Vorschlag für eine Richt­linie zur Harmo­ni­sie­rung bestimmter Aspekte des Insol­venz­rechts

(COM(2022) 702 final)

Stellungnahme der Deutschen Sozialversicherung

vom 17. März 2023


Vorbe­mer­kung

Am 7. Dezember 2022 hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag für eine Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts veröffentlicht. Ziel des Richtlinienentwurfs ist es, die bestehenden Fragmentierungen innerhalb der nationalen Insolvenzvorschriften zu verringern. Dazu sollen u. a. die Bedingungen für die Anfechtungsklage harmonisiert werden.

Die Deutsche Sozialversicherung regt an, die neue Richtlinie zu nutzen, um die Rechtsposition der Sozialversicherungsträger in Insolvenzverfahren zu stärken und die Forderungen von Trägern der sozialen Sicherheit von der Anfechtbarkeit auszunehmen. Dies ist dadurch begründet, dass privatrechtliche Forderungen und einzuziehende Sozialversicherungsbeiträge nicht gleichzustellen sind. Im Unterschied zu privatrechtlichen Gläubigern sind die Sozialversicherungsträger aufgrund der bestehenden gesetzlichen Versicherungs- und Kontrahierungspflichten Zwangsgläubiger. Für die Ausnahme von der Anfechtbarkeit bereits erfolgter Beitragszahlungen spricht auch, dass Sozialversicherungsbeiträge integraler Bestandteil der Lohn- und Gehaltszahlungen und wie diese im Rahmen von Insolvenzverfahren bevorzugt zu behandeln sind. Zudem werden durch einen Beitragsausfall bei Insolvenz oder einer Anfechtung bereits gezahlter Sozialversicherungsbeiträge dem Sozialversicherungssystem Mittel entzogen, die gesetzlich zum Schutz der Versicherten und zur Stabilisierung des Systems der sozialen Sicherung vorgeschrieben sind.



Änderungs­vor­schlag

Ziel

In Artikel 6 der Richtlinie ist eine Regelung aufzunehmen, dass Rechtshandlungen des Schuldners, die zur Befriedigung oder Besicherung von Forderungen von Trägern der Sozialen Sicherheit dienen, nicht der Anfechtbarkeit unterliegen. Der relevante Erwägungsgrund ist ebenfalls entsprechend zu ergänzen.

Änderungs­vor­schlag: Erwä­gungs­grund 9

Artikel

Text der Kommission

wird zu

Vorschlag zur Änderung

(9)


Bestimmte kongruente Deckungen, nämlich Rechtshandlungen, die unmittelbar gegen eine angemessene Gegenleistung zum Vorteil der Insolvenzmasse vorgenommen werden, sollten von den Rechtshandlungen ausgenommen werden, die für nichtig erklärt werden können.

[…]

wird zu

Bestimmte kongruente Deckungen, nämlich Rechtshandlungen, die unmittelbar gegen eine angemessene Gegenleistung zum Vorteil der Insolvenzmasse vorgenommen werden, sollten von den Rechtshandlungen ausgenommen werden, die für nichtig erklärt werden können.

[…]

Außerdem werden Leistungen an die Träger der Sozialen Sicherheit, also insbesondere die Beitragszahlungen an die Sozialversicherung, von der Anfechtbarkeit ausgenommen. Hintergrund ist, dass die Träger der Sozialen Sicherheit als Zwangsgläubiger sonst gegenüber den übrigen Gläubigern benachteiligt wären und dass durch die Regelung die finanzielle Stabilität der Systeme der sozialen Sicherheit geschützt wird. Zudem könnte die faktische Befreiung von Sozialversicherungsbeiträgen in Folge der Anfechtbarkeit sowohl eine zweckwidrige Mittelverwendung zu Lasten der Beitragszahler als auch nach der Rechtsprechung des EuGHs (Urteil vom 17. September 2020, Aktenzeichen C212/19, Rn. 40) eine rechtswidrige Beihilfe zu Gunsten des insolventen Unternehmens darstellen.

Art. 6

Abs. 1, Buch- stabe d) NEU

Bevorzugung


(1)

(3) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass folgende Rechtshandlungen nicht für nichtig erklärt werden können:


[…]


wird zu

Bevorzugung


(1)

(3) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass folgende Rechtshandlungen nicht für nichtig erklärt werden können:


[…]


d) Rechtshandlungen, die zur

Befriedigung oder Besicherung von Forderungen von Trägern der sozialen Sicherheit dienen



Begrün­dung

Die Forderungen von Trägern der sozialen Sicherheit sind von der Anfechtbarkeit auszunehmen, denn eine rechtliche Gleichbehandlung privatrechtlicher Forderungen und einzuziehender Beitragsforderungen der Sozialversicherung führt zu einer einseitigen Benachteiligung der sozialen Sicherungssysteme gegenüber privatrechtlichen Gläubigern. Im Unterschied zu privatrechtlichen Gläubigern sind die Sozialversicherungsträger Zwangsgläubiger. Dies bedeutet, dass sie weder die Möglichkeit haben, sich die Schuldner der Sozialversicherungsbeiträge auszusuchen, noch, dass sie ihre gesetzlichen Leistungsverpflichtungen von der Gewährung von Sicherheiten des Schuldners abhängig machen können. Daher besteht für sie nicht die Möglichkeit, ihre Forderungen in vergleichbarer Weise wie privatrechtliche Gläubiger abzusichern. Zudem werden durch einen Forderungsausfall bei Insolvenz oder einer Anfechtung bereits gezahlter Sozialversicherungsbeiträge dem Sozialversicherungssystem Mittel entzogen, deren Verwendung gesetzlich zum Schutz der Versicherten und zur Stabilisierung des Systems der sozialen Sicherung vorgeschrieben ist. Eine Mittelverwendung zum Zweck der Befriedigung privatrechtlicher Gläubiger eines Insolvenzschuldners oder zur Sanierung eines Insolvenzschuldners ist nicht mit der gesetzlich vorgesehenen Mittelverwendung vereinbar und könnte insgesamt zu einer Destabilisierung der sozialen Sicherungssysteme führen.

Zudem könnte die Verwendung der Sozialversicherungsbeiträge zur Sanierung von Unternehmen als unerlaubte Beihilfe angesehen werden. Denn der EuGH hat im Urteil vom 17. September 2020, Aktenzeichen C‑212/19, in Rn. 40 deutlich gemacht, dass auch die Befreiung von Soziallasten unter den Begriff der Beihilfe fällt:

„Der Begriff der Beihilfe umfasst auch die von den staatlichen Stellen gewährten Vorteile, die in verschiedener Form die Belastungen mindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat. Die teilweise Befreiung von den Soziallasten, die Unternehmen in einem bestimmten Sektor zu tragen haben, stellt somit eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV dar, wenn diese Maßnahme die betreffenden Unternehmen teilweise von den finanziellen Lasten freistellen soll, die sich aus der normalen Anwendung des allgemeinen Sozialversicherungssystems ergeben, ohne dass diese Befreiung durch die Natur oder den inneren Aufbau dieses Systems gerechtfertigt ist (Urteil vom 5. Oktober 1999, Frankreich/Kommission, C‑251/97, EU:C:1999:480, Rn. 35 und 36 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

Würde die Anfechtbarkeit bereits geleisteter Sozialversicherungsbeiträge zugelassen, käme dies in seiner Wirkung einer Befreiung von Sozialversicherungsbeiträgen gleich. Da es für die Frage des Vorliegens einer Beihilfe auf die Wirkung der Maßnahme (s. Rn. 41. a. a. O) ankommt, läge in dieser Fallkonstellation eine unerlaubte Beihilfe nahe.

Um dies zu verhindern, sollten sämtliche Beiträge zur Sozialversicherung als Teil der Arbeitnehmerentlohnung gegenüber den übrigen Forderungen im Insolvenzfall vorrangig befriedigt werden und im Insolvenzverfahren nicht der Anfechtbarkeit unterliegen. Diese Bevorrechtigung zugunsten sämtlicher Sozialversicherungsbeiträge sollte auch für die Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge der Selbstzahler (z. B. versicherungspflichtige landwirtschaftliche Unternehmer) sowie für die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung und Alterssicherung der Landwirte gelten.



Über uns

Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund), die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), der GKV-Spitzenverband, die Verbände der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen auf Bundesebene sowie die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) haben sich mit Blick auf ihre gemeinsamen europapolitischen Interessen zur „Deutschen Sozialversicherung Arbeitsgemeinschaft Europa e.V.“ zusammengeschlossen. Der Verein vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber den Organen der Europäischen Union sowie anderen europäischen Institutionen und berät die relevanten Akteure im Rahmen aktueller Gesetzgebungsvorhaben und Initiativen. Die Kranken- und Pflegeversicherung, die Rentenversicherung und die Unfallversicherung bieten als Teil eines gesetzlichen Versicherungssystems wirksamen Schutz vor den Folgen großer Lebensrisiken.

DSV-Stellungnahme Insolvenzrecht

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