Critical Medicines Act: Mehr Versorgungssicherheit bei kritischen Arzneimitteln
Statement zum Berichtsentwurf von Tomislav Sokol zum Critical Medicines Act, 11.09.2025
Der Berichterstatter des Europäischen Parlaments, Tomislav Sokol (EVP, Kroatien), hat am 18. September 2025 seinen Berichtsentwurf zum Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission über kritische Arzneimittel (CMA) vorgestellt. Ziel des Vorschlags ist es, die Produktion in Europa zu stärken und die Versorgung mit diesen Arzneimitteln langfristig zu sichern. Wie bereits in der Stellungnahme vom 30. Juni 2025 dargelegt, begrüßt die DSV das Anliegen, die strategische Autonomie Europas zu stärken und die Versorgungssicherheit als europäische Gemeinschaftsaufgabe zu begreifen. Zugleich betont die DSV, dass die geplanten Maßnahmen klar, umsetzbar und finanzierbar sein müssen, die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten wahren und die solidarisch getragenen Gesundheitssysteme nicht zusätzlich belasten dürfen.
Wir begrüßen,
- dass in dem Bericht von Tomislav Sokol Unternehmen, die ihre Lieferverpflichtungen trotz Förderung nicht einhalten, sanktioniert werden sollen. Damit wird ein wichtiges Signal gesetzt, dass öffentliche Mittel mit klaren Gegenleistungen verbunden sein müssen.
- dass die nationale Zuständigkeit für Bevorratungsstrategien von kritischen Arzneimitteln weiterhin gewahrt werden soll. Die Mitgliedstaaten kennen die spezifischen Bedarfe ihrer Gesundheitssysteme am besten.
- dass Transparenz über vorhandene Bestände geschaffen werden soll. Doppelstrukturen zwischen nationalen und EU-Lagern zur Bevorratung müssen unbedingt vermieden werden.
Wir halten es für problematisch,
- dass der Anwendungsbereich auf „Arzneimittel von gemeinsamem Interesse“ ausgeweitet werden soll. Wenn – wie in dem Bericht gefordert - Orphan Drugs oder neuartige antimikrobielle Arzneimittel in strategische Projekte und öffentliche Förderungen einbezogen werden, drohen Fehlallokationen und eine Verwässerung des Ziels des CMA. Der Fokus der Regelungen sollte deswegen auf einer klar begrenzten Anzahl von Arzneimitteln mit unmittelbarer, kritischer Versorgungsrelevanz liegen. Orphan-Drugs genießen bereits einen exklusiven Status und werden mit wirtschaftlichen Anreizen gefördert. Lieferprobleme treten in diesem Segment nur sehr selten auf und sind zum Beispiel in Deutschland nahezu nie ein Thema. Aus Sicht der DSV sollte die Definition geschärft werden. Aktuell werden “kritische Arzneimittel“ auf der Unionsliste der kritischen Arzneimittel als solche von besonderer Bedeutung für die öffentliche Gesundheit angesehen. Es fehlen bisher jedoch bei ihrer Klassifizierung Kriterien zur Lieferkettenstabilität. Aus Sicht des DSV muss deswegen dringend klargestellt werden, dass für eine Einstufung als kritisches Arzneimittel sowohl eine herausgehobene Bedeutung dieses Arzneimittels für die öffentliche Gesundheit als auch eine kritische Vulnerabilität der Lieferkette vorauszusetzen sind.
- dass Vergabekriterien jenseits des Preises verpflichtend eingeführt werden sollen (Artikel 18 des Berichtsentwurfs). Zwar ist aus Sicht der DSV grundsätzlich nachvollziehbar, dass die Einführung zusätzlicher Vergabekriterien die Versorgung mit kritischen Arzneimitteln unterstützen kann. Wir weisen jedoch darauf hin, dass das EU-Vergaberecht bereits jetzt Gestaltungsmöglichkeiten für öffentliche Auftraggeber vorsieht und neben dem Preis auch andere Beschaffungsanforderungen zugrunde gelegt werden. Von dieser Möglichkeit machen Länder bereits Gebrauch, unter anderem auch Deutschland. So gibt es sozialgesetzliche Regelungen, die die Krankenkassen verpflichten, bei Rabattverträgen bestimmte Arzneimittel auch aus europäischer Produktion zu beziehen. Die verpflichtende Anwendung zusätzlicher Vergabekriterien wie Resilienz oder EU-Produktion ist aus Sicht der DSV schwer messbar, schränkt die Flexibilität der Ausschreibungen für Auftraggeber ein und führt in Kombination mit der Pflicht zur Mehrfachvergabe dazu, dass weniger Unternehmen überhaupt bieten können. Dies könnte zu erheblichen Kostensteigerungen für Arzneimittel führen, ohne eine Verbesserung der Versorgung zu garantieren. Die Vergabekriterien sollten daher optional bleiben.
- dass nach den Vorschlägen von Sokoll in öffentlichen Ausschreibungen künftig auch Preisanpassungen möglich sein sollen, die vor allem bei Mehrjahresverträgen greifen sollen, um den Unternehmen Planungssicherheit zu geben. So sollen Auftraggeber im Voraus Mindestmengen und vertragliche Laufzeiten festlegen, während Auftragnehmer ihre Preise während der Vertragslaufzeit anpassen können (z. B. bei Kostensteigerungen). Entsprechende Vorgehensweisen sind schon heute möglich und werden zumindest in Deutschland bereits durch eine gesetzliche Regelung praktiziert, wonach das Pharmaunternehmen seinen Preis um den Anstieg des Verbraucherpreisindex erhöhen darf, ohne dafür einen zusätzlichen Abschlag zahlen zu müssen. Eine darüberhinausgehende Preiserhöhung wäre daher kaum zu rechtfertigen und würde das Gesundheitssystem unnötig belasten. Bei anderen Preisbildungsmechanismen, die Verhandlungen zwischen Pharmaunternehmen und Krankenkassen vorsehen, sind einseitige Möglichkeiten zur Preisanpassung nicht gerechtfertigt und widersprechen grundlegenden Marktmechanismen. Zudem umfassen Mehrjahresverträge in Deutschland üblicherweise überschaubare Laufzeiten (meist nicht länger als zwei Jahre) und bergen daher keine unkalkulierbaren Risiken. Sie sind nicht nur für den Auftraggeber, sondern auch für den Auftragnehmer vorteilhaft, da sie Planungssicherheit bieten.
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Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund), die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), der GKV-Spitzenverband, die Verbände der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen auf Bundesebene sowie die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) haben sich mit Blick auf ihre gemeinsamen europapolitischen Interessen zur „Deutschen Sozialversicherung Arbeitsgemeinschaft Europa e.V.“ zusammengeschlossen. Der Verein vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber den Organen der Europäischen Union sowie anderen europäischen Institutionen und berät die relevanten Akteure im Rahmen aktueller Gesetzgebungsvorhaben und Initiativen. Die Kranken- und Pflegeversicherung mit 75 Millionen Versicherten, die Rentenversicherung mit 57 Millionen Versicherten und die Unfallversicherung mit mehr als 70 Millionen Versicherten in 5,2 Millionen Mitgliedsunternehmen bieten als Teil eines gesetzlichen Versicherungssystems den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland wirksamen Schutz vor den Folgen großer Lebensrisiken.
DSV-Statement zum Berichtsentwurf von Tomislav Sokol zur Verordnung zu kritischen Arzneimitteln