Europa ist die Zukunft und die liegt in unseren Händen

MK – 09/2022

Die Europa-Rede von Olaf Scholz fand am 29. August an der Karls-Universität in Prag statt. Und dies aus gutem Grund. Die Stadt gehörte früher zum Ostblock und war Schauplatz des Prager Frühlings. In seiner Rede verweist Scholz auf das fast 700-jährige Erbe der Universität und sieht diese eng mit der Geschichte Europas verknüpft. 

Reformen für Europa

Auf die Rede des französischen Präsidenten Emmanuel Macrons in der Sorbonne vor fünf Jahren, in der er bereits Reformvorschläge für die EU vorbringt, wurde damals nicht seitens der deutschen Politik eingegangen. Nun ergreift Scholz die Gelegenheit – zumindest indirekt – an diese Vorschläge anzuknüpfen und sie mit seinen Zukunftsvorstellungen Europas zu erweitern. Aufgrund der „Zeitenwende“ mit Blick auf den Angriffskrieg in der Ukraine, strebt er Reformen in der EU an, die er nicht als „fertige deutsche Lösungen“ vorstellt, sondern in vier Ideenansätze unterteilt.

Erste Idee: Osterweiterung der EU

Der erste Gedankengang von Scholz befasst sich mit der Erweiterung des östlichen Teils der EU. Darunter fallen die westlichen Balkanstaaten, Ukraine, Moldau und perspektivisch auch Georgien. Die EU würde somit von 27 auf 36 Mitgliedstaaten wachsen. Damit die EU trotz einer hohen Zahl an Mitgliedstaaten dennoch handlungsfähig bleibt, strebt Scholz eine Reform an. Er sieht insbesondere als Problem an, dass Länder wichtige Entscheidungen durch das Einstimmigkeitsprinzip mit einem Veto blockieren können. Als Lösung bietet er das Mehrheitsprinzip an. Zudem soll die Anzahl der Abgeordneten im Europäischen Parlament nicht weiter wachsen, wenn neue Mitgliedstaaten aufgenommen werden.

Zweite Idee: europäische Souveränität

Europäische Souveränität bedeutet nach Scholz die Verantwortung für die eigene Sicherheit zu übernehmen und eine enge Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten, um gemeinsame Werte und Interessen weltweit zu vertreten. Hierfür stellt er sich ein „strategisches Update des Binnenmarktes“ vor. Die EU solle Vorreiter bei Schlüsseltechnologien werden, etwa in Sachen Mobilität, Energie, Raumfahrt und Verteidigung. Eine gemeinsame Zusammenarbeit sieht er weiterhin in der Beschaffung und Herstellung von Rüstungsprojekten. Zudem benötige die EU – gerade vor dem Hintergrund des Angriffskrieges in der Ukraine – einen eigenständigen Rat der Verteidigungsministerinnen und -minister.

Dritte Idee: Konflikte überwinden, neue Lösungen finden

Scholz möchte, dass festgefahrene Konflikte in der EU gelöst werden. Als Beispiel zählt er die Migrationspolitik auf. Diese möchte er vorausschauend gestalten. Darunter stellt Scholz sich vor, illegale Migration zu verhindern und dafür legale Migration zu ermöglichen. Hierzu wünscht sich Scholz mehr verbindliche Partnerschaften mit Herkunfts- und Transitstaaten. Weiterhin setzt er auf einen wirksamen Grenzschutz, der den rechtstaatlichen Standards gerecht wird. Abschließend will er ein solidarisches und krisenfestes Asylsystem, in dem legalen Migranten eine frühe Möglichkeit der Arbeitsaufnahme geboten wird. So führt nach Scholz die Freizügigkeit auch nicht zur Überlastung der Sozialsysteme. 

Vierte Idee: Keine Toleranz für Werteverletzung

Demokratische Werte sind grundlegend in der EU und garantieren ihr Fortbestehen. Verletzungen rechtstaatlicher Prinzipien werden nicht toleriert, so Scholz. Eine große Mehrheit von Bürgerinnen und Bürgern wünscht sich ein stärkeres Engagement für Freiheit und Demokratie in ihren Mitgliedstaaten. Scholz legt dementsprechend Wert auf konsequente Sanktionen für Verstöße. Auch Zahlungen der EU sollten an die Rechtsstaatlichkeit geknüpft sein.

Inwieweit die Reformpläne aufgegriffen werden, ist derzeit nicht absehbar. Der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala hat derzeit die Ratspräsidentschaft inne und könnte das Thema auf die politische Agenda in Brüssel setzen. Er äußerte sich jedoch zurückhaltend zu den Ideen des deutschen Bundeskanzlers.