Geschichte der Sozialversicherung
Meilensteine in Deutschland und der EU
Bismarck’sche Sozialgesetzgebung
Als Otto von Bismarck vor 140 Jahren den
Grundstein für die Sozialgesetzgebung in Deutschland gelegt hat, dachte er wohl
nicht daran, dass sein „Kind“, die deutsche Sozialversicherung, einmal in der
Hauptstadt Europas Flagge zeigen würde.
Gründung der Krankenversicherung
Mit
dem „Gesetz betreffend der Krankenversicherung der Arbeiter" wird eine
gesetzliche Krankenversicherung, zunächst nur für Industriearbeiter und
Beschäftigte in Handwerks- und Gewerbebetrieben, eingeführt. Im Zentrum steht
die Vermeidung von existenzieller Not bei Arbeitsunfähigkeit.
Geburtsstunde der Unfallversicherung
Mit
dem Unfallversicherungsgesetz erfolgt die erstmalige Absicherung von Arbeiterinnen und Arbeitern
und gering verdienenden Betriebsbeamten in bestimmten Industriebereichen wie
Bergwerken, Eisenhütten oder dem Baugewerbe gegen Arbeitsunfälle. In einem
zweiten Schritt folgt die Versicherung gegen Berufskrankheiten.
Die Alterssicherung
Mit
dem Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Alterssicherung der Arbeiter wird
der Vorläufer der Rentenversicherung geschaffen. Eine Absicherung konnten auch
sehr gering verdienende Angestellte bekommen. Für gering verdienende
Selbständige wurde die Möglichkeit der freiwilligen Absicherung geschaffen.
Sozialpolitik in der EWG
In den römischen Verträgen zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) werden sozial- und gesundheitspolitische
Fragestellungen erstmals angelegt. Dennoch wird lange gesagt, Europa habe eine
„sozialpolitische Schlagseite“. Denn die europäische Sozialpolitik hat sich von
Beginn an in enger Verbindung mit der Freizügigkeit der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer entwickelt. Mit Vorfahrt für die Wirtschaftspolitik. Seinen
vorläufigen Höhepunkt fand dies in den 90er Jahren mit der Wirtschafts- und
Währungsunion und dem Binnenmarkt.
Koordinierungsrecht, Gesundheitsschutz, Arbeitssicherheit
Auf
der Basis des Abkommens zum Schutz der Wanderarbeitnehmer in der Gemeinschaft
von 1957 folgen ein Jahr später die Verordnung (EWG) Nr. 3 und ihre
Durchführungsverordnung (EWG) Nr. 4. Sie bilden die ersten beiden
materiell-rechtlichen Regelungen des „europäischen Sozialrechts“. Ihr werden
weitere folgen, denn das Koordinierungsrecht wird kontinuierlich
weiterentwickelt. Die Europäische Kommission bekommt das Recht, die Forschung
und Kooperation der Mitgliedstaaten beim Gesundheitsschutz und bei der
Arbeitssicherheit zu unterstützen.
Neufassung des Koordinierungsrechts
Mit
der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen
Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft
zu- und abwandern, werden die verschiedenen Systeme der sozialen Sicherheit der
Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums sowie der Schweiz koordiniert.
Sie hat für den Alltag der Unionsbürgerinnen und -bürger eine erhebliche Bedeutung und bildet die Grundlage für die Einführung
der Europäischen Krankenversicherungskarte (EHIC), die den Auslandskrankenschein (Formular E111) ersetzt. Am 30. April 2010 tritt sie außer Kraft und wird durch
die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ersetzt.
Erste Arbeitsschutzrichtlinien
Mit der Richtlinie 80/1107/EWG vom 27. November
1980 zum Schutz der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch chemische,
physikalische und biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit erfährt das 1978 vom
Rat beschlossene Aktionsprogramm für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz eine
erste konkrete Umsetzung. Die Einzelrichtlinie 83/477/EWG vom 19. September
1983 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Asbest am
Arbeitsplatz tritt in Kraft. Es ist die zweite Einzelrichtlinie zum Schutz der
Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch chemische, physikalische und biologische
Arbeitsstoffe bei der Arbeit und wird im Jahr 2009 nach mehrfacher Änderung
kodifiziert.
Einheitliche Europäische Akte
Die
einheitliche europäische Akte tritt am 1. Juli 1987 in Kraft. Mit ihr soll die Entwicklung
des Binnenmarktes forciert werden. Der Ministerrat erhält die Kompetenz, mit
qualifizierter Mehrheit Beschlüsse zum Gesundheitsschutz in der Arbeitswelt zu
verabschieden.
Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie
Die Richtlinie 89/391/EWG definiert Pflichten
der Arbeitgeber zur Verbesserung der Arbeitnehmersicherheit und des
Gesundheitsschutzes bei der Arbeit und ist Grundlage für zahlreiche
Einzelrichtlinien zum Arbeitsschutz. Zielstellung ist, die Zahl der
Arbeitsunfälle und der berufsbedingten Erkrankungen zu verringern. Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer werden verpflichtet, innerhalb ihrer Möglichkeiten für die
eigene Sicherheit und Gesundheit sowie für die Sicherheit und Gesundheit von
Kolleginnen und Kollegen Sorge zu tragen. Die Richtlinie wird im Laufe der Zeit
mehrfach geändert, zuletzt im Dezember 2008 durch die Verordnung (EG) Nr.
1137/2008.
Europäische Wirtschafts- und Währungsunion
Die
Mitgliedstaaten der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft vereinbaren die Schaffung der Europäischen
Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Damit soll der europäische Binnenmarkt
durch die Herstellung des freien Kapitalverkehrs und einer gemeinsamen Währung
mit hoher Preisstabilität ergänzt werden.
Maastricht-Vertrag
Unterzeichnet
vom Europäischen Rat am 7. Februar 1992 im niederländischen Maastricht werden in
dem Vertragswerk die Konvergenzkriterien für den Beitritt zur WWU beschlossen
und Obergrenzen für die die Gesamt- und Neuverschuldung festgelegt. Die Haushalte
der Sozialversicherung gehen als Parafiski in diese Berechnung mit ein. Im
gleichen Jahr folgen Empfehlungen zur Konvergenz der sozialen
Sicherungssysteme. Diese bleiben zunächst ohne praktische Konsequenz.
Binnenmarkt und Sozialpolitik
Der Binnenmarkt gilt als das Herzstück der EU. Er ist
Treiber von Entwicklungen wie in der Arbeitnehmerfreizügigkeit,
im Arzneimittelbereich oder bei Medizinprodukten. Zugleich geht von ihm die
Gefahr aus, wirtschaftliche Opportunitäten stärker zu gewichten als
sozialpolitische Errungenschaften oder soziale Standards. Im Laufe der Zeit ist
deutlich geworden: Ein starker Binnenmarkt braucht eine sozialpolitische
Flankierung. Mit der Europäischen Säule sozialer Rechte gibt es dafür einen
gemeinschaftlichen Wertekanon, dessen Umsetzung immer wieder erfolgreich
eingefordert wird.
Europäischer Binnenmarkt und Gesundheit
Die Schaffung
des europäischen Binnenmarktes schafft den freien Verkehr von Waren,
Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräften. Über die Prävention
weitverbreiteter schwerwiegender Krankheiten durch Forschung, Aufklärung und Gesundheitserziehung
soll ein hohes Gesundheitsschutzniveau erreicht werden. Die Europäische Kommission
soll die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten fördern und sie bei ihren Maßnahmen
unterstützten. Am 14. Juni wird die Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte erlassen.
Zentrale Arzneimittelzulassung und Gemeinschaftsverfahren
Im Rahmen
der Gesamtstrategie für einen Binnenmarkt für Arzneimittel wird am 1. Januar
1995 das „zentralisierte“ Verfahren zur Arzneimittelzulassung kodifiziert und
der Grundstein für die heutige Europäische Agentur für Arzneimittel gelegt. Das
bestehende Gemeinschaftsrecht wird zudem durch die Einführung der „gegenseitigen
Anerkennung“ einzelstaatlicher Zulassungen von Human- und Tierarzneimitteln
zwischen den Mitgliedstaaten weiterentwickelt.
Stabilitäts- und Wachstumspakt
Am 7.
Juli wird der Stabilitäts- und Wachstumspakt beschlossen, um solide öffentliche
Finanzen für die Wirtschafts- und Währungsunion zu garantieren. Die Obergrenze
des Schuldenstands wird mit 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sowie
einem maximalen Defizit von drei Prozent des BIP festgeschrieben.
Offene Methode der Koordinierung
Der
Europäischen Rat in Göteborg vereinbart am 15. Juni die Anwendung der offenen
Methode der Koordinierung (OMK) – eine Form der
zwischenstaatlichen Politikgestaltung, die keine verbindlichen
gesetzgeberischen EU-Maßnahmen zur Folge hat – auf
den Bereich Alterssicherung. Es werden elf gemeinsame Ziele festgelegt.
Einführung des Euro
Am 1. Januar wird die gemeinsame
offizielle Währung, der Euro, als Bargeld in zwölf Mitgliedstaaten und drei weiteren
Staaten eingeführt. Er tritt zu festgelegten Umrechnungskursen an die Stelle
der nationalen Währungen. Die weltweit größte Währungsumstellung wird
insbesondere im ersten Jahr begleitet von ungewöhnlichen Preissteigerungen in
einzelnen Konsumptionsbereichen. Tatsächlich macht der durchschnittliche, mit der
Einführung des Euro-Bargelds verbundene Verbraucherpreisanstieg, aber nur 0,1
bis 0,3 Prozent der Jahresinflation aus.
Nachhaltige Renten
Die
Anwendung der Offenen Methode der Koordinierung im Bereich der Alterssicherung
führt zum ersten gemeinsamen Bericht von Rat und Europäischer Kommission über
angemessene und nachhaltige Renten vom 9. Juli 2003. Übergeordnete Ziele sind,
dass die Systeme weiterhin ihre sozialpolitischen Aufgaben erfüllen müssen,
finanziell nachhaltig sind und den verändernden gesellschaftlichen
Erfordernissen Rechnung tragen.
Schutz gegen Karzinogene oder Mutagene bei der Arbeit
Die Einzelrichtlinie
90/394/EWG vom 28. Juni 1990 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung
durch Karzinogene bei der Arbeit wird nach mehrfacher Änderung kodifiziert. Die
Richtlinie ist seitdem viermal geändert worden. Zuletzt – im Jahr 2022 – sind
für drei weitere krebserzeugende Stoffe Expositionsgrenzwerte eingeführt bzw.
nach unten korrigiert worden.
Europäische Seuchenbehörde
Am 20.
Mai nimmt das Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von
Krankheiten (ECDC) mit Sitz in Stockholm seine Arbeit auf. Die neue Agentur soll vor allem die Akteurinnen und Akteure im öffentlichen Gesundheitswesen unterstützen. Eine
Aufwertung erfährt die europäische Behörde im Zuge der Corona-Pandemie über die
Gesetzgebung zur Europäischen Gesundheitsunion Anfang 2022.
REACH-Verordnung
Die EU-Chemikalienverordnung (EG) Nr. 1907/2006
tritt am 1. Juni 2007 in Kraft. Mit ihr wird das
bisherige Chemikalienrecht grundlegend harmonisiert und vereinfacht. REACH steht für die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung
von Chemikalien. Seit Inkrafttreten wird die Verordnung
fortlaufend aktualisiert. Eine Revision mit dem Ziel, nachhaltige Chemikalien
zu fördern, die Regelungsprozesse zu straffen und die Belastungen der Umwelt
sowie die Risiken für die menschliche Gesundheit zu senken, ist für Ende des
Jahres 2023 angekündigt.
Patientinnen- und Patientenmobilität
Die
Europäische Kommission legt ihren Vorschlag für eine Richtlinie über die
Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung
vor. Vorausgegangen waren verschiedene Urteile des Europäischen Gerichtshofes
(EuGH) zwischen 1996 und 2006 zur Kostenübernahme bei grenzüberschreitender
Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen. Rechtskraft erhält die Richtlinie über
die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden
Gesundheitsversorgung im Jahr 2011.
Asbestrichtlinie
Aus Gründen der Klarheit und Übersichtlichkeit
wird mit der Richtlinie 2009/148/EG vom 30. November 2009 über den Schutz der
Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz das bestehende Recht
zum Schutz vor Asbest kodifiziert. Ihr vorausgegangen war die Richtlinie
83/477/EWG vom 19. September 1983, die mehrfach erheblich geändert wurde.
Koordinierung der Systeme der Sozialen Sicherheit
Ab dem 1. Mai gelten die Verordnung (EG) 883/2004
zur Koordinierung der Systeme er sozialen Sicherheit und ihre
Durchführungsverordnung (EU) 987/2009. Sie ersetzen die Verordnung 1408/71 vom
14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer
und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern.Erstmalig
können auch Leistungen bei Arbeitslosigkeit, Vaterschaft oder Vorruhestand grenzüberschreitend
erbracht werden. Für den elektronischen Austausch von Informationen der
sozialen Sicherheit wird ein neues System (EESSI) eingeführt.
Europäisches Semester
Das
Europäische Semester wird erstmals umgesetzt. Damit wird die wirtschafts-,
finanz-, sozial- und beschäftigungspolitische Koordinierung zusammengeführt. Eingeleitet
wird dieser Prozess alljährlich mit dem Jahreswachstumsbericht im November. Am Ende des Prozesses steht im Juni die
Verabschiedung der länderspezifischen Empfehlungen für jeden Mitgliedstaat.
Angemessene Renten
Die Europäische Kommission und der
Sozialschutzausschuss veröffentlichen ihren ersten Bericht zur Angemessenheit
der Renten. Darin wird ein Überblick zu den aktuellen Rentenreformen geben und
die wesentlichen Herausforderungen für die Angemessenheit der gegenwärtigen und
zukünftigen Renten analysiert. Im Unterschied zur OMK stehen nun
Angemessenheitsbericht und Tragfähigkeitsbericht unabhängig voneinander
politisch zu Diskussion. Aspekte der Angemessenheit erhalten damit wieder mehr
Gewicht.
Revision des Koordinierungsrechts
Im
Dezember schlägt die Europäische Kommission Änderungen an den Verordnungen zur
Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vor. Trotz guter Kompromisse
insbesondere zur Koordinierung von Pflegeleistungen verhaken sich Rat und
Parlament in Fragen des anwendbaren Rechts und der Leistungen bei
Arbeitslosigkeit. Ein Ende des Streits ist nach zwei gescheiterten Trilogen
auch Mitte 2023 noch nicht in Sicht.
Medizinprodukte
Die
Medizinprodukterichtlinien erhalten Verordnungscharakter und werden damit
unmittelbar geltendes Recht. Es entstehen die Verordnung (EU) 2017/745 zu
Medizinprodukten (MDR) sowie die Verordnung (EU) 2017/726 über
In-vitro-Diagnostika (IVDR). Sie treten am 25. Mai 2017 in Kraft. Mit einem
Dringlichkeitsgesetz und Verweis auf drohende Mangelsituationen wird Anfang
2023 die Übergangsfristen verlängert. Damit kann das neue Recht in maßgeblichen
Teilen immer noch nicht angewendet werden.
Europäische Säule Sozialer Rechte
Die
seinerzeit 28 Mitgliedstaaten proklamieren am 17. November in Göteborg die
europäische Säule sozialer Rechte. Mit ihren 20 Grundsätzen und Prinzipien
bildet sie die Richtschnur für ein soziales Europa und einen kongruenten Ansatz
für eine europäische Sozialpolitik, der ohne eine Vereinheitlichung der
nationalen Sozialschutzsysteme auskommt.
Aktuelle europäische Gesundheits- und Sozialpolitik
Die aktuelle 9. Legislaturperiode wird stark von der Corona-Pandemie
und ihrer Bewältigung geprägt. Die „Europäische Gesundheitsunion“ wird nach und
nach zur Marke für Initiativen, die dazu angelegt sind, die
Krisenresilienz der EU in Bezug auf gesundheitliche Bedrohungen zu erhöhen. Die
Sozialschutzsysteme erweisen sich in schwieriger Zeit abermals als
Stabilitätsanker. Europa nimmt sich im Weiteren großer Zukunftsthemen an. Der
„Grüne Deal“ beginnt, in der Gesundheits- und Sozialpolitik spürbar zu werden.
Europäische Gesundheitsunion
Mit der Veröffentlichung eines Pakets aus drei
Verordnungsentwürfen reagiert die Europäische Kommission auf die neue
gesundheitliche Bedrohungssituation durch COVID-19 und rüstet strukturell auf.
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und die europäische Seuchenbehörde
(ECDC) werden gestärkt, die Kommission gibt sich selbst erweiterte Rechte im
Falle von Krisen. Unabhängig hiervon wird parallel eine Diskussion um
erweiterte Kompetenzen der EU in der Gesundheitspolitik geführt.
Sozialgipfel Porto
Auf dem Sozialgipfel in Porto am 7. Mai 2021
bekennen sich die Mitgliedstaaten zur Umsetzung des Aktionsplans zur
europäischen Säule sozialer Rechte. Die Sozialpartner verpflichten sich
ihrerseits auf die Umsetzung sozialpolitischer Ziele. Ziel ist unter anderem,
bis zum Jahr 2030 mindestens 78 Prozent der Erwachsenen in der EU in Lohn und
Arbeit zu bringen. Mindestens 60 Prozent aller Erwachsenen soll einmal jährlich
eine Fortbildung ermöglicht werden.
Plattformbeschäftigung
Die Europäische
Kommission legt einen europaweit gültigen Rahmen für den Zugang zum
Sozialschutz und die Arbeitsrechte von Plattformbeschäftigten vor. Damit soll Rechtssicherheit
für Plattformbetreiber und -beschäftigte hergestellt werden. Ziel ist, die
Vorteile der digitalen Transformation zu nutzen und die europäische soziale
Marktwirtschaft zu schützen.
Bewertung von Gesundheitstechnologien, Künstliche Intelligenz
Nach
jahrelangem Tauziehen wird die Verordnung (EU) 2021/2282 über die Bewertung von
Gesundheitstechnologien (HTA) am 15. Dezember verabschiedet. Mit ihr erfolgt
der Einstieg in die gemeinschaftliche Bewertung von Arzneimitteln und
Medizinprodukten. Sie ergänzen die in vielen Mitgliedstaaten durchgeführten
Nutzenbewertungsverfahren, ersetzen sie aber nicht. Am 21. April schlägt die
Europäische Kommission zudem mit einem Gesetzesentwurf die weltweit ersten
Vorschriften für Künstliche Intelligenz (KI) vor.
Europäischer Gesundheitsdatenraum
Am 3. Mai präsentiert die Europäische Kommission
ihre Vorstellungen zu einem Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS). Eine
EU-weite elektronische Nutzung von Gesundheitsdaten soll die medizinische Versorgung
verbessern, der Wissenschaft dienen, Innovationen fördern und politisches
Handeln unterstützen. Eine große Herausforderung besteht darin, die
Kompatibilität von europäischer und nationalen Telematikinfrastrukturen zu
gewährleisten. Daneben müssen die Vorgaben den strengen Bestimmungen der
Datenschutzgrundverordnung entsprechen.
Änderung der Asbest-Richtlinie
Mit
ihrem Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2009/148/EG über den Schutz der
Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz aus dem Jahr 2009 macht
die Europäische Kommission einen weiteren Schritt, den Arbeitsschutz zu
verbessern. Das Europäische Parlament fordert jedoch noch strengere Vorgaben.
Zukunft des Sozialschutzes
Eine Ende
2021 eingerichtete hochrangige 12-köpfige Gruppe von Expertinnen und Experten
zur Zukunft des Sozialschutzes legt am 7. Februar ihren Bericht vor. Untersucht haben sie die Einflüsse von Demografie, Digitalisierung und Klimawandel auf
die Sozialschutzsysteme. Im Bericht werden 21 Empfehlungen für die künftige
Gestaltung und Finanzierung der Sozialschutzsysteme gelistet. Geraten wird, angesichts
der großen Herausforderungen die Einnahmenbasis zu verbreitern und die
Maastrichtkriterien zur Staatsverschuldung zu überdenken.
Neue Grenzwerte für Blei und Diisocyanate
Am 13.
Februar schlägt die Europäische Kommission strengere Grenzwerte für die Exposition
gegenüber Blei am Arbeitsplatz vor. Für die chemische Gruppe der Diisocyanate,
die unter anderem in Verbundstoffen zu finden sind, sollen erstmals Grenzwerte
eingeführt werden.
Revision der europäischen Arzneimittelgesetzgebung
Am 26.
April lässt Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides die Katze aus dem Sack.
Die Kommissionsvorschläge für die Revision der europäischen
Arzneimittelgesetzgebung stoßen vielfach auf Kritik. Die Kommission
hingegen spricht von einem ausgewogenen Balanceakt. Einfacher hat sie es mit
einem Vorschlag zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen. Die Länder beschließen dazu am 13. Juni im Rat für „Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz“ (EPSCO) eine Ratsempfehlung.