Langfristiger Rückgang der Geburtenrate in den Industriestaaten
Familienpolitik allein kann demografische Herausforderungen nicht bewältigen.
VS – 07/2024
Der alle
zwei Jahre erscheinende OECD-Überblick
über Sozialindikatoren befasst sich in der aktuellen Ausgabe für das Jahr
2024 mit der Entwicklung der Geburtenrate in den Industriestaaten. Danach ist
für die OECD-Staaten ein langfristiger Rückgang der Geburtenziffer zu
verzeichnen. Dieser wurde lediglich in den 2000er Jahren vorübergehend
gestoppt. Seit der Wirtschafts- und Finanzkrise ist die Geburtenrate wieder
rückläufig. Dabei zeigt sich laut OECD, dass familienpolitische Maßnahmen und
eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht ausreichen, um die
demografischen Herausforderungen zu meistern.
Fallende Geburtenraten
Seit
den 1960er Jahren verzeichnen die OECD-Länder einen stetigen Trend fallender
Geburtenraten. So ist der OECD-Durchschnitt von 3,3 Kindern pro Frau im Jahr
1960 auf 1,5 Kinder pro Frau in den Jahren 2021/2022 zurückgegangen und liegt damit deutlich
unter der für ein stabiles Bevölkerungsniveau benötigten Rate von 2,1 Kindern
pro Frau. In Deutschland sank der Wert von 2,4 auf knapp 1,5 Kinder pro Frau. Die
niedrigsten Geburtenraten im OECD-Raum verzeichneten Italien und Spanien mit
1,2 Kindern pro Frau sowie insbesondere Korea, wo sich die zusammengefasste
Geburtenziffer 2023 laut Schätzungen auf nur 0,7 Kinder pro Frau belief.
Anteil kinderloser Frauen steigt
Der
Rückgang der Geburtenrate hängt damit zusammen, dass Frauen weniger oder gar
keine Kinder haben. Die Kinderlosigkeit hat in der gesamten OECD zugenommen,
aber es gibt länderspezifische Unterschiede in Bezug auf Zeitpunkt und Ausmaß.
Der Anteil der kinderlosen Frauen im Geburtsjahrgang 1975 beträgt in Italien 23
Prozent, in Spanien 24 Prozent und in Japan 28 Prozent und ist in allen drei
Ländern um über zehn Prozentpunkte gegenüber dem Geburtsjahrgang 1955
angestiegen. In Ländern wie den Niederlanden oder den Vereinigten Staaten lässt
sich ein deutlicher Anstieg zwischen den Geburtsjahrgängen 1935 und 1955
beobachten. In Deutschland stieg die Kinderlosigkeit von 16 Prozent bei den
1955 geborenen Frauen auf 20 Prozent bei den 1975 geborenen.
Frauen werden deutlich später Mutter
Der
Rückgang der zusammengefassten Geburtenziffer geht einher mit einem Anstieg des
Alters, in dem Mütter ihr erstes Kind bekommen. So ist das mittlere Alter von
Müttern bei ihrer ersten Geburt von 28,5 Jahren im Jahr 2000 auf 30,8 Jahre im
Jahr 2022 angestiegen. Für Deutschland wird ein Anstieg von 28,8 Jahren auf
31,5 Jahre beobachtet. Im OECD-Vergleich verzeichnet Korea mit über 33 Jahren
das höchste mittlere Alter bei der ersten Geburt, gefolgt von Irland, Spanien,
Luxemburg, Italien, Schweiz, Japan und Griechenland mit einem mittleren Alter
von über 32 Jahren.
Kinderbetreuung und Familienleistungen
In den
vergangenen Jahren hat sich Politik in allen OECD-Staaten auf die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf konzentriert. Dies erklärt, warum die Beschäftigungsquote
von Frauen heute im Gegensatz zu früher positiv mit der Elternschaft verbunden
ist. Länder wie Dänemark, Frankreich, Norwegen, Ungarn und Schweden geben
für Familienleistungen und frühkindliche Bildung und Betreuung etwa drei Prozent
des Bruttoinlandsprodukts oder mehr aus. Dies hat laut OECD einen signifikanten
Einfluss auf die Teilhabechancen von Kindern und die soziale Lage von Familien
insgesamt. Jedoch liegen in diesen Ländern mit Ausnahme von Frankreich die
zusammengefasste Geburtenziffer auf der Höhe des OECD-Durchschnitts von 1,5
Kindern pro Frau. Anhand von arbeits- und familienpolitischen Maßnahmen lassen
sich daher keine Schlüsse für den Rückgang der Geburtenziffer und die
länderübergreifenden Unterschiede ziehen.
Demografische Herausforderungen nicht über Familienpolitik lösbar
Aus
Sicht der OECD ist es ratsam zu überlegen, wie die allgemeine Politik an eine
"Zukunft mit niedriger Fertilität" angepasst werden kann. Denn jede
Erhöhung der Geburtenziffern heute würde sich erst in 20 Jahren in einer Steigerung
des Anteils der Menschen im erwerbsfähigen Alter niederschlagen. Nach der OECD
sollten solche politischen Maßnahmen, die über die Familienpolitik hinausgehen,
die Zuwanderung einbeziehen, die Erwerbsbeteiligung heute unterrepräsentierter
Gruppen adressieren und auf Maßnahmen zur Steigerung der Erwerbsproduktivität
abstellen, um die wirtschaftlichen und fiskalischen Auswirkungen einer
potenziell schrumpfenden Erwerbsbevölkerung zu mildern.