Vorschlag der EU-Kommission zur Änderung der Richtlinie 2009/148/EG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz

Stellungnahme der Deutschen Sozialversicherung

vom 31. Januar 2023


Vorbemerkung

Die Europäische Kommission hat am 28. September 2022 ihren Änderungsvorschlag zur Richtlinie 2009/148/EG über den Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gegen die Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz (Asbestrichtlinie) veröffentlicht (COM(2022) 489 final).

Die Spitzenorganisationen der Deutschen Sozialversicherung begrüßen das mit der Initiative der Europäischen Kommission beabsichtigte Ziel, die Exposition der Arbeitnehmerinnern und Arbeitnehmer gegenüber Asbest weiter zu verringern. Nach Angaben der Europäischen Kommission sind berufsbedingte Krebserkrankungen die häufigste Ursache für arbeitsbedingte Todesfälle in Europa. Darüber hinaus stehen derzeit 78 Prozent der in den Mitgliedstaaten anerkannten berufsbedingten Krebserkrankungen im Zusammenhang mit Asbest. Zwischen Exposition und den ersten Krankheitsanzeichen liegen durchschnittlich mehr als 30 Jahre. Daher können Krebserkrankungen auch noch Jahrzehnte nach der beruflichen Exposition auftreten. Zum Teil sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer dann bereits im Ruhestand.

Ziel des Arbeitsschutzes ist es, die Inzidenz durch Asbest verursachter Erkrankungen soweit wie möglich zu reduzieren. Deshalb müssen die Präventionsmaßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor der Exposition gegenüber Asbest verstärkt werden. Dies ist insbesondere auch mit Blick auf die energetische Gebäudesanierung und die zu erwartende „Renovierungswelle“ im Rahmen des Europäischen Green Deals zwingend notwendig.

Wirksame Präventionsmaßnahmen tragen auch dazu bei, die finanziellen Belastungen der zuständigen Sozialversicherungsträger, die durch Krankheit oder Erwerbsunfähigkeit entstehen, zu vermeiden und die Sozialversicherungssysteme zu stabilisieren.

Der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Anpassung der geltenden Asbestrichtlinie an den aktuellen wissenschaftlichen Stand ist in diesem Kontext ein konstruktiver Beitrag. Vor dem Hintergrund eines kontinuierlichen wissenschaftlichen und technischen Fortschritts können in Zukunft gegebenenfalls Anpassungen erfolgen, die zu einem noch höheren Arbeitsschutz führen.




Anmerkungen zu einzelnen Vorschriften

Vorschlag der Europäischen Kommission: Artikel 1 Nummer 4 (Änderung Artikel 7 der Richtlinie 2009/148/EG) Gliederung 2

Methoden zur Analyse von Asbestfasern

Die Europäische Kommission schlägt vor, Artikel 7 Absatz 6 Unterabsatz 1 der Asbestrichtlinie dahingehend zu ändern, dass Asbestfasern mit dem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO 1997) empfohlenen Phasenkontrastmikroskop (PCM) zu zählen sind. Alternativ sollen jedoch auch Verfahren, die zu gleichwertigen oder besseren Ergebnissen führen, wie etwa ein Verfahren auf der Grundlage der Elektronenmikroskopie (EM), möglich sein.

Die Deutsche Sozialversicherung unterstützt grundsätzlich das Ziel, die Methoden der Asbestfasermessverfahren europaweit zu modernisieren. Eine alternative Anwendung verschiedener Messverfahren wird jedoch kritisch gesehen. Die fortgesetzte Bezugnahme auf die Phasenkontrastmikroskopie-Methode (WHO 1997) stellt sicher, dass vergangene Ergebnisse mit zukünftigen Messergebnissen übereinstimmen und dass Messergebnisse aus verschiedenen Ländern mit-einander vergleichbar sind. Sofern unterschiedliche Verfahren der Lichtmikroskopie oder Verfahren der Elektronenmikroskopie (TEM und REM) angewandt werden, ist eine Vergleichbarkeit der Analyseergebnisse und damit auch eine Gefährdungsbeurteilung basierend auf einem festgelegten Grenzwert nicht möglich. Denn die verschiedenen Methoden bewerten im Ergebnis unterschiedliche Zahlen an Asbestfasern unterschiedlicher Länge und nicht ausschließlich nach der Definition „WHO-Fasern“. Eine Anpassung des Grenzwertes entsprechend der jeweils angewandten Methode wäre dann unabdingbar. In der Folge müsste mit unterschiedlichen Grenzwerten gearbeitet werden, was die Kontrolle der Einhaltung der Arbeitsschutzvorgaben im Ergebnis erschwert und international nicht vergleichbar macht.


Vorschlag der Europäischen Kommission: Artikel 1 Nummer 5 (Änderung Artikel 8 der Richtlinie 2009/148/EG)

Absenkung des Arbeitsplatzgrenzwertes von 0,1 auf 0,01 f/cm³ als Schichtmittelwert

Die Europäische Kommission schlägt eine Absenkung des Grenzwertes von 0,1 Fasern/cm³ auf 0,01 f/cm³ vor, indem durch Artikel 1 Nummer 5 der Artikel 8 der Asbestrichtlinie ersetzt wird. In der Folge sollen die Arbeitgeber verbindlich sicherstellen, dass keine Arbeitnehmerin und kein Arbeitnehmer einer höheren Asbestkonzentration in der Luft als 0,01 f/cm³ ausgesetzt werden. Der neue Arbeitsplatzgrenzwert soll wie bisher als Schichtmittelwert gemessen werden. Ausschlaggebend für die Einhaltung oder Nichteinhaltung des Grenzwertes wird somit eine durchschnittliche Asbestkonzentration, die innerhalb einer achtstündigen Arbeitsschicht ermittelt wird.

Der vorgeschlagene Ansatz spiegelt nach Aussage der Europäischen Kommission die neuesten wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen wider und trägt signifikant zu einer Verbesserung des Schutzes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor einer Gefährdung durch Asbest bei. Das Ziel eines hohen Arbeitsschutzes wird von den deutschen Sozialpartnern geteilt. Daher wird der Vorschlag der Europäischen Kommission von der Deutschen Sozialversicherung unterstützt.

Absenkung des Arbeitsplatzgrenzwertes von 0,1 auf 0,001 f/cm³ als Momentanwert

Das Europäische Parlament hatte im Oktober 2021 unter Berufung auf die Inter-nationale Kommission für Arbeitsmedizin in einer Entschließung einen noch deutlich strengeren Grenzwert von 0,001 f/cm³ gefordert. Anders als im Vor-schlag der Europäischen Kommission sollte dieser zudem nicht als Schichtmittelwert ermittelt werden. Gemessen werden sollte der Momentanwert, d. h. die Konzentration in einer (personenbezogenen) Kurzzeitwertphase, die zu keinem Zeitpunkt überschritten werden darf.

Die Deutsche Sozialversicherung sieht die Vorgabe eines strengeren Grenzwertes von nur 0,001 f/cm3 prinzipiell positiv. Hinsichtlich der Praktikabilität, diesen als Momentanwert feststellen zu wollen, bestehen aber große Zweifel.

Zum einen ist die Einführung eines Momentanwertes nicht zielführend. Nach heutigem Wissensstand werden Momentanwerte als Messgröße für akut wirken-de Stoffe verwendet, insbesondere für lokal wirksame, atemwegssensibilisieren-de, ätzende oder reizende Stoffe. Asbest erzeugt aber keine akuten Symptome im menschlichen Körper. Daher ist der Momentanwert toxikologisch nicht begründbar.

Zum anderen ist ein Momentanwert von 0,001 f/cm³ nach heutigem technischem Stand nicht messbar. Eine solch starke Absenkung erfordert entweder eine Verlängerung der Probeentnahmedauer, sofern dies die Tätigkeit zulässt, oder einen erheblichen analytischen Mehraufwand. Die Einhaltung eines 0,001 f/cm³ Grenzwertes wäre bereits als Schichtmittelwert eine große Herausforderung und messtechnisch nur mit hohem analytischem Aufwand überprüfbar. Nach derzeitigem technischem Stand gibt es nur sehr wenige Tätigkeiten beziehungsweise Arbeitsverfahren, bei denen die Anforderung von 0,001 f/cm³ sicher eingehalten werden könnte.

Die Deutsche Sozialversicherung begrüßt ausdrücklich, dass der Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vor Asbestexposition im Europäischen Parlament einen hohen Stellenwert hat. Der von den Parlamentarierinnen und Parlamentariern favorisierte Grenzwert von 0,001 f/cm³ stellt perspektivisch eine erstrebenswerte Zielgröße dar. Von der Deutschen Sozialversicherung wird der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Expositionswert von 0,01 f/cm3 als ein Einstieg in einen Prozess und als Aufforderung gesehen, den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Asbest kontinuierlich zu verbessern. Eine Entscheidung für einen höheren Grenzwert muss aber in Abhängigkeit von den technischen Realisationsmöglichkeiten erfolgen und kann gegebenenfalls stufenweise umgesetzt werden.





Über uns

Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund), die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), der GKV-Spitzenverband, die Verbände der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen auf Bundesebene sowie die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) haben sich mit Blick auf ihre gemeinsamen europapolitischen Interessen zur „Deutschen Sozialversicherung Arbeitsgemeinschaft Europa e.V.“ zusammengeschlossen. Der Verein vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber den Organen der Europäischen Union sowie anderen europäischen Institutionen und berät die relevanten Akteure im Rahmen aktueller Gesetzgebungsvorhaben und Initiativen. Die Kranken- und Pflegeversicherung, die Rentenversicherung und die Unfallversicherung bieten als Teil eines gesetzlichen Versicherungssystems wirksamen Schutz vor den Folgen großer Lebensrisiken.

DSV-Stellungnahme Asbest