Kritisch, digital, souverän:
Die Sozialversicherung als Treiber für Europas Wettbewerbsfähigkeit

Gemeinsames Statement der Deutschen Sozialversicherung (DSV), der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund), der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und des GKV-Spitzenverbandes

Die deutschen Sozialversicherungssysteme fördern den gesellschaftlichen Zusammenhalt durch die Absicherung elementarer Lebensrisiken und tragen maßgeblich zum sozialen Frieden bei. Effektiver Sozialschutz verbessert nicht nur die soziale Teilhabe, sondern unterstützt dabei, Versicherte lange im Erwerbsleben zu halten, was wiederum zu nachhaltigem Wachstum in Europa und dessen Resilienz beiträgt. Leistungsfähige Systeme der sozialen Sicherheit sichern somit die Zukunft Europas.

Der digitale Wandel kann hier zum Katalysator werden: Wenn versichertennahe Prozesse standardmäßig digital angeboten werden, verbessern sich nicht nur Service und Erreichbarkeit, sondern es entstehen auch zusätzliche Potenziale für Automatisierung und den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI). So kann die Sozialversicherung Leistungen schneller, effizienter und bürgernäher bereitstellen.

Im Rahmen dieses digitalen Wandels ermöglichen digitale Anwendungen und KI, Ressourcen effizient einzusetzen und den Auswirkungen des demografischen Wandels und Fachkräftemangels wirksam zu begegnen. Europaweit interoperable Systeme und europäische Datenräume bilden die Grundlage für eine engere Verwaltungszusammenarbeit und Entbürokratisierung. Dies fördert Produktivität und Innovation – und macht deutlich: Digitalisierung im öffentlichen Sektor ist ein Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit Europas.

Digitale Innovationen sind daher weiter voranzubringen und regulatorische Vorgaben in praxisnahe Lösungen zu übersetzen. Dazu gehört ausdrücklich auch der verantwortungsvolle Einsatz von KI. Überall dort, wo sie für die Verwaltung, die Unternehmen, die Bürgerinnen und Bürger sowie für die Beschäftigten einen echten Mehrwert schafft, soll KI gezielt genutzt werden. Die Sozialversicherung kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass Deutschland bei der Digitalisierung der Verwaltung im europäischen Vergleich spürbar vorankommt.

Um das Potenzial digitaler Technologien voll ausschöpfen zu können, braucht es politische Unterstützung auf europäischer und nationaler Ebene und verlässliche Rahmenbedingungen. Klar ist: Die Sozialversicherung ist ein zentraler Motor des digitalen Wandels – und sollte darum von Beginn an aktiv eingebunden sein.

Kohärenter Rechtsrahmen für die digitale Transformation

Die DSV unterstützt ausdrücklich, dass die Europäische Union einen Rahmen für den digitalen Wandel in der Verwaltung setzt. Mit Instrumenten wie der Datenschutz-Grundverordnung, dem AI Act, der Apply AI Strategy und dem geplanten Cloud and AI Development Act werden wichtige Leitplanken gezogen. Ergänzend schaffen die eIDAS-Verordnung, das Single Digital Gateway, das Once-Only Technical System und der Interoperable Europe Act notwendige technische und organisatorische Voraussetzungen, damit Interoperabilität verwaltungsübergreifend Realität wird.

Gleichzeitig schafft die Bundesregierung auf nationaler Ebene ein Fundament für die sichere und verantwortungsvolle Nutzung digitaler Technologien. Das Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung (BMDS) treibt mit seiner Modernisierungsagenda strategisch Infrastruktur, Datenpolitik und digitale Souveränität voran – mit einem klaren Fokus auf den sicheren Einsatz von KI- und Cloud-Technologien. Gleichzeitig nimmt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die arbeits- und sozialpolitischen Auswirkungen digitaler Innovationen in den Blick. Gemeinsam mit den Sozialversicherungsträgern wurden bereits selbstverpflichtende Leitlinien für den verantwortungsvollen KI-Einsatz in der Arbeits- und Sozialverwaltung entwickelt.

Damit diese Fortschritte Wirkung entfalten und die Chancen der Digitalisierung voll ausgeschöpft werden können, fordert die Deutsche Sozialversicherung:

  • die konsequente Verzahnung europäischer und nationaler Vorgaben und eine effiziente gemeinsame Governance-Struktur, um klare Zuständigkeiten zu schaffen und eine transparente und sichere Datenverarbeitung zu gewährleisten,
  • die kohärente Weiterentwicklung des Politikprogramms für die digitale Dekade und der begleitenden horizontalen Rechtsakte im Zusammenspiel mit sektoralen Vorhaben wie dem Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) und dem Europäischen Sozialversicherungsausweis (ESSPASS),
  • die Sicherstellung von Kompatibilität zwischen europäischen Lösungen und nationalen Infrastrukturen, um Doppelstrukturen zu vermeiden und nahtlose Schnittstellen zu europäischen Diensten – etwa im Gesundheitswesen oder in der Sozialversicherung – zu ermöglichen,
  • die anwenderfreundliche, bürokratiearme und praxistaugliche Umsetzung der europäischen Regelungen, um das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern wie auch von Beschäftigten zu sichern.

Verantwortungsvoller Einsatz digitaler Anwendungen

KI eröffnet der Sozialversicherung erhebliche Chancen – von der effizienteren Bereitstellung von Leistungen über moderne Arbeitsschutzmaßnahmen bis hin zu einer vorausschauenden Gesundheitsversorgung. Voraussetzung ist jedoch ein nutzerorientierter und verantwortungsvoller Einsatz, bei dem Datenschutz, Grundrechte, Nichtdiskriminierung und Transparenz gewahrt bleiben. Dass dies gelingen kann, zeigen zahlreiche Praxisbeispiele: Sozialversicherungsträger nutzen bereits heute KI-Anwendungen zur Fehlererkennung, zur Aufbereitung unstrukturierter Dokumente oder zur Unfallvermeidung durch KI-gestützte Vorhersagemodelle. In der gesetzlichen Krankenversicherung unterstützen KI-Verfahren eine bessere Versorgung, etwa durch die Analyse medizinischer Daten für die Früherkennung von Erkrankungen und zur Unterstützung von Versicherten oder durch die Optimierung von Behandlungsabläufen. Diese Erfahrungen belegen, dass digitale Technologien verantwortungsvoll und gewinnbringend eingesetzt werden können – für Versicherte, Verwaltungen und Arbeitgeber gleichermaßen.

Mit dem AI Act schafft die Europäische Union erstmals einen umfassenden Ordnungsrahmen für die Entwicklung, das Inverkehrbringen und die Nutzung von KI-Systemen. Dieser sichert Transparenz, ethische Standards, Datenqualität, menschliche Aufsicht und Nachvollziehbarkeit. Entscheidend ist, dass die Vorgaben für hochriskante KI-Anwendungen realistisch und praxistauglich ausgestaltet werden. Gerade weil die öffentliche Verwaltung bereits durch den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel stark unter Druck steht, braucht sie den Abbau von Bürokratie und handhabbare Lösungen.

Technik allein genügt jedoch nicht – entscheidend ist die Akzeptanz und aktive Einbindung der Mitarbeitenden. Nur wenn Technik und Menschen gleichermaßen gestärkt werden, kann die Transformation nachhaltig gelingen. Für den verantwortungsvollen Einsatz digitaler Anwendungen fordert die Deutsche Sozialversicherung daher die konsequente Investition in zwei Kernbereiche:

  • den Ausbau und die Weiterentwicklung von souveränen europäischen Infrastrukturen wie sichere Cloud-Lösungen, interoperable Verwaltungsverfahren und moderne Schnittstellen,
  • die Qualifizierung von Beschäftigten, begleitendes Change-Management bei der Einführung digitaler Anwendungen und Maßnahmen zur Förderung einer innovationsfreundlichen Verwaltungskultur.

Europäische Kooperation und Interoperabilität

Grenzüberschreitende Arbeitskräftemobilität zu fairen Bedingungen ist ein zentraler Baustein des europäischen Sozialmodells. Sie stärkt die wirtschaftliche und soziale Aufwärtskonvergenz und ist zugleich ein entscheidender Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit Europas. Die Europäische Kommission setzt hierfür wichtige Impulse, indem sie die Möglichkeiten der Digitalisierung gezielt zur Förderung grenzüberschreitender Beschäftigung nutzt. Sowohl in der Labour Mobility Roadmap (Ende 2025) als auch im Fair Labour Mobility Package (Frühjahr 2026) wird sie dem Thema Digitalisierung einen besonderen Stellenwert einräumen. Die Sozialversicherung trägt aktiv dazu bei, dass diese Vorhaben praxistauglich werden – etwa durch ihre Beteiligung an europaweiten Pilotprojekten wie DC4EU und WE BUILD. Damit bringt sie ihre Erfahrung direkt in die europäische Diskussion ein und stärkt die enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission. Zentrale Bausteine europäischer Interoperabilität wie die European Digital Identity Wallet (EUDI Wallet) zur Authentifizierung von Personen und der Speicherung europaweit verifizierbarer digitaler Nachweise entstehen so bereits heute im engen Austausch mit der Sozialversicherung.

Um die Vorteile grenzüberschreitender Arbeitskräftemobilität voll auszuschöpfen, müssen digitale Verwaltungsverfahren und europäische Interoperabilität konsequent umgesetzt werden. Große Chancen liegen dabei in der Entwicklung und Einführung des ESSPASS und der Implementierung des EU-weiten Zugangs zu Gesundheitsdaten in Versorgung und Forschung auf der Grundlage des EHDS. Darüber hinaus sollten Initiativen zur Förderung von Arbeitskräftemobilität Maßnahmen im Blick behalten, die eine Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa modernisieren, vereinfachen und digitalisieren. Vorbild ist die erfolgreiche Einführung des Elektronischen Austauschs von Sozialversicherungsdaten (EESSI).

Erfahrungen aus der Verwaltungspraxis sind unverzichtbar, um Maßnahmen praxisnah zu gestalten und eine effiziente, sachgerechte und wirtschaftliche Implementierung zu gewährleisten. Daher fordert die Deutsche Sozialversicherung:

  • auf europäischer Ebene die Expertise der Sozialversicherung konsequent einzubeziehen, um bei Maßnahmen zur europäischen Interoperabilität auf vorhandene Erfahrung zurückzugreifen,
  • auf nationaler Ebene die Sozialversicherung in die Entscheidungsstrukturen von Bund und Ländern einzubinden, um bei erfolgskritischen zentralen Vorhaben – zum Beispiel dem National Once-Only Technical System zur Registermodernisierung – frühzeitig beteiligt zu sein.

Über uns

Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund), die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), der GKV-Spitzenverband, die Verbände der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen auf Bundesebene sowie die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) haben sich mit Blick auf ihre gemeinsamen europapolitischen Interessen zur „Deutschen Sozialversicherung Arbeitsgemeinschaft Europa e.V.“ zusammengeschlossen. Der Verein vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber den Organen der Europäischen Union sowie anderen europäischen Institutionen und berät die relevanten Akteure im Rahmen aktueller Gesetzgebungsvorhaben und Initiativen. Die Kranken- und Pflegeversicherung mit 75 Millionen Versicherten, die Rentenversicherung mit 57 Millionen Versicherten und die Unfallversicherung mit mehr als 70 Millionen Versicherten in 5,2 Millionen Mitgliedsunternehmen bieten als Teil eines gesetzlichen Versicherungssystems den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland wirksamen Schutz vor den Folgen großer Lebensrisiken.

DSV-Statement zur Sozialversicherung als Treiber für Europas Wettbewerbsfähigkeit