Blick in Zukunft – bis 2070

Dr. S-W – 05/2021

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat die Europäische Kommission im Mai routinemäßig den „2021 Ageing Report“ veröffentlicht. Er enthält Projektionen der altersbedingten öffentlichen Ausgaben bis zum Jahr 2070. Das inzwischen fast 400 Seiten umfassende Werk – zuzüglich über 200 Seiten Methodendarstellung – ist nur auf Englisch zugänglich. Wer sich dem Werk widmet, muss sich auf viele „Zahlen“ einlassen. Beobachtet werden vier Ausgabenblöcke: Renten, Gesundheit, Langzeitpflege und Erziehung/Ausbildung. Dabei werden jeweils mehrere Szenarien zugrunde gelegt: ein Basis-Szenario, welches davon ausgeht, dass die gegenwärtigen Regeln unverändert bleiben, und eine Vielzahl von alternativen Szenarien und Sensitivitäts-Tests.

Der Bericht geht davon aus, dass die Bevölkerung Europas bis zum Jahr 2021 um fünf Prozent schrumpfen wird. Aber auch der Bevölkerungsaufbau wird sich ändern. So werde der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (20-64) von 265 Millionen auf 217 Millionen abnehmen. Das bedeute – trotz des erwarteten Anstiegs der Erwerbsbeteiligungsquote - ein Sinken des Arbeitsangebots um 15,5%. Der Anstieg der Beteiligungsquote erklärt sich unter anderem mit einem Fallen der Arbeitslosenquote von 6,8% auf 5,8%.

Gleichzeitig erhöht sich die Lebenserwartung für Männer um 7,4 Jahre und für Frauen um 6,1 Jahre, was auf eine gewisse Annäherung hinauslaufen würde. Die so genannte „Altersabhängigkeitsrate“ werde sich im Projektionszeitraum um fast 25 Prozentpunkte erhöhen. Diese Rate beschreibt das Verhältnis der über 65-jährigen zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Das bedeute im Klartext: Während heute ca. drei Personen im aktiven Alter auf eine Person über 65 kämen, seien es im Jahr 2070 nur noch zwei.  

Es sei dabei zu berücksichtigen, dass die vergangenen Rentenreformen das Rentenalter teilweise deutlich angehoben hätten und damit auch die Erwerbsbeteiligung der Älteren zunehme, und zwar um 10 Prozentpunkte in der Altersgruppe 55-64 – vor allem zurückzuführen auf eine höhere Erwerbsbeteiligung der Frauen. Alles in allem werde die Beteiligungsrate dieser Altersgruppe von 78,4% auf 80,7% steigen.

Was bedeutet das für die Entwicklung der Demographie-bedingten Haushaltsausgaben? Alle vier Ausgabenfelder zusammengenommen würden nach dem Ageing-Report die altersbedingten Kosten im Ausgangs-Szenario von heute  24% des BIP auf 25,9% erhöhen. Hierbei weisen die Mitgliedstaaten allerdings erhebliche Variationen auf. Deutschland gehört zu den 15 Ländern, in denen der Anstieg am signifikantesten ist.

Aufschlussreich ist die Aufschlüsselung des Anstiegs nach den einzelnen Posten. Im Ausgangsszenario sind „Haupttreiber“ die Ausgaben für Gesundheit und Langzeitpflege (2 Prozentpunkte), während der Beitrag der Rentenkosten nach einem vorübergehenden Anstieg wieder auf das Niveau des Ausgangsjahres zurückfallen soll. Die Ausgaben für Erziehung und Bildung sollen dagegen leicht sinken. Die langfristige Stabilität des Anteils der Rentenausgaben wird allerdings hart erkauft – unter anderem durch einen substanziellen Rückgang der Lohnersatzrate um ca. 10 Prozentpunkte in fast allen Mitgliedstaaten. Und noch ist nicht sicher, ob alle Mitgliedstaaten an ihren Reformen festhalten.

Im Fall Deutschlands stellt sich die Zusammensetzung der „Kostentreiber“ etwas anders dar. Den Hauptanteil machen mit 2,1 Prozentpunkten die Renten aus, während die Kosten für Gesundheit und Langzeitpflege nur mit einem Zuwachs von 0,6 Prozentpunkten zu Buche schlagen. 

So weit das Standard/Ausgangs-Szenario. Von den Risiko-Szenarien ist eines besonders hervorzuheben. Es berücksichtigt mögliche kostentreibende Faktoren im Gesundheits- und Langzeitpflegesektor, und zwar solche, die nichts mit dem demographischen Wandel zu tun haben. Derartige Faktoren können den Anstieg auf bis zu fünf Prozentpunkte erhöhen – anstatt der ca. zwei Prozentpunkte im Ausgangsszenario.

Dies alles ist nur ein erster grober Überblick. Der Ageing Report blickt nicht nur tief in die Zukunft, sondern liefert auch anhand zahlreicher Indikatoren Einblicke in die aktuelle biographische, soziale und wirtschaftliche Lage der Mitgliedstaaten.