Ausnahmen von der Vorabgenehmigungspflicht von Behandlungen im europäischen Ausland dürfen nicht kategorisch ausgeschlossen werden.

UM – 10/2020

Am 23. September hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) zu einer wesentlichen Frage in der praktischen Umsetzung des europäischen Rechts entschieden, die im Zusammenhang mit der Frage der Genehmigungspflichtigkeit einer medizinischen Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnstaat von hoher Relevanz ist. Der EuGH nahm mit seinem Urteil erstmalig zur Genehmigungspraxis im zwischenstaatlichen Recht Stellung. Klare Aussagen traf er auch zur Verwaltungspraxis und zwar hinsichtlich der Entscheidungsfristen.  

Die Vierte Kammer des Gerichtshofs urteilte im Falle eines ungarischen Klägers, der nach zuvor erfolgloser Behandlung in der Heimat im Jahr 2016 nach einer Untersuchung in einem Augenzentrum in Deutschland eine dringliche Operation hatte vornehmen lassen. Andernfalls hätte Erblindung gedroht. Der Antrag auf Kostenerstattung wurde von der ungarischen Krankenkasse abgelehnt. Der Widerspruch wurde zweitinstanzlich von der zuständigen Regierungsbehörde in Budapest mit Verweis auf eine fehlende Vorabgenehmigung ebenfalls abgelehnt. Hiergegen hatte der Betroffene Klage erhoben, weshalb der Fall zur Prüfung dem EuGH vorgelegt wurde.

In einem Vorabentscheidungsersuchen vom 11. Dezember 2018 wurde der Sachverhalt europarechtlich hinsichtlich der Auslegung von Artikel 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung (EG) 883/2004 und Artikel 26 Absatz 1 und 3 der Verordnung (EG) 987/2009 („Koordinierungsverordnungen“) sowie Artikel 8 Absatz 1 und Artikel 9 Absatz 3 der Richtlinie 2011/24/EU („Patientenmobilitätsrichtlinie“) geprüft.

Nun hat der Gerichtshof entschieden, dass die europarechtlichen Regelungen dahingehend auszulegen seien, dass es sich


  • um eine „geplante Behandlung“ gehandelt habe, die zwar grundsätzlich einer Genehmigung des Kostenträgers bedarf, 
     
  • der Kläger aber dennoch einen Anspruch auf Kostenerstattung hat, wenn er außerstande war, eine Genehmigung zu beantragen bzw. die Entscheidung über einen Antrag abzuwarten.
     

Es muss Ausnahmen geben können

Das vorlegende ungarische Gericht müsse hierzu die erforderlichen Feststellungen treffen. AEUV und Patientenmobilitätsrichtlinie stünden aber nationalen Regelungen entgegen, die bei fehlender Vorabgenehmigung eine Kostenerstattung in jedem Fall ausschließen.

Die im ungarischen Recht verankerten Fristen für die Erteilung (31 Tage) und Versagung (23 Tage) einer Vorabgenehmigung hingegen seien nicht zu beanstanden. Damit äußert sich der EuGH erstmalig konkret auch zu den Verwaltungsfristen. Die deutsche Rechts- und Verwaltungspraxis entspricht dem Urteil.