Stellungnahme der Deutschen Sozialversicherung vom 6. Dezember 2023

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr vom 12. September 2023

COM (2023) 533 final


Inhalt



Vorbemerkung

Mit ihrem Vorschlag für eine Verordnung zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr vom 12. September 2023 will die Europäische Kommission die Liquidität und den Zugang zu Finanzmitteln für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) verbessern und deren Insolvenzrisiken senken. Die neue Verordnung soll die geltende Zahlungsverzugs-Richtlinie aus dem Jahr 2011 ersetzen.

Die Kerninhalte des Verordnungsentwurfs sind:

  • Die Begrenzung der Zahlungsfrist auf maximal 30 Tage für alle Geschäftsvorgänge (Artikel 3 Absatz 1).
  • Die Begrenzung von Abnahme- oder Überprüfungsverfahren auf ebenfalls maximal 30 Kalendertage (Artikel 3 Absatz 3).
  • Die Streichung einer Ausnahmeregelung, die in der geltenden Richtlinie 2011/7/EU zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr nach Artikel 4 Absatz 4 Buchstabe b) eine Fristverlängerung auf höchstens 60 Tage für öffentliche Einrichtungen ermöglicht, die Gesundheitsdienste anbieten.

Verstöße gegen die oben angeführten Fristen werden sanktioniert; mit obligatorischen Verzugszinsen, die automatisch fällig werden und einer pauschalen Entschädigung für Beitreibungskosten in Höhe von 50 Euro je Rechnung.

Anwendbarkeit des Verordnungsentwurfs

Die Deutsche Sozialversicherung begrüßt die Intention der Europäischen Kommission, die Stellung von KMU im Geschäftsverkehr zu stärken. Nicht ersichtlich ist aber, warum die Zahlungsströme in der Sozialversicherung, die aus der Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags resultieren, in den Anwendungsbereich ihres Verordnungsvorschlags mit aufgenommen worden sind. Für europäische Regelungen gibt es an dieser Stelle kein Erfordernis, da die Abwicklung des Zahlungsverkehrs ausnahmslos gesetzlich und vertraglich reguliert erfolgt.

Zentrale, von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Regelungen sind für die Sozialversicherung im Rahmen der Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags auch weder sachgerecht, noch umsetzbar. Eine ausnahmslose Verpflichtung der Sozialversicherungsträger auf starre Vorgaben zu Zahlungs- und Überprüfungsfristen, obligatorischen Verzugszinsen und Beitreibungskosten – die primär auf den Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und nicht auf die Auftragserfüllung der Sozialversicherungsträger in Wahrnehmung ihres gesetzlichen Auftrags zielen - würde abweichende, gleichwohl sachgerechte und freiwillige vertragliche Absprachen mit den Verbänden der Leistungserbringer unterbinden. In der Folge wären bestehende Verträge zu kündigen und eingespielte Verfahren zu ändern. Gesetzlich vorgeschriebene nachgelagerte Prüfroutinen werden völlig außer Acht gelassen.

Zahlungsfristen und Überprüfungsverfahren

Die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Begrenzung der Zahlungsfrist auf maximal 30 Tage für die Rechnungsbegleichung oder eine Abschlagszahlung nach Artikel 3 Absatz 1 ist zwar auch in der Sozialversicherung in den allermeisten Fällen ausreichend. In wenigen Bereichen kann sie aber nicht immer eingehalten werden. Dem trägt die geltende Zahlungsverzugs-Richtlinie Rechnung, nach der eine Zahlungsfrist von 60 Tagen eingeräumt werden kann.

Besonders problematisch sind jedoch die im Verordnungsentwurf vorgesehenen Regelungen zu den Abnahme- oder Überprüfungsverfahren nach Artikel 3 Absatz 2 und 3 und hier insbesondere die Begrenzung der Dauer dieser Verfahren auf ebenfalls 30 Kalendertage. Die nachgelagerten Ab- und Verrechnungsverfahren, die insbesondere in der gesetzlichen Krankenversicherung für die Abrechnung mit Krankenhäusern, Ärzten, Zahnärzten und Apotheken etabliert sind, beanspruchen deutlich längere Zeiträume von zum Teil mehr als einem Jahr, damit die gesetzlichen Prüfaufgaben im Bereich der Sozialversicherung erfüllt werden können. In der neuen Verordnung zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr muss dies klarstellend berücksichtigt werden.

Nachgelagerte Abnahme- und Überprüfungsverfahren nicht befristen

Anders als im Geschäftsverkehr mit KMU sind die Systeme der sozialen Sicherheit von speziellen Vergütungs- und Abrechnungsverfahren geprägt. Es muss im Wesentlichen ein „Massengeschäft“ bewältigt werden. Bei den dabei entstehenden „Massendaten“ mit den Abrechnungen für die Versorgung müssen Milliarden Daten von Versicherten, Leistungserbringern und Leistungspositionen ausgetauscht und entsprechend der unterschiedlichen Prüfzwecke zusammengeführt werden. Solche Vergütungs- und Abrechnungsverfahren finden sich in Deutschland zum Beispiel bei der ärztlichen und zahnärztlichen Vergütung über die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen, bei der Krankenhausabrechnung oder bei der Arzneimittelabrechnung über die Apothekenrechenzentren.

Diese Abrechnungsverfahren unterliegen in hohem Maße der staatlichen Regulierung, um die Qualität, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Versorgung der Versicherten sicherzustellen. In der Regel werden die Rechnungsbeträge direkt angewiesen oder es erfolgt eine hohe Abschlagzahlung. Eine Prüfung der Abrechnung erfolgt entsprechend den genannten politischen Zielsetzungen nach Zahlung der Rechnung und kann im Ergebnis Rechnungskorrekturen nach sich ziehen. Aufgrund der Komplexität der zur Anwendung kommenden Prüfroutinen benötigen diese Verfahren längere Zeiträume. So ist es zum Beispiel im Bereich der Prüfung der Vergütung für ambulante ärztliche Leistungen möglich, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen, die die Abrechnung für die Ärztinnen und Ärzte in ihrem Zuständigkeitsbereich (in der Regel eines Bundeslandes) verantworten, die Unterlagen bei den Krankenkassen noch nach drei Jahren prüfen dürfen. Den Krankenkassen steht umgekehrt ein Prüfungsrecht mit gleicher Frist zu. Diese Fristen sind notwendig, weil aufgrund sozialversicherungsrechtlicher Vorgaben die Überprüfungsverfahren häufig nicht nur eine Abrechnungsperiode (in Deutschland das Quartal) umfassen, sondern mehrere. Dies ist zum Beispiel der Fall bei Leistungen, die nur einmal jährlich oder seltener erbracht werden dürfen, wie bestimmte Krebsvorsorgeleistungen. Zudem müssen auch häufig Versorgungsleistungen, die von mehreren Leistungserbringern in einem Fall erbracht werden, geprüft werden, was eine Zusammenführung der Daten auf den Einzelfall erfordert, um mögliche Doppelabrechnungen zu verhindern.

Mit den B2B-Geschäftsvorgängen von KMU, auf die der Kommissionsvorschlag maßgeblich abstellt, sind die im Bereich der sozialen Sicherheit geltenden Abrechnungsverfahren somit nicht vergleichbar. Sie sind aber für die Sicherstellung einer vertragsgerechten Abrechnung und Vergütung wesentlich und aufgrund des dahinter liegenden Massengeschäfts in bestimmten Fällen auch beitragssatzrelevant. So betrug beispielsweise das von der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragende Abrechnungsvolumen der Krankenhäuser in Deutschland im Jahr 2022 insgesamt 88,1 Milliarden Euro. Durch die Prüfung und Korrektur von Krankenhausrechnungen konnten ca.1,2 Milliarden Euro wieder an die Krankenkassen und damit die Beitragszahlerinnen und -zahler zurückfließen. Leider wird im vorliegenden Entwurf nicht klargestellt, dass sich die Abnahme- und Überprüfungsfrist von höchstens 30 Tagen nach Artikel 3 Absatz 3 nicht auf diese nachgelagerten Verrechnungs-, Abrechnungs- und Prüfverfahren bezieht. Hier sollte die notwendige rechtliche Klarheit durch eine rechtssichere Ausnahmeregelung geschaffen werden, in dem der Zeitraum für nachgelagerte Abnahme- oder Überprüfungsverfahren im Bereich der sozialen Sicherheit entfristet wird.

60 Tage-Ausnahmeregelung für Gesundheitsdienste beibehalten

In einigen Fällen erfolgt die Rechnungsprüfung in der Sozialversicherung bereits vor Zahlung der Rechnung. So prüft die gesetzliche Unfallversicherung die Rechnungen ihrer Leistungserbringer vor Zahlung mit vertraglich vereinbarten Zahlungszielen von 30 Tagen oder weniger. Sind die Forderungen aber strittig, zum Beispiel wegen Schlechtleistung, Nichtleistung oder einem Nacherfüllungsanspruch, kann die Rechnungsbegleichung bis zur Klärung der Streitfrage zurückgehalten werden. Im Krankenhausbereich sind wegen der in der Regel höheren Rechnungssummen in solchen Fällen Abschlagszahlungen vereinbart, um Liquiditätsengpässe bei den Krankenhausträgern zu vermeiden. Und auch im zahnärztlichen Bereich wird generell nur der Teilbetrag der Rechnung zurückgehalten, der strittig ist. Eine strenge Anwendung der 30 Tage-Zahlungsfrist stünde dem entgegen.

Im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung als einem Hauptleistungsträger in der Rehabilitation erfolgen die Prüfungen der Rechnungen für die Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen ebenfalls vor ihrer Bezahlung. Die Prüfung ist einzelfallbezogen und komplex. Vor dem Hintergrund der großen Fallzahlen kann hier eine Rechnungsfreigabe nicht routinemäßig für alle Vorgänge innerhalb von 30 Tagen sichergestellt werden, was heute durch die geltende 60 Tage-Zahlungsfrist aufgefangen wird. Deshalb sollte die in der geltenden Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011/7/EU verankerte 60 Tage-Zahlungsfrist für öffentliche Einrichtungen, die Gesundheitsdienste anbieten, beibehalten und in die neue Verordnung überführt werden.

Um die vorgenannten Rechtsunsicherheiten bei der 30 Tage-Frist für Abnahme- und Überprüfungsverfahren zu beseitigen und notwendigerweise oder vertraglich vereinbarte abweichende Zahlungsfristen im Rahmen der geltenden 60 Tage-Regelung auch in Zukunft zu ermöglichen, werden die nachstehenden Änderungen vorgeschlagen.



Änderungsvorschlag

Artikel 1 – Anwendungsbereich

Beabsichtigte Neuregelung

Die DSV schlägt vor, in Artikel 1 nach Absatz 2 die Anwendung der Verordnung im Hinblick auf die Träger der sozialen Sicherheit, die Gesundheitsdienstleistungen anbieten, wie folgt zu präzisieren:

Artikel

Kommissionsvorschlag

wird zu

Änderungsvorschlag

Art.1

Abs. 2a neu



wird zu

Abweichend zu Artikel 3 Abs. 1 gilt für Zahlungsverpflichtungen, die aufgrund nationaler, öffentlich-rechtlicher Regelungen zur sozialen Sicherheit oder aufgrund der zur Umsetzung dieser Regelungen geschlossenen Vereinbarungen über das Nähere zum Verfahren und zur Durchführung gesundheitlicher Dienstleistungen, einschließlich der zugehörigen Abnahme- und Überprüfungsverfahren, entstanden sind, eine Zahlungsfrist von höchstens 60 Kalendertagen.


Abweichend von Artikel 3 Absatz 3 dürfen Abnahme- oder Überprüfungsverfahren die Dauer von 30 Kalendertagen überschreiten, wenn der Schuldner angemessene Abschlags- oder Ratenzahlungen leistet.

Begründung

Die sozialen Sicherungssysteme sind von Vergütungs- und Abrechnungsverfahren geprägt, die von den Mitgliedstaaten und den von ihnen dazu beauftragten und beaufsichtigten Einrichtungen in einem besonderen Maße reguliert werden. Diese Regulierung verfolgt politische Ziele wie die Sicherstellung der Qualität, der Wirtschaftlichkeit oder der Zweckmäßigkeit der Versorgung. Die Vergütungs-, Abrechnungs- und Prüfungsverfahren sind auf diese Ziele ausgerichtet und dienen ihrer Verwirklichung. Um diese Verfahren nicht zu gefährden, sind für die Systeme der sozialen Sicherheit zum einen die Zahlungsfristen weiterhin bei bis zu 60 Kalendertagen entsprechend Satz 1 des Änderungsvorschlags zu belassen und zum anderen die nachgelagerten Abnahme- und Überprüfungsverfahren entsprechend Satz 2 des Änderungsvorschlags nicht zu befristen.

60 Tage-Ausnahmeregelung für Gesundheitsdienste beibehalten

Die derzeit geltende Zahlungsverzugs-Richtlinie EU 2011/7/EU räumt öffentlichen Einrichtungen, die Gesundheitsdienste anbieten, bei der Erfüllung ihrer Zahlungsverpflichtungen zu Recht „ein gewisses Maß an Flexibilität“ ein (Richtlinie EU 2011/7/EU, Erwägungsgrund 25). Dies schlägt sich in der möglichen Verlängerung der Zahlungsfrist auf bis zu 60 Tage nieder. Dies sollte auch mit der neuen Verordnung weitergelten, damit in Fällen, in denen eine Zahlung mehr Zeit in Anspruch nimmt und die in der Regel auch vertraglich geregelt sind, keine Sanktionen erfolgen.

Nachgelagerte Abnahme- und Überprüfungsverfahren nicht befristen

Hinsichtlich der vorgesehenen Abnahme- und Prüfungsfrist von 30 Kalendertagen gemäß Artikel 3 Absatz 3 gilt: In vielen Ab- und Verrechnungsformaten der Sozialversicherung lässt sich diese Frist aufgrund der spezifischen Prüfanforderungen nicht einhalten. So müssen zum Beispiel Versorgungsdaten mehrerer Abrechnungsperioden und verschiedener Gesundheitsdienstleister aus den Massendaten der Leistungsabrechnung zusammengespielt werden, um die Richtigkeit der Abrechnungen einzelfallbezogen prüfen und dem gesetzlichen Prüfauftrag genügen zu können. Deshalb muss hier eine Ausnahme von der 30 Tage-Frist vorgesehen werden. Diese neue Ausnahmeregelung könnte verknüpft werden mit der Zahlung einer angemessenen Abschlags- oder Ratenzahlung innerhalb einer Zahlungsfrist von 30 Tagen. Dies würde dem Ziel des Verordnungsvorschlags entsprechen, den Gläubigern zuverlässige, vorausplanbare Zahlungsströme sicherzustellen.



Über uns

Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund), die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), der GKV-Spitzenverband, die Verbände der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen auf Bundesebene sowie die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) haben sich mit Blick auf ihre gemeinsamen europapolitischen Interessen zur „Deutschen Sozialversicherung Arbeitsgemeinschaft Europa e.V.“ zusammengeschlossen. Der Verein vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber den Organen der Europäischen Union sowie anderen europäischen Institutionen und berät die relevanten Akteure im Rahmen aktueller Gesetzgebungsvorhaben und Initiativen. Die Kranken- und Pflegeversicherung, die Rentenversicherung und die Unfallversicherung bieten als Teil eines gesetzlichen Versicherungssystems wirksamen Schutz vor den Folgen großer Lebensrisiken.

12/2023 DSV-Stellungnahme Zahlungsverzug