Europa soll eine Vorreiterrolle einnehmen.

SW – 10/2020

Die Corona-Krise hat noch einmal sichtbar gemacht: in einer globalisierten Wirtschaft kann es entlang der Liefer- und Unterauftragsketten zur Verletzung von Menschenrechten, Sozial- und Umweltstandards kommen. Beispiele, wie die teilweise inakzeptablen Lebens- und Arbeitsbedingungen von Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeitern, die häufig in Unterauftragsketten beschäftigt werden, oder die aussichtslose Situation der Näherinnen in der Textilindustrie in Bangladesch, die durch stornierte Aufträge ohne Einkommen und soziale Absicherung zurückblieben, haben das Thema erneut ins Bewusstsein gerückt.

Europäischer Aktionsplan

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat das Thema nachhaltiger Lieferketten auf die Agenda der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gesetzt. Nach Vorstellung des BMAS soll Europa mit einem EU-Aktionsplan „Menschenrechte und gute Arbeit in globalen Lieferketten“ vorangehen, wenn es darum geht, Unternehmensverantwortung in globalen Lieferketten zu stärken, menschenrechtliche, soziale und ökologische Standards sowie Transparenz zu fördern und den Erfahrungen der COVID-19-Pandemie Rechnung zu tragen.

Eine Konferenz am 6. und 7. Oktober 2020 im Rahmen der Ratspräsidentschaft mit Vertreterinnen und Vertretern europäischer Regierungen, der Europäischen Kommission, internationaler Organisationen, Gewerkschaften, Arbeitgeberorganisationen, Unternehmen und Wissenschaft zum Thema „Globale Lieferketten, globale Verantwortung“ sollte Impulse geben, wie ein solcher EU-Aktionsplan gestaltet werden könnte.

Der Rat selbst hatte bereits in seinen Schlussfolgerungen zum hundertjährigen Jubiläum der IAO vom 24. Oktober 2019 die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten angehalten, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um verantwortungsvolles Management in globalen Lieferketten zu unterstützen, und gegenüber Unternehmen deutlich zu kommunizieren, was im Sinne eines verantwortungsvollen unternehmerischen Handelns von ihnen erwartet wird (Text liegt nur in Englisch vor). Ferner sei zu überlegen, ob spezifische Maßnahmen erforderlich seien, wenn diese Erwartungen nicht angemessen erfüllt werden.

Europäisches Sorgfaltspflichtengesetz

Die EU-Kommission beabsichtigt, Anfang kommenden Jahres eine europäische Initiative zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten vorzulegen. Sie möchte nicht nur die Unternehmen, sondern auch die nach ihren Analysen häufig zu sehr auf kurzfristige Anlegerinteressen fokussierten Unternehmensleitungen in die Pflicht nehmen. Um die Belastung für kleine und mittelständische Unternehmen zu verringern, soll ein zur Größe der Unternehmen proportionaler Ansatz verfolgt werden.

Anregungen der verschiedenen Interessenträger möchte die EU-Kommission im Rahmen einer für die zweite Jahreshälfte 2020 angekündigten öffentlichen Konsultation sammeln. Bereits im Juli hat sie eine erste „Folgenabschätzung in der Anfangsphase“ zu einem europäischen Rechtsrahmen für Gesellschaftsrecht und Corporate Governance vorgelegt und Interessierten die Möglichkeit einräumt, hierzu Stellung zu nehmen.

Offen scheint noch die Frage der konkreten Rechtsform der Initiative. Eingebettet in einen möglichen EU-Aktionsplan könnte es sich nach derzeitiger Planung um eine legislative und eine nicht-legislative Initiative, wie zum Beispiel Leitlinien, handeln. In einer Aussprache mit Abgeordneten des Rechtsausschusses des Europäischen Parlamentes am 2. September 2020 hatte sich der zuständige Justiz Kommissar Reynders mit Verweis auf den laufenden Konsultationsprozess hierzu nicht festgelegt.

Initiativen der Mitgliedstaaten

Einige Mitgliedstaaten, so zum Beispiel Frankreich, das Vereinigte Königreich, die Niederlande und Dänemark, haben bereits Regelungen zu Sorgfaltspflichten von Unternehmen erlassen oder planen solche. Als „Vorbild“ für eine Initiative auf europäischer Ebene wird oft das französische „Droit de Vigilance“ genannt. Durch das Gesetz wurden bestehende Berichterstattungspflichten des französischen Handelsgesetzbuches um Berichterstattungspflichten nichtfinanzieller Natur ergänzt.

Aktiengesellschaften mit 5.000 Beschäftigten in Frankreich oder 10.000 Beschäftigten weltweit werden verpflichtet, einen sogenannten „Sorgfaltsplan“ zu erstellen und anzuwenden. Der Plan muss Maßnahmen enthalten, die geeignet sind, Gefahren von Menschenrechtsverletzungen, Umweltschäden und Gesundheitsgefahren, die durch Aktivitäten des Unternehmens selbst entstehen, zu identifizieren und ihnen vorzubeugen. Gleiches gilt für Aktivitäten eines von ihm kontrollierten Unternehmens sowie seiner Subunternehmer und Zulieferer, auf die es bestimmenden Einfluss hat. Der Plan ist in den jährlichen Geschäftsbericht aufzunehmen und zu veröffentlichen. Die Einhaltung der Verpflichtungen ist mit einem Bußgeld bis zu 10 Millionen Euro bewehrt.