Warum es eine fünfte Freiheit für einen neuen Binnenmarkt braucht.

VS – 01/2025

Der Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL) des Europäischen Parlaments hat sich zu Beginn des neuen Jahres mit Enrico Letta, dem ehemaligen Premierminister Italiens, über die soziale Dimension seines Berichts „Much more than a market“ ausgetauscht. Der Bericht wurde im Auftrag der Europäischen Kommission von Letta verfasst. Darin wird die entscheidende Bedeutung des Binnenmarkts für die Bewältigung der großen Probleme Europas betont. Letta plädiert aus politischer, wirtschaftlicher und sozialer Sicht für dessen Vertiefung und Erweiterung. Der Schwerpunkt seiner Vorschläge liegt auf der Unterstützung des dreifachen Übergangs: fair, digital und grün. In der Ausschusssitzung hat er besonders eindringlich für eine starke soziale Dimension im Binnenmarkt geworben, die mit den Werten der europäischen Säule sozialer Rechte im Einklang steht. Darüber hinaus sprach er sich für die Einführung einer fünften Freiheit zur Definition des Europäischen Binnenmarktes aus.

Bedeutung des sozialen Zusammenhalts

Der Letta-Bericht plädiert für eine stärkere Integration der sozialen Dimension in die EU-Politik, um die Legitimation der EU zu stärken und die sozialen und wirtschaftlichen Ziele miteinander in Einklang zu bringen. So wird im Bericht die Bedeutung des sozialen Zusammenhalts und der Sozialversicherung betont. Dabei hebt er die zentrale Rolle von einem effektiven sozialen Schutzsystem hervor. Soziale Investitionen werden dabei als ebenso wichtig wie Investitionen in Forschung, Entwicklung und Infrastruktur betrachtet. Das Gleiche gilt für den Arbeitsschutz. Der Letta Bericht plädiert für eine Stärkung der Europäischen Arbeitsbehörde ELA sowie eine Weiterentwicklung der Strategien für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz.

Fairer, grüner und digitaler Wandel

Der Schwerpunkt der Vorschläge Lettas liegt auf der Gestaltung der europäischen Zukunft als fair, digital und grün. Der Bericht unterstreicht die Notwendigkeit eines integrativen Ansatzes, bei dem soziale, ökologische und technologische Ziele miteinander verknüpft werden, um nachhaltiges Wachstum und soziale Gerechtigkeit zu sichern. Die Strukturen des Binnenmarktes müssen hierzu angepasst werden, damit die Innovationskraft Europas gestärkt und neben der öffentlichen Hand genügend privates Kapital für die notwendigen Investitionen mobilisiert werden kann. Zu diesen Investitionen zählt Letta insbesondere auch in Bildung, Weiterbildung und Investitionen in die Arbeitsfähigkeit und Gesundheit der Menschen.

Die fünfte Freiheit

In der Diskussion betonte Letta, dass zur Bewältigung der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen die vier Freiheiten, auf denen der europäische Binnenmarkt beruht, nicht mehr ausreichen. Die bestehenden vier Freiheiten – den freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital – sollten um eine fünfte Freiheit für Forschung, Innovation und Bildung ergänzt werden.

Damit nimmt Letta Bezug auf den ehemaligen Präsidenten der Europäische Kommission, Jacques Delors. Dieser hatte bereits Überlegungen für eine fünfte Freiheit für Forschung, Innovation und Bildung angestellt. Letta hob in seinen Ausführungen hervor, dass der auf den vier Freiheiten beruhende europäische Binnenmarkt im Wesentlichen auf theoretischen Grundsätzen des 20. Jahrhunderts beruhe. Die Unterscheidung zwischen Waren und Dienstleistungen verschwimme jedoch zunehmend, und die immateriellen Aspekte der digitalen Wirtschaft sowie die Chancen und Risiken im Zusammenhang mit der Kreislaufwirtschaft werden nicht erfasst. Europa müsse sich Strukturen geben, so Letta, damit geistiges Eigentum geschützt und gleichzeitig diese Vermögenswerte in Innovation und florierende Industrien umgewandelt werden könne. Daher bedürfe es einer neuen fünften Freiheit für Forschung, Innovation und Bildung.