Ob Arzneimittel, Ausrüstungsgüter oder Gerätschaften – der Ruf nach mehr Unabhängigkeit Europas von internationalen Märkten stößt in der realen Welt auf Hürden.

UM – 08/2020

Die Corona-Krise hat gezeigt, wie verwundbar der alte Kontinent ist

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich im Rahmen ihrer Ratspräsidentschaft dafür ausgesprochen, die europäische Souveränität bei der Versorgung mit Arzneimitteln, Medizinprodukten, Ausrüstungsgütern und medizinischen Gerätschaften zu stärken. Viel ist in den letzten Monaten die Rede von einer strategischen Unabhängigkeit der Europäischen Union (EU) in Bezug auf wichtige Versorgungsgüter.

Exportverbote werden unterlaufen

Auch der aus Tschechien kommende Abgeordnete Mikuláš Peksa (Grüne/Freie Europäische Allianz) begrüßt, dass sich die EU im Rahmen der COVID-19-Pandemie für eine gemeinsame Beschaffung von Test-Kits und Beatmungsgeräten eingesetzt und ein Exportverbot für medizinisches Gerät an Drittländer ausgesprochen hat. Letzteres unterliege aber der Gefahr, ins Leere zu laufen, da wichtige technische Komponenten wie Druckmesser, Sensoren oder Ventile, die nicht als medizinisches Gerät deklariert wären, exportiert werden könnten.  Wie die Kommission die lebenswichtige Produktion von Beatmungsgeräten zu schützen gedenke, wollte er bereits im April in einer Anfrage an die amtierende Gesundheitskommissarin wissen (Dokument nur in Englisch verfügbar).

Der Teufel steckt im Detail

Die Frage Peksas zeigt: Der Teufel liegt häufig im Detail. Denn die geltenden Rechtsvorschriften für Medizinprodukte erlauben keine Kennzeichnung von Bauteilen als Medizinprodukte, es sei denn, sie haben auch allein für sich genommen einen medizinischen Zweck. Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides musste in ihrer Antwort vom 31. Juli darauf verweisen, dass die Lieferketten für Medizinprodukte häufig global seien (Dokument nur in Englisch verfügbar). In Abhängigkeit von den benötigten Komponenten und dem Herstellungsprozess wären oft mehrere Zwischenschritte notwendig, die sich über verschiedene Mitgliedstaaten, aber auch über Drittländern, erstecken könnten.  

Von Herstellern wird mehr Verständnis für Europas Bedürfnisse erwartet

Es wäre jedoch eine Clearingstelle eingerichtet worden, um einen Überblick über Nachfrage und Angebot an medizinischer Ausrüstung auf EU-Ebene zu schaffen. Diese überwache die Marktsituation und helfe beim Austausch zwischen Herstellern und potenziellen Lieferanten von Komponenten. Bei Beatmungsgeräten verfolge sie Engpässe und führe einen strukturierten Dialog mit den medizinischen Industrieverbänden. Man setze auch auf „ein tieferes Verständnis“ auf der Angebotsseite.

Viele Fragen sind offen

Kyriakides verwies auch auf das geplante EU4Health Programm, mit dem die EU in der Lage sein werde, strategische Vorräte an Medikamenten und medizinischer Ausrüstung aufzubauen. Doch auch hier wird zu entscheiden sein, welche Güter von strategischem Interesse sind und wieviel Geld für sie aufgewendet werden kann? Je konkreter die Fragen werden, umso schwieriger wird es, zu Antworten zu kommen.