereich zu unterstützen und zu ergänzen, könnte auch als Rechtsgrundlage für Regelungen herangezogen werden, die sich direkt mit dem Recht auf Abschalten befassen.

Die Autoren selbst verweisen jedoch auf die Schwierigkeiten, im Hinblick auf Änderungen der Arbeitszeitrichtlinie politisch Einigungen zu erzielen. Als pragmatischen Ansatz schlagen sie eine Richtlinie mit Durchsetzungsbestimmungen zur Arbeitsschutzrichtlinie vor. Eine solche Durchsetzungsrichtlinie könne auf der Grundlage der jüngsten Entwicklungen und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Klarstellungen bei der Messung der Arbeitszeit, der täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten und der Rolle von Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern beinhalten.