Mit dem Vertrag von Lissabon haben die Mitgliedstaaten die Kompetenz zum Abschluss von Freihandelsabkommen der EU übertragen. Müssen die nationalen Parlamente trotzdem in den Ratifizierungsprozess eingebunden werden?

IW – 12/2016

Mit dieser Frage müssen sich derzeit die Richter des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg mit Blick auf das zwischen der Europäischen Union (EU) und Singapur (EUSFTA) abgeschlossenen Freihandelsabkommen beschäftigen. Im Oktober 2014 hatten die Vertragspartner die Verhandlungen für EUSFTA beendet und durch Regelungen zum Investitionsschutz im Mai 2015 ergänzt. Das Abkommen soll - ähnlich wie CETA, TTIP und TiSA - die europäische Wirtschaft und das Beschäftigungswachstum im EU-Binnenmarkt stärken.  

 

Generell müssen Freihandelsabkommen, die von der EU für die Mitgliedstaaten verhandelt werden, nach deren Abschluss vom Ministerrat sowie vom Europäischen Parlament gebilligt werden. Die Europäische Kommission möchte diesen Weg auch zur Ratifzierung von EUSFTA einschlagen. 

 

Zahlreiche Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, sehen dies jedoch anders. Sie betrachten EUSFTA als eine gemischtes Abkommen, weil für bestimmte in dem Vertrag enthaltene Teile eine gemischte Zuständigkeit der EU und der Mitgliedstaaten und zum Teil sogar eine ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten bestehe. Deswegen hätten die nationalen Parlamente ein Mitspracherecht und müssten in den Ratifzierungsprozess eingebunden werden. 

 

Die Europäische Kommission hingegen teilt diese Auffassung nicht und hat deswegen im Frühjahr 2016 den Europäischen Gerichtshof gebeten, EUSFTA auf seine Rechtsnatur hin zu überprüfen. Denn die Frage der Beteiligung der nationalen Parlamente im Rahmen der Ratifizierung eines von der EU abgeschlossenen Freihandelsabkommens stellt sich nicht nur bei EUSFTA, sondern auch bei anderen Verträgen, wie zum Beispiel CETA, einem Abkommen, dass die EU mit Kanada abgeschlossen hat.  

EU-Singapur Abkommen: Votum der Generalanwältin

Generalanwältin Sharpston hat am 21. Dezember 2016 zu dem Gutachtenantrag ihre Schlussanträge vorgelegt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass das Freihandelsabkommen mit Singapur nur von der EU und ihren Mitgliedstaaten gemeinsam abgeschlossen werden kann. Zwar fielen einige in dem Abkommenstext aufgeführte Bereiche in die ausschließliche Zuständigkeit der EU. Eine Reihe von Vertragsteilen wie zum Beispiel Bestimmungen mit grundlegenden Arbeitsnormen, die zum Bereich der Sozialpolitik gehörten, fielen jedoch nicht in die Zuständigkeit Brüssels und bedürften deswegen einer ausdrücklichen Bestätigung der nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten. Eine gemischte Zuständigkeit der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten sei deswegen begründet, auch wenn die Ratifzierung von Freihandelsabkommen dann erschwert werden würde.  

 

Damit widerspricht die Generalanwältin der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament. Die Mehrheit der Abgeordneten hatten sich der Auffassung der Brüsseler Behörde grundsätzlich angeschlossen.  

Richtungsweisender Präzedenzfall

Es bleibt abzuwarten, ob die Richter des Europäischen Gerichtshofs dem Votum von Generalanwältin Sharpston folgen werden. Mit einer Entscheidung ist Mitte 2017 zu rechnen.  

 

Das noch ausstehende Urteil des Europäischen Gerichtshofs gilt als richtungsweisend für die Ratifzierung von EU-Freihandelsverträgen wie CETA, TTIP und TiSA, da sich hier ähnliche Fragen stellen. Zwar hat die Europäische Kommission das mit Kanada abgeschlossene Freihandels- und Investitionsschutzabkommen (CETA) mit Blick auf den Ratifzierungsprozess dem Ministerrat im Sommer 2016 als gemischtes Abkommen vorgelegt. Ihre Auffassung zur Frage der Rechtsnatur des Abkommens hat die Brüsseler Behörde damit jedoch ausdrücklich nicht in Frage gestellt. Vielmehr geht sie weiterhin davon, dass CETA juristisch ausschließlich in die Kompetenz der EU fällt und damit ein reines EU-Abkommen ist. Sie hat den Weg für eine Ratifzierung als gemischtes Abkommen aus politischen Gründen gewählt, und hofft zudem, dass der Vertrag dadurch auch in den einzelnen Mitgliedstaaten stärker akzeptiert wird.  

Neue Generation von Freihandelsabkommen

Mit der neuen Generation von Freihandelsabkommen (WTO-Plus Abkommen) ist das öffentliche Interesse an den Verhandlungen zum Abschluss entsprechender Verträge wie TTIP, CETA oder TiSA enorm gestiegen. Grund ist, dass diese Abkommen breit und umfassend angelegt sind und deswegen in einem bisher nicht bekannten Umfang verschiedensten Lebensbereiche berühren könnten.  

 

Die deutsche Sozialversicherung hat die Entwicklungen und Verhandlungen beobachtet und begleitet. Auch wenn die soziale Sicherheit beim Abschluss von Wirtschafts- und Investitionsschutzabkommen nicht im Mittelpunkt stehen, könnten sich Maßnahmen, die den Handel erleichtern, auch auf die soziale Sicherheit auswirken. 

 

Siehe hierzu:  

http://dsv-europa.de/de/news/2016/10/ceta-abkommen-unterzeichnet.html 

oder die Statements der Vertreter der drei Spitzenorganisationen der deutschen Sozialversicherung zu TiSA:  

http://www.dguv.de/medien/inhalt/presse/dguv-kompakt/2015/20151014_dguv_kompakt_2015_08_oktober_deutsch_screen.pdf