Posi­ti­ons­pa­pier für die 10. Legis­la­tur­pe­riode

Gemeinsam für ein starkes, demokratisches Europa


Inhalt



Vorbe­mer­kung

Die Europavertretung der deutschen Sozialversicherung beteiligt sich seit mehr als 30 Jahren an der gemeinsamen Gestaltung der sozialen Dimension Europas. Auf europäischer Ebene werden wichtige Weichen gestellt, zum Beispiel für den Arbeitsschutz, für eine hochwertige und bezahlbare Versorgung mit Arzneimitteln oder für die Bekämpfung grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren wie der Corona-Pandemie.

Die deutsche gesetzliche Sozialversicherung ist eine tragende Säule des Sozialstaates und der demokratischen Grundordnung. Sie vertritt die Interessen von 74 Millionen Versicherten in der Kranken- und Pflegeversicherung, 57 Millionen Versicherten in der Rentenversicherung und mehr als 70 Millionen Versicherten in 5,2 Millionen Mitgliedsunternehmen in der Unfallversicherung – unabhängig von Herkunft, Religion oder Geschlecht. Unsere Grundprinzipien sind Solidarität, Mitbestimmung und Weltoffenheit.



Stel­lung­nahme

Frei­zü­gig­keit durch das Koor­di­nie­rungs­recht sicher­stellen

Alle Unionsbürgerinnen und -bürger haben das Recht, sich in der Europäischen Union (EU) frei zu bewegen. Ob im Studium, Beruf oder Alter – Leben im EU-Ausland ist Teil der heutigen Normalität. Die europarechtliche Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sorgt dafür, dass die grenzüberschreitende Mobilität nicht zu Nachteilen in der sozialen Absicherung führt. Das Koordinierungsrecht ist jedoch nicht statisch, sondern muss regelmäßig an die gesellschaftlichen und sozialen Entwicklungen angepasst werden. So sind heute beispielsweise in vielen Bereichen Telearbeit, mobiles Arbeiten und das sogenannte Home-Office selbstverständlicher Teil der Arbeitskultur. Da dies auch für die grenzüberschreitende Arbeit gilt, wurden 2023 in einem multilateralen Rahmenübereinkommen Regelungen zur Telearbeit getroffen. Die aktuellen Reformbestrebungen des Koordinierungsrechts enthalten wichtige Regelungsänderungen, zum Beispiel zum Umgang mit grenzüberschreitenden Leistungen bei Pflegebedürftigkeit. Auch vor dem Hintergrund, dass es in den alternden Gesellschaften Europas immer schwieriger wird, die notwendigen Fachkräfte zu gewinnen und zu binden, wird ein zeitgemäßes Koordinierungsrecht mehr denn je gebraucht. Dieses muss an die mit der neuen Flexibilität im Arbeitsleben einhergehenden Herausforderungen angepasst werden, die Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme verbessern und reibungslos in der Praxis umgesetzt werden können. Deshalb ist die Reform des Koordinierungsrechts in der neuen Legislaturperiode mit hoher Priorität abzuschließen.

Digi­ta­li­sie­rung der sozialen Siche­rungs­sys­teme voran­bringen

Im Rahmen des Politikprogramms für die digitale Dekade wurde das Ziel ausgegeben, bis zum Jahr 2030 alle Verwaltungsdienstleistungen online bereitzustellen. Die Digitalisierung ist jedoch kein Selbstzweck. Ihr volles Innovationspotential entfaltet sich erst, wenn der bürokratische Aufwand auf Seiten der Versicherten und Arbeitgebenden deutlich reduziert wird. Die Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung zeigen sich an der erfolgreichen Umsetzung des Systems für einen elektronischen Austausch von Sozialversicherungsdaten (EESSI), das mehrere tausend Sozialversicherungsinstitutionen in 32 Ländern einbezieht. EESSI belegt, dass großangelegte, ambitionierte Langzeitprojekte machbar und für Versicherte ebenso wie Sozialversicherungsträger lohnend sind. Die Einführung von EESSI hat aber auch verdeutlicht, dass es sich bei der Digitalisierung um komplexe Sachverhalte handelt, die einer frühzeitigen und umfassenden Einbeziehung der Sozialversicherungsträger bedürfen. Dies gilt ebenso für die europäische Initiative zur Einführung einer „Brieftasche für die europäische digitale Identität“, die es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen soll, EU-weit ihre Identität nachzuweisen, zur Nutzung von Online-Diensten wie auch zur grenzüberschreitenden Prüfung digitaler Dokumente. So können mobile Personen für die Sozialversicherung relevante Nachweise auch digital erbringen. Eine konsequente Umsetzung ist wichtig, um weitere Fortschritte bei der Koordinierung der sozialen Sicherung insgesamt zu erzielen.

Grünen Wandel sozial gestalten

Die Bekämpfung der Klimakrise und der Wandel hin zu einer ressourcenschonenden europäischen Wirtschaft werden die kommende Legislaturperiode prägen und begleiten. Die Veränderung des Klimas hat bereits heute Auswirkungen auf verschiedene Lebensbereiche, auch auf die Arbeitswelt. So sind die Menschen vermehrter UV-Strahlung, Hitzestress sowie zunehmenden Belastungen durch Staub, Pollen und tropische Insekten ausgesetzt. Dies stellt die Sozialversicherung vor neue Anforderungen in der Prävention, mit Blick auf gesundheitliche Behandlungs-, Rehabilitations- und Pflegemaßnahmen, aber auch beim Arbeitsschutz. Darüber hinaus bringen Arbeitsfelder, die sich im Rahmen der Energiewende und einer sich etablierenden Kreislaufwirtschaft weiterentwickeln, Herausforderungen mit sich. Es werden neue „grüne Arbeitsplätze“ entstehen. Sektoren wie Reparatur, Demontage und Recycling werden an Bedeutung gewinnen, aber auch neue Gefahrenquellen eröffnen, zum Beispiel im Umgang mit Gefahrstoffen. Für eine effektive Prävention ist deshalb ein Wissenstransfer zu sicheren Arbeitsverfahren und persönlicher Schutzausrüstung sowie eine größere Sensibilisierung der Arbeitgebenden und Beschäftigten unerlässlich. Neben leistungsfähigen Sozialschutzsystemen braucht es aber auch gemeinsame europäische Strategien, um den grünen Wandel erfolgreich zu begleiten. Der europäische Grüne Deal und die Europäische Säule sozialer Rechte sind in diesem Sinne gemeinsam weiterzuentwickeln.

Resi­li­ente Gesund­heits­sys­teme schaffen

Um die Gesundheitssysteme in Europa krisen- und zukunftsfest zu machen, müssen die Kräfte auf europäischer Ebene sinnvoll gebündelt und gemeinsame Potenziale genutzt werden, ohne die Besonderheiten der nationalen Systeme zu ignorieren. Dies gilt beispielsweise für gemeinsame Standards und Nutzenbewertungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten. Es ist sinnvoll, dass einheitliche Anforderungen sowohl an Qualität als auch an die Sicherheit neuer Arzneimittel und Medizinprodukte durch die EU festgelegt werden. Ferner können Herausforderungen, etwa der Umgang mit neuen Technologien oder die Bewältigung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln und Medizinprodukten, am besten gemeinsam bewältigt werden. Dazu bedarf es in einem ersten Schritt der Transparenz sowie gemeinsamer Strategien zur Sicherung von Forschung, Entwicklung und Verordnung krisenrelevanter Produkte. Auch bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens spielt die EU eine immer wichtigere Rolle. Der Aufbau eines europäischen Gesundheitsdatenraums soll nicht nur die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung verbessern, sondern auch die Nutzung von Gesundheitsdaten für die Forschung ermöglichen und die Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung in allen Bereichen – von der Prävention über die Akutbehandlung bis hin zur Rehabilitation – fördern. Im Vordergrund müssen dabei immer der Mehrwert für die Versicherten, deren bedarfsgerechte und qualitätsgesicherte Versorgung und eine nachhaltige Finanzierung der nationalen Gesundheitssysteme stehen.

Über uns

Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund), die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), der GKV-Spitzenverband, die Verbände der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen auf Bundesebene sowie die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) haben sich mit Blick auf ihre gemeinsamen europapolitischen Interessen zur „Deutschen Sozialversicherung Arbeitsgemeinschaft Europa e.V.“ zusammengeschlossen. Der Verein vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber den Organen der Europäischen Union sowie anderen europäischen Institutionen und berät die relevanten Akteure im Rahmen aktueller Gesetzgebungsvorhaben und Initiativen. Die Kranken- und Pflegeversicherung, die Rentenversicherung und die Unfallversicherung bieten als Teil eines gesetzlichen Versicherungssystems wirksamen Schutz vor den Folgen großer Lebensrisiken.

DSV-Positionspapier für die 10. Legislaturperiode

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