Feedback der Deutschen Sozialversicherung vom 2. Oktober 2025

Sondierung der Europäischen Kommission zur gezielten Überarbeitung der EU-Vorschriften für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika


Vorbemerkung

Die Medizinprodukteverordnung VO (EU) 2017/745 (Medical Device Regulation, MDR) und die Verordnung über In-vitro-Diagnostika VO (EU) 2017/746 (In-vitro-Diagnostica Regulation, IVDR) stellen grundlegende Anforderungen an den Zulassungsprozess dieser Produkte in der Europäischen Union (EU).

Vor dem Hintergrund der anhaltenden Debatte über die Sicherstellung der Verfügbarkeit und Versorgung mit Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika, der für 2025/2026 vorgesehenen Evaluierung des regulatorischen Rahmens sowie der Kritik an der praktischen Umsetzung sieht die Europäische Kommission Handlungsbedarf. Die Europäische Kommission plant daher eine gezielte Überarbeitung der MDR und IVDR. Ziel ist es, den Rechtsrahmen durch weniger Verwaltungsaufwand, größere Planbarkeit für Unternehmer, Benannte Stellen und nationale Behörden und höhere Kosteneffizienz zu straffen und zugleich ein hohes Maß an Patientensicherheit und Gesundheitsschutz zu gewährleisten.

Gezielte legislative Anpassungen können daher förderlich sein, um die Ziele der MDR und IVDR zu erreichen, auch mit Blick darauf, dass Hersteller und Benannte Stellen beim Übergang vom bisherigen Rechtsrahmen erhebliche Schwierigkeiten hatten. Aus Sicht der DSV ist eine gezielte Überarbeitung der MDR und IVDR jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn sie unnötige administrative Belastungen abbaut und den Zugang Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika erleichtert – vorausgesetzt, die Patientensicherheit und die Qualität klinischer Daten bleiben uneingeschränkt gewährleistet. Zugleich weist die DSV darauf hin, dass jede Reform nur dann tragfähig ist, wenn sie ausgewogen bleibt, auf belastbarer Evidenz basiert und die Versorgung der Patientinnen und Patienten nachhaltig sichert und verbessert. Deswegen ist eine Folgenabschätzung nach den Maßstäben des „Better Regulation“-Prinzips unerlässlich.

Grundsätzlich begrüßt die DSV jedoch Maßnahmen, die Zertifizierungsprozesse für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika beschleunigen und Anreize schaffen, damit Hersteller auf dem europäischen Markt präsent bleiben. Solche Maßnahmen müssen jedoch Gegenstand anderer Gesetzgebung sein und dürfen nicht mit den nun geplanten gezielten Anpassungen vermischt werden. Weitere umfangreichere legislative Änderungen an der MDR und IVDR sollten nur auf Basis verlässlicher Evidenz aus der laufenden Evaluierung erfolgen.

Stellungnahme

Bürokratieabbau unter Wahrung der Ziele der MDR und IVDR

Aus Sicht der DSV dürfen Anpassungen an den EU-Vorschriften für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika nicht zulasten der Patientensicherheit gehen. Jede Änderung muss gewährleisten, dass die zentralen Ziele der MDR und IVDR gewahrt bleiben: die Qualität klinischer Daten zu verbessern, die Transparenz durch eine konsequente Nutzung von EUDAMED zu erhöhen und die Arbeit der Benannten Stellen europaweit zu harmonisieren. Der Schwerpunkt einer Überarbeitung sollte daher darauf liegen, Hersteller und Benannte Stellen von überflüssigen Dokumentationspflichten zu entlasten. Wo immer möglich, sind die erforderlichen Dokumentations- und Meldeverfahren zu digitalisieren.

Orphan Devices: Zugang erleichtern, Sicherheit wahren

Sowohl Hersteller als auch Gesundheitsdienstleister betonen den dringenden Bedarf, den Marktzugang für Orphan-Medizinprodukte, die für die Behandlung seltener Krankheiten oder Zustände bestimmt sind. Ohne Anpassungen besteht die Gefahr, dass insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, als Treiber von Innovationen, durch die Anforderungen der MDR und IVDR von einer Markteinführung in Europa abgeschreckt werden.

Eindeutige Definitionen und Begriffsbestimmungen in die MDR integrieren

“Orphan Devices” sind Medizinprodukte, die für die Diagnose, Behandlung oder Prävention von Krankheiten bestimmt sind, von denen in der EU nicht mehr als 12.000 Patientinnen und Patienten pro Jahr betroffen sind. Die Koordinierungsgruppe Medizinprodukte (MDCG) hat hierzu Leitlinien veröffentlicht (z. B. MDCG 2024-10). Viele der Empfehlungen sind sinnvoll und werden von der DSV begrüßt, daher sollte ihr Inhalt verbindlich in die Rechtsgrundlagen der MDR und IVDR aufgenommen werden.

Um die administrative Belastung für Hersteller und Benannte Stellen zu verringern, sind klare Definitionen und eindeutige Begriffsbestimmungen erforderlich. Aus Sicht der DSV müssen die Verfahren zur Anerkennung von Orphan Devices sowie deren Inverkehrbringen verbindlich, zentral, einheitlich und transparent in die MDR integriert werden. Die von der MDCG vorgeschlagenen Definitionen – „Orphan Device“, „Orphan Population“ und „Orphan Subpopulation“ – sollten in die MDR übernommen werden, um Rechtsklarheit zu schaffen.

Anforderungen an die klinische Bewertung und Marktbeobachtung regeln

Es ist entscheidend, dass der Zugang von Patientinnen und Patienten zu Orphan Devices – wenn zum Zeitpunkt der CE-Zertifizierung noch keine ausreichenden klinischen Daten zu Sicherheit und Wirksamkeit vorliegen – ausschließlich unter klinisch kontrollierten Bedingungen erfolgt. Angesichts der begrenzt verfügbaren Daten muss im Rahmen der Zulassung sichergestellt werden, dass klare Qualitätsanforderungen an die Anwender und Einrichtungen (z. B. Krankenhäuser, Arztpraxen) gelten und verbindliche Vorgaben für die Gewinnung der fehlenden Daten bestehen. Diese Daten sind in der frühen Phase der “Post-Market Clinical Follow-Up (PMCF)-Periode” zu erheben. Die Anforderungen an die Evidenz zur klinischen Leistungsfähigkeit müssen ebenso streng bleiben wie bei anderen Hochrisikoprodukten.

Europaweite Erfassung und zentrale Bündelung klinischer Daten für Orphan Devices

Orphan Devices kommen nur in kleinen Patientengruppen zum Einsatz. Die Gewinnung aussagekräftiger klinischer Daten stellt daher eine besondere Herausforderung dar. Um die Versorgungsqualität in den betroffenen Indikationen systematisch zu erfassen und gleichzeitig den Herstellern die Möglichkeit zur Generierung notwendiger Evidenz zu geben, fordert die DSV die Einrichtung europaweiter Register oder die Zusammenführung bestehender nationaler Register. In diesen Registern sollten möglichst alle betroffenen Patientinnen und Patienten EU-weit erfasst werden. Wenn in einer Indikation mehrere Orphan Devices verfügbar sind, sind die zugehörigen Behandlungsdaten gemeinsam zu dokumentieren, auszuwerten und in regelmäßigen Abständen zu veröffentlichen.

In diesem Zusammenhang hat die DSV bereits in einer Stellungnahme Empfehlungen zu den Zertifizierungs- und Zulassungsverfahren für Orphan Devices vorgelegt.


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DSV-Feedback zur gezielten Überarbeitung der MDR/IVDR