Unter dem Titel „Erfolg durch Verantwortung“ veröffentlicht der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Präsident des RWI-Leibniz Institutes für Wirtschaftsforschung in Essen, Prof. Christoph M. Schmidt, seine Gedanken für eine geistige und faktische Neuaufstellung des EU-Modells.

GD – 12/2016

Im Zentrum steht die Überlegung, dass sich die Entscheidungen für ein Mehr an Wettbewerb durch „Globalisierung“, d.h. den Abbau von Schutzräumen und Marktzugangsbarrieren, unter dem Strich durchaus gelohnt hätten. Nur so konnte eine höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit überhaupt erreicht werden. Auch wenn der EU-Binnenmarkt – nicht nur aus deutscher Sicht, jedoch aus dieser mit Gewissheit – ein Erfolgsmodell war, sammeln sich heute aller Orten die Gegner. Wie Schmidt ausführt, gäbe es einen goldenen Mittelweg zwischen nationaler Abschottung verbunden mit wirtschaftlichem Niedergang einerseits und altruistischer Selbstaufopferung der (wenigen) verbliebenen ökonomischen Leistungsträger in der EU-Staatengemeinschaft andererseits.  

Schmidt plädiert für eine neue Verantwortungsteilung zwischen „Brüssel“ – idealiter zuständig für die Ziele mit gemeinsamen Ansätzen besser zu erreichen sind, etwa Außen- und Verteidigungspolitik, Terrorismusbekämpfung, Asylzugang, Klimapolitik und Finanzaufsicht. In anderen Bereichen – er benennt die Fiskalpolitik, die Arbeitsmarktspolitik und die Sozialpolitik – sei stärkerer Verantwortungs- und Gestaltungswille der Mitgliedstaaten gefragt. So gelänge es den Mitgliedstaaten, die „Präferenzen ihrer Wählerschaften“ hinreichend auf subsidiärer Ebene zu berücksichtigen und die EU aus der Zuständigkeit für nationale Angelegenheiten deutlich sichtbar zu entlassen.  

Schmidt unterstreicht die Notwendigkeit eines funktionierenden EU-Europas unter Beibehaltung relevanter Nationalstaaten. Dazu bedarf es erheblicher Wiederherstellungsbemühungen, die nach Lage der Dinge und Meinung vieler Kenner der Brüsseler Szene, einer inhaltlichen und wohl auch personellen Neuausrichtung des Brüsseler Apparates. Gegenwärtig wurstele man sich weiter so durch und würde, so u.a. die schwedische „Dagens Industri“, bei der Reparatur alter Schäden die neuen gleich mit anrichten. Beobachter meinen, dass man auf klaren Kurs ebenso verzichte, wie man auf inhaltsleere Verheissungspolitiken im weitgehend kostenneutralen Vorfeld der „substantiell erweiterten Ankündigung eines Veränderungsgeschehens“ setze.  

Die endlosen Diskussionen um die „Europäische Säule sozialer Rechte“ liefere hierfür ein anschauliches Beispiel. Zeitgleich zum de facto Zusammenbruch der Leistungsspektren existierender nationaler Sozialsysteme verwendet man Kraft, Zeit, Worte und Mühe um über vorwiegend juristische Erweiterungsmöglichkeiten dergestalt nachzudenken, dass sich die Papierform sozialrechtlicher Versorgungswelten künftig „noch“ weiter verbessere. Würde man die tatsächlich vor Ort in vielen EU-Sozialwelten noch angesichts der staatlichen Überschuldung erlangbaren Leistungselemente dabei wenigstens noch vermelden, so fiele auf, dass vieles sozialrechtlich bereits heute Versprochene aus sozialen Kassen längst ökonomisch unerreichbar geworden ist, Gesetz hin oder her. Dies könnte darauf hindeuten, dass es die EU für nützlich hält, in Zeiten sozialer Katastrophen an vielen Orten, Erbauungsbotschaften für die fernere, jedoch sehr unbestimmte Zukunft zu verbreiten. Ob das der Bürgerenttäuschung und EU-Verdrossenheit wirklich abhilft?