Stellungnahme der Deutschen Sozialversicherung vom 18. Juni 2024

Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Praktikantinnen und Praktikanten in der EU



Vorbemerkung

Laut aktuellen Statistiken absolvieren über 50 % der jungen Europäerinnen und Europäer vor dem Einstieg in den Arbeitsmarkt ein Praktikum.1 Das Europäische Parlament hat deswegen in einer Entschließung vom 14. Juni 2023 das Thema aufgegriffen und unter anderem thematisiert, dass sich viele Praktikantinnen und Praktikanten in unbezahlter Langzeitbeschäftigung befinden würden. In manchen Fällen würden sie sogar reguläres Personal ersetzen, anstatt Lerninhalte vermittelt zu bekommen. Oft seien auch die fehlende soziale Absicherung, die hohe Arbeitsbelastung und die Ungleichstellung von Festangestellten gegenüber Praktikantinnen und Praktikanten ein Problem.

Um die Praktikumsbedingungen zu verbessern, forderte das Europäische Parlament die Europäische Kommission auf, den Qualitätsrahmen der Europäischen Union (EU) für Praktika von 2014 zu aktualisieren und eine Richtlinie für hochwertige Praktika vorzulegen. Ein Jahr zuvor, im Mai 2022, hatte auch schon die Konferenz zur Zukunft Europas die Europäische Kommission aufgerufen, einheitliche Regeln für hochwertige Praktika zu schaffen.

Am 20. März 2024 präsentierte die Europäische Kommission ein Maßnahmenpaket für bessere Praktika in der EU. Dies beinhaltet:

einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Verbesserung und Durchsetzung der Arbeitsbedingungen von Praktikantinnen und Praktikanten und zur Bekämpfung von Scheinpraktika und

einen Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zu einem verstärkten Qualitätsrahmen für Praktika.

Die Deutsche Sozialversicherung (DSV) begrüßt das Maßnahmenpaket, das im Vergleich zum Qualitätsrahmen für Praktika von 2014 den Sozialschutz stärker hervorhebt. Gleichzeitig weist die DSV darauf hin, dass Arbeitgebende und Arbeitnehmende leicht Zugang zu Informationen zum Sozialversicherungsschutz erhalten müssen. Dies kann zum Beispiel durch bereits existierende Informationsseiten gewährleistet werden. Des Weiteren sollte sich trotz der unterschiedlichen Ziele beider Vorschläge der Kerninhalt der Definitionen von „Praktikum“ und „Praktikant“ nicht unterscheiden.



Stellungnahme

Lückenloser Sozialversicherungsschutz für alle Praktika in der EU

Viele junge Menschen absolvieren in den Mitgliedstaaten ein Praktikum. Meist geschieht dies vor, während oder nach der Ausbildung. Einige junge Europäerinnen und Europäer nutzen auch die Freizügigkeit im Binnenmarkt und sammeln erste Arbeitserfahrung im Rahmen eines Praktikums in einem anderen Mitgliedstaat.

Da die Zuständigkeiten für Bildung und Beschäftigung auf nationaler Ebene liegen, unterscheiden sich die rechtlichen Rahmenbedingungen in den einzelnen Mitgliedstaaten erheblich. Dies gilt auch für die soziale Absicherung. Das Europäische Parlament hat deswegen unter anderem im Vorfeld der Veröffentlichung des Maßnahmenpaketes die Notwendigkeit eines umfassenden Sozialschutzes betont. Infolgedessen wurden die Qualitätsmerkmale im Vorschlag für eine Empfehlung des Rates erweitert. Die deutsche Sozialversicherung begrüßt diese Entwicklung.

Informationsweitergabe an Praktikanten

Der Richtlinienvorschlag zielt darauf ab, dass Praktikantinnen und Praktikanten hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingungen nicht schlechter behandelt werden als vergleichbare Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ein und demselben Betrieb. Außerdem werden die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, Scheinpraktika aufzudecken und zu unterbinden. Neben den Verbesserungen der Arbeitsbedingungen spielt auch die Vermeidung des Verlusts fälliger Sozialversicherungsbeiträge bei der Bekämpfung von Scheinpraktika eine Rolle.

Zur besseren Identifizierung von Scheinpraktika werden Mitgliedstaaten in Artikel 5 des Richtlinienvorschlages dazu angehalten, eine Gesamtbewertung aller Fakten vorzunehmen. Ein zu prüfendes Element ist der Sozialschutz. Um diesen prüfen zu können, sollen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gemäß Artikel 5(3)(a) des Richtlinienvorschlages dazu verpflichtet werden, unter anderem Informationen zum Sozialschutz in der Stellenausschreibung für das Praktikum aufzuführen. Insoweit ist jedoch zu beachten, dass die rechtliche Ausgestaltung von Praktika in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ist und für die rechtliche Einordnung die konkrete Ausgestaltung im Einzelfall maßgeblich ist.

So ist in Deutschland beispielsweise die Art des Praktikums für die versicherungsrechtliche Beurteilung entscheidend. Folglich gibt es verschiedene Konstellationen für die Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung. Pflichtpraktika, die im Rahmen der Ausbildung absolviert werden, unterliegen anderen Bestimmungen als freiwillige Praktika. Bei der Unfallversicherung besteht der Versicherungsschutz in der Regel über das Praktikumsunternehmen, unabhängig davon, ob das Praktikum vor, während oder nach der Ausbildung abgeleistet wird. Besonderheiten gibt es bei Praktika von Schulkindern und im Hinblick auf Studierende, die in Unternehmen ihre Abschlussarbeit schreiben. Es erfordert die individuelle versicherungsrechtliche Beurteilung eines jeden Praktikums, weshalb der von der Europäischen Kommission eingeschlagene Weg über die Stellenausschreibung in Deutschland kein sinnvoller Ansatzpunkt zu sein scheint. Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob Stellenausschreibungen überhaupt ein ausreichendes Mittel darstellen könnten, um Praktikantinnen und Praktikanten vollumfänglich über ihren Sozialschutz zu informieren.

Um eine sozialversicherungsrechtliche Aufklärung und Absicherung von Praktikantinnen und Praktikanten zu gewährleisten, ist es für die deutsche Sozialversicherung wesentlich, dass Informationen zum Sozialschutz geteilt werden. Um dies zu erreichen, ist es wichtig, dass die Leitlinie (Artikel 6(b) des Richtlinienvorschlages), die von den Mitgliedstaaten erstellt wird, besser für die umfassende sozialversicherungsrechtliche Aufklärung von Praktikantinnen und Praktikanten genutzt wird. Beispielsweise könnte die Leitlinie auf bestehende Informationsseiten, wie das Informationsportal für Arbeitgeber2, verweisen, um Arbeitgebende ausreichend zu informieren. Dies würde auch die Informationsweitergabe durch Arbeitgebende, wie sie Erwägungsgrund 30 des Richtlinienvorschlages vorsieht, vereinfachen.

Zusammenspiel der neuen Maßnahmen mit bestehenden Strukturen

Der Vorschlag für eine Empfehlung des Rates enthält Kriterien für hochwertige Praktika, die von den Mitgliedstaaten flexibel umgesetzt werden können, damit dem besonderen Charakter und den unterschiedlichen Bedürfnissen nationaler Praktikumsprogramme Rechnung getragen wird. Die Praktikumsvereinbarung wird im Vorschlag für eine Empfehlung des Rates als zentrales Instrument der Informationsverbreitung genutzt. In Punkt 4 sieht der Vorschlag vor, dass verschiedene Elemente in die Praktikumsvereinbarung aufgenommen werden sollen. Unter anderem sollen Informationen, die in Artikel 4 der Richtlinie (EU) 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union aufgeführt sind, sowie Informationen zum Sozialschutz, einschließlich des Versicherungsschutzes bei Krankheit sowie Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern mit den Praktikantinnen und Praktikanten geteilt werden.

Die Aufnahme des Versicherungsschutzes als ein neues Element in der Praktikumsvereinbarung wird von der DSV unterstützt. Die Ausgestaltung der Praktikumsvereinbarung im Einklang mit Artikel 4 der Richtlinie (EU) 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union wirft jedoch Fragen auf. Bei der Betrachtung dieses Artikels fällt auf, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber verpflichtet werden, Arbeitnehmende über wesentliche Aspekte des Arbeitsverhältnisses zu unterrichten. Mindestanforderungen für die Pflicht der Unterrichtung, die sich aus diesem Artikel ergeben, umfassen zum Beispiel Informationen über die Dauer des Arbeitsverhältnisses und den Arbeitsort. Für die Informationen zum Sozialschutz, die als ein neues Element des Qualitätsrahmens explizit in der Praktikumsvereinbarung verankert werden sollen, ist der Verweis auf Artikel 4 der Richtlinie (EU) 2019/1152 jedoch irreführend. Artikel 4(2)(o) der Richtlinie (EU) 2019/1152 sieht Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber nur in der Pflicht, Informationen zur Identität der Sozialversicherungsträger weiterzugeben, falls diese dafür zuständig sind. Um Informationslücken zu vermeiden, muss daher klarer aus dem Text des Vorschlages hervorgehen, dass Informationen zum Sozialschutz zusätzlich zu den Elementen, die Artikel 4 der Richtlinie (EU) 2019/1152 vorsieht, in der Praktikumsvereinbarung geteilt werden müssen.

Auch ist zu begrüßen, dass der Vorschlag für eine Empfehlung des Rates, im Einklang mit der Richtlinie des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, die Gleichbehandlung von Praktikantinnen und Praktikanten sowie deren Nichtdiskriminierung stärker hervorhebt.

Harmonisierung der Definitionen im Maßnahmenpaket

Aus Sicht der DSV muss darauf geachtet werden, dass im Richtlinienvorschlag und der Empfehlung des Rates einheitliche Begrifflichkeiten verwendet werden, um in der Praxis eine unterschiedliche Auslegung zu verhindern. Da es in der EU keine einheitliche Definition von Praktika gibt, wurde in Erwägungsgrund 15 des Vorschlages für eine Empfehlung des Rates sowie in Artikel 2 des Richtlinienvorschlages eine Definition geschaffen. Momentan sind beide Definitionen identisch. Änderungen, die während der Beratung der beiden Vorschläge entstehen, müssen in beiden Texten abgebildet werden, um eine unterschiedliche Auslegung und Rechtsunsicherheiten zu vermeiden.

Dagegen ist die Definition von „Praktikant“ im Wortlaut in beiden Vorschlägen nicht identisch. Dies ist gewollt, da sich der Richtlinienvorschlag auf Praktikantinnen und Praktikanten in einem Arbeitsverhältnis bezieht, während der Vorschlag für eine Empfehlung des Rates für alle Praktikantinnen und Praktikanten unabhängig von ihrem Beschäftigungsstatus gilt. Identische Elemente einer Definition, die in beiden Vorschlägen vorkommen, sollten jedoch nicht unterschiedlich ausgestaltet werden. Im weiteren Verfahren gilt es dies im Blick zu behalten.

Über uns

Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund), die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), der GKV-Spitzenverband, die Verbände der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen auf Bundesebene sowie die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) haben sich mit Blick auf ihre gemeinsamen europapolitischen Interessen zur „Deutschen Sozialversicherung Arbeitsgemeinschaft Europa e.V.“ zusammengeschlossen. Der Verein vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber den Organen der Europäischen Union sowie anderen europäischen Institutionen und berät die relevanten Akteure im Rahmen aktueller Gesetzgebungsvorhaben und Initiativen. Die Kranken- und Pflegeversicherung mit 74 Millionen Versicherten, die Rentenversicherung mit 57 Millionen Versicherten und die Unfallversicherung mit mehr als 70 Millionen Versicherten in 5,2 Millionen Mitgliedsunternehmen bieten als Teil eines gesetzlichen Versicherungssystems den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland wirksamen Schutz vor den Folgen großer Lebensrisiken.

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