Stärkere Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmenden gefordert.

IK – 07/2021

Die Corona-Pandemie hat sich zum Treiber der Telearbeit entwickelt. Einer Umfrage der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) zufolge arbeiteten im Juli 2020 34 % der Befragten ausschließlich von zu Hause aus, im Jahr zuvor waren es nur 5,4 % der Beschäftigten. Auch nach der Pandemie wollen rund drei Viertel (74 %) der Arbeitnehmenden in der EU zumindest gelegentlich von zu Hause aus arbeiten, wie ein Update der Eurofound-Untersuchung aus dem Frühjahr 2021 ergeben hat.

Doch noch ist der Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei der Umsetzung von langfristig tragenden, beiderseitig fair ausgestalteten Rahmenbedingungen bei der Telearbeit sehr tief. Um diese Lücke zu schließen, besteht ein starker Handlungs- und Regulierungsbedarf. Die Europäische Kommission ist deshalb dringend gefordert, die aktuellen Rechtsvorschriften weiterzuentwickeln.

Telearbeit aus Sicht der Arbeitnehmenden und Unternehmerschaft

Aus Sicht der Arbeitnehmenden sprechen einige Vorzüge für die Telearbeit: Sie kann oftmals zeitlich flexibler gestaltet werden und bietet räumliche Unabhängigkeit – zwei Faktoren, die mit einer besseren Nutzung der Zeit, oft verbunden mit einer reibungsloseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, einhergehen können.  Darüber hinaus stärkt Telearbeit die Autonomie des Arbeitens, was oft mit einer stärkeren persönlichen Zufriedenheit verbunden ist.

Auch aus Sicht der Unternehmen bietet Telearbeit als Arbeitsform ebenfalls Vorteile: Oft arbeitet die Belegschaft – kostensparend für das Unternehmen - mit eigener technischer Ausstattung? und in den eigenen Räumlichkeiten. Die Trennung zwischen Arbeit und Privatleben wird fließend. Oft sitzt die Belegschaft über ihre Arbeitszeit hinaus am Bildschirm. Die Nichterreichbarkeit der Arbeitnehmenden perforiert sich. Sie werden immer häufiger jederzeit abrufbar. Innovative Möglichkeiten Überwachung und Datensammlung gegebenenfalls zur Sanktionierung der Mitarbeiterschaft ergeben sich über die technischen Geräte wie PC, Monitor und Kamera.

Telearbeit in der Realität

Mit der Telearbeit geht häufig der Grundsatz, nach dem Unternehmer unternehmerische Verantwortung tragen, teilweise auf die Arbeitnehmerschaft über. Der Unternehmer entledigt sich somit der „Pflicht“ – unter Bewahrung seiner „Rechte“.  Für die Arbeitnehmer werden die Arbeitsbedingungen nun aber oft komplizierter: So ist häufig die Ausstattung nicht optimal, die räumlichen Gegebenheiten nicht adäquat. Arbeitslast und eine zunehmend unausgewogene Work-Life-Balance führen zu Gesundheitsrisiken: Von körperlichen Problemen wie Rückenschmerzen oder Folgeerscheinungen von Gewichtszunahme bis hin zur psychischen Beeinträchtigung aufgrund von Stress, dem Druck der ständigen Erreichbarkeit, Isolation oder Angstzuständen. Die oft als Positivargument vorgebrachte bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird mangels Abgrenzungsmöglichkeiten zur neuen Herausforderung.

Stärkere und aktuellere Regelungen sind notwendig

Um Arbeitnehmer zu schützen, sind insbesondere aus Sicht der Arbeitnehmervertreter stärkere Rechtsrahmen auf EU-Ebene notwendig.  Als positives Zeichen in diese Richtung kann gewertet werden, dass dem Thema Telearbeit inzwischen eine hohe Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, etwa mit deren Verankerung im Aktionsplan zur Europäischen Säule Sozialer Rechte (ESSR).  Auch gibt es bereits Regelungen zur Ausgestaltung der Telearbeit, etwa das Rahmenabkommen über die Telearbeit von 2002 oder die Empfehlungen des Europäischen Parlaments zum Thema „Recht auf Nichterreichbarkeit“ aus diesem Jahr. Diese Regelungen müssen aber konsequent anhand der aktuellen Gegebenheiten weiterentwickelt werden.

Darüber hinaus ist die Implementierung von Kollektivvereinbarungen etwa zum Schutz der Privatsphäre des Mitarbeitenden, das Recht zur Vereinigungsfreiheit sowie die Transparenz über Überwachung und Kontrolle durch das Unternehmen dringend erforderlich. Schließlich benötigt Telearbeit spezifische Rechtsvorschriften, die aufgrund der Ortsunabhängigkeit des Arbeitnehmenden global gelten müssen. Als ein Meilenstein kann auch die am 14. Juni 2021 vom Europäischen Rat angenommenen Schlussfolgerungen zu diesem Thema gesehen werden. Darin werden die Mitgliedstaaten unter anderem aufgefordert, Leitlinien in Bezug auf die Organisation und Überwachung der Arbeitszeit zu erarbeiten, Initiativen zur Stärkung der Arbeitsaufsicht, des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit am Arbeitsplatz zu entwickeln oder zu prüfen, ob das geltende Sozial- und Arbeitsrecht in der EU menschenwürdige Arbeitsbedingungen für Telearbeitende gewährleistet.