Feedback der Deutschen Sozialversicherung vom 18. Juli 2025
Sondierung der Europäischen Kommission zur Folgenabschätzung der geplanten Überarbeitung der Normungsverordnung
Vorbemerkung
Harmonisierte europäische Normen geben technische Spezifikationen für Produkte, Dienstleistungen und Verfahren vor. Sie spielen eine zentrale Rolle bei der Stärkung des Binnenmarkts, der Förderung von Innovation sowie der Sicherstellung hoher Sicherheits- und Qualitätsstandards. Die Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 über die europäische Normung legt die rechtlichen Grundlagen für das europäische Normungssystem fest und regelt die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission und den europäischen Normungsorganisationen.
Die Europäische Kommission beabsichtigt, im zweiten Quartal 2026 einen Vorschlag zur Überarbeitung dieser Verordnung vorzulegen. Die Deutsche Sozialversicherung (DSV) begrüßt das Ziel, mit einer leistungsfähigeren, inklusiveren und international wettbewerbsfähigeren europäischen Normung die technologische Souveränität Europas zu stärken. Eine Reform sollte jedoch mit Augenmaß erfolgen, um bewährte Strukturen des bestehenden Normungssystems nicht zu gefährden. Das Instrument der gemeinsamen Spezifikationen („Common Specifications“) sollte lediglich in klar begrenzten Ausnahmefällen zum Einsatz kommen.
Stellungnahme
Das europäische Normungssystem basiert auf dem Konsensprinzip, das eine breite Einigung zwischen verschiedenen Interessengruppen voraussetzt. Eine Beschleunigung der Normungsverfahren darf dieses Prinzip nicht infrage stellen. Die DSV spricht sich deshalb dafür aus, Qualität vor Geschwindigkeit zu stellen. Konsensbildung braucht Zeit – insbesondere bei komplexen oder technologiegetriebenen Normungsvorhaben. Während Normen mit begrenztem Anwendungsbereich in kurzer Zeit entwickelt werden können, erfordern Normen mit breiter Wirkung, hoher Detailtiefe oder Innovationsbezug sorgfältige Abstimmung und Prüfung. Gesetzlich forcierte Zeitverkürzungen, die zu Lasten von Qualität, Abstimmung und Prüfung gehen, sind daher nicht zielführend.
Zudem widerspräche eine Beschleunigung dem Ziel der Kommission, die Beteiligung einer großen Auswahl an Interessengruppen an der Normung zu stärken. Ein wesentliches Merkmal des europäischen Normungssystems ist die Einbindung gesellschaftlicher Akteure – darunter kleine und mittlere Unternehmen, Verbraucherverbände, öffentliche Einrichtungen und die Träger der Sozialversicherung. Diese Mitwirkung verleiht Normen Akzeptanz, Praxisnähe und gesellschaftliche Legitimität. Die Beteiligung dieser Gruppen ist jedoch ressourcenintensiv. Viele am Arbeitsschutz interessierte Vertreterinnen und Vertreter arbeiten parallel in mehreren Gremien und üben ihre normungsbezogenen Tätigkeiten zusätzlich zu ihren regulären Aufgaben aus. Eine beschleunigte Taktung birgt das Risiko, dass ressourcenschwächere Akteure vom Prozess ausgeschlossen werden. Dies wäre ein Rückschritt gegenüber dem erklärten Ziel eines inklusiven und ausgewogenen Normungsverfahrens.
Gerade in dynamischen Technologiefeldern wie der künstlichen Intelligenz ist die Entwicklung neuer Standards dringend notwendig. In Ausnahmefällen, in denen Normen fehlen oder unzureichend sind, kann in diesem wie auch in einigen anderen Bereichen auf gemeinsame Spezifikationen zurückgegriffen werden. Für die DSV gilt dabei: Gemeinsame Spezifikationen dürfen keinesfalls zu einem Regelinstrument werden, das die Normung inklusive ihrer festgelegten Beteiligungsprozesse ersetzt. Wenn auf sie zurückgegriffen wird, müssen gemeinsame Spezifikationen auf Basis klarer, rechtsverbindlicher Kriterien und in einem transparenten Verfahren erlassen werden. Dabei ist die frühzeitige und angemessene Einbindung aller relevanten Stakeholder sicherzustellen.
Das durch die Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 geprägte europäische Normungssystem hat sich bewährt und leistet einen wichtigen Beitrag zur Harmonisierung von Sicherheitsstandards innerhalb der EU. Anpassungen, inklusive der Ausweitung der Nutzung von gemeinsamen Spezifikationen, sollten aus Sicht der DSV mit großer Sorgfalt erfolgen, um die Stabilität, Funktionsfähigkeit und Akzeptanz des bestehenden Systems nicht zu gefährden.
Über uns
Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund), die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), der GKV-Spitzenverband, die Verbände der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen auf Bundesebene sowie die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) haben sich mit Blick auf ihre gemeinsamen europapolitischen Interessen zur „Deutschen Sozialversicherung Arbeitsgemeinschaft Europa e.V.“ zusammengeschlossen. Der Verein vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber den Organen der Europäischen Union sowie anderen europäischen Institutionen und berät die relevanten Akteure im Rahmen aktueller Gesetzgebungsvorhaben und Initiativen. Die Kranken- und Pflegeversicherung mit 75 Millionen Versicherten, die Rentenversicherung mit 57 Millionen Versicherten und die Unfallversicherung mit mehr als 70 Millionen Versicherten in 5,2 Millionen Mitgliedsunternehmen bieten als Teil eines gesetzlichen Versicherungssystems den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland wirksamen Schutz vor den Folgen großer Lebensrisiken.
DSV-Feedback zur Folgenabschätzung der geplanten Überarbeitung der Normungsverordnung