Feedback der Deutschen Sozialversicherung vom 2. April 2024

Konsultation der Europäischen Kommission vom 5. März 2024 zur Bewertung von Gesundheitstechnologien (HTA) – gemeinsame klinische Bewertungen von Arzneimitteln – Entwurf einer Durchführungsverordnung



Vorbemerkung

Mit der gemeinsamen Nutzenbewertung von Gesundheitstechnologien (EU-HTA) hat die Europäische Kommission im Jahr 2021 mit der Verordnung (EU) 2021/2282 eine sinnvolle Neuordnung bei der wissenschaftlichen Bewertung von Gesundheitstechnologien vorgenommen. Die EU-HTA harmonisiert die Nutzenbewertung von Gesundheitstechnologien, unter anderem für Arzneimittel und Medizinprodukte. Durch die stärkere europäische Koordination wird die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten verbindlicher. EU-HTA soll ab 2025 schrittweise starten.

Aus Sicht der DSV macht der Entwurf der Durchführungsverordnung einschließlich der Anhänge deutlich, dass ohne die Vorlage der noch zu erarbeitenden Leitfäden einschließlich der Methodik weiterhin keine ausreichende Klarheit über Inhalt und Umfang der gemeinsamen klinischen Bewertungen von Arzneimitteln besteht. Damit ist die fristgerechte Umsetzung des EU-HTA auf nationaler Ebene gefährdet. In Unkenntnis der genauen methodischen Vorgaben ist davon auszugehen, dass nicht alle in Deutschland regelhaft vorzulegenden Auswertungen im gemeinsamen HTA-Bericht enthalten sein werden und somit zusätzliche Auswertungen auf nationaler Ebene vorgelegt werden müssen.

Stellungnahme

  • Das Problem der Indikationsänderung während des Zulassungsverfahrens wird in der Durchführungsverordnung erstmals adressiert. Die DSV geht davon aus, dass eine Informationspflicht der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) über potenzielle Indikationsänderungen, nur zum Zeitpunkt der „List of Questions“ (Tag 120) bzw. der „List of Outstanding Issues“ (Tag 180) besteht [Art.3 Abs.4]. Im Fall einer notwendigen Überarbeitung des Umfangs und des Dossiers [Art.16 Abs.2] werden die dafür anzuwendenden Fristen nicht spezifiziert. Dies ist zwar aufgrund eines breiten Spektrums an Konstellationen nachvollziehbar, es bleibt dadurch jedoch unklar, wie die Verfahrensschritte bei unveränderter Finalisierungsfrist erfolgen sollen.
  • Bei der Auswahl und Beteiligung der Patientinnen und Patienten sowie der klinischen und sonstigen Expertinnen und Experten [Art.6] ist denjenigen Vorrang einzuräumen, die über eine umfassende Expertise im therapeutischen Bereich der gemeinsamen klinischen Bewertung in mehreren Mitgliedstaaten verfügen. Es ist allerdings unklar, wie diese Expertise erlangt und belegt werden soll.
  • Für den Bewertungsumfang soll von den Gutachtern ein „assessment scope proposal with a set of the parameters for the joint clinical assessment in terms of patient population, intervention, comparators and health outcomes”, („PICO“) erarbeitet werden. Dies kann im Einzelfall sinnvoll sein, soweit der Vorschlag nicht bindend ist. Aus den Rückmeldungen der Mitgliedstaaten soll dann ein konsolidierter Bewertungsumfang erstellt werden [Art.9]; die DSV geht davon aus, dass dieser Bewertungsumfang weiterhin inklusiv bleibt und den Bedürfnissen der Mitgliedstaaten entsprechen muss [Erwägungsgrund Nr.17]. Die DSV geht davon aus, dass die Konsolidierungssitzung zum Bewertungsumfang allein zur Überprüfung dient, ob das Ergebnis den Anforderungen der einzelnen Mitgliedstaaten genügt und nicht die Gefahr besteht, dass einzelne PICOs hinterfragt und ggf. gestrichen werden. Vor diesem Hintergrund ist unklar, welchem Zweck die Einbeziehung von Patientinnen und Patienten sowie Experten in dieser Phase des Verfahrens dient [Art.10 Abs.1].
  • Wenn während der laufenden Bewertung vom Entwickler von Gesundheitstechnologien (HTD) neue klinische Daten für das Zulassungsverfahren eingereicht werden, können diese Daten auch Eingang in die gemeinsame klinische Bewertung (JCA) finden [Art.12 Abs.7], sofern sie spätestens 7 Tage nach der Entscheidung des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) eingereicht wurden [Art.14 Abs.5]. Dies stellt eine Herausforderung dar, da sich die Zeit für die Durchführung des JCA auf ca. 60 Tage verkürzt (ggf. sogar weniger, wenn die Europäische Kommission ihre Zulassungsentscheidung vor Ablauf der ihr gesetzlich eingeräumten Frist von 67 Tagen erlässt); daher ist eine unverzügliche Einreichung der Daten durch den HTD vorzusehen.
  • Die DSV sieht Gefahren in den Vorgaben zum Umgang mit potentiellen Geschäftsgeheimnissen des HTD. Im Rahmen seines Faktenchecks des HTA-Berichts [Art.14 Abs.4 i.V.m. Art.20] soll der HTD Ungenauigkeiten anmerken und angeben, welche Informationen er als vertraulich erachtet. Die in der Durchführungsverordnung vorgesehene Korrekturmöglichkeit des Berichts durch den HTD ist fragwürdig. Vertraulich können zudem nur personenbezogene Daten in Dokumenten (z.B. Studienberichte, Individual Patient Data) sein, die aber nicht Teil des Berichts wären. Es sollte daher klargestellt werden, dass Schwärzungen allein personenbezogene Daten betreffen können, nicht aber für die Bewertung relevanter Daten, Ergebnisse und Analysen.
  • In der Durchführungsverordnung wird dem HTD die Möglichkeit eingeräumt, proaktiv neue Daten einzureichen [Art.18 Abs.2]. Da dies in der Regel mit der Hoffnung auf eine Verbesserung des HTA-Ergebnisses verbunden ist, entsteht ohne eine gleichzeitige Verpflichtung zur Vorlage potenziell negativer Erkenntnisse eine Verzerrung. Daher sollte Art.18 Abs.2 gestrichen werden. Zudem sollte die Entscheidung über die Zuteilung/Auswahl und Benennung der Gutachter der Koordinierungsgruppe obliegen.
  • [Anhang 1, Abschn. 4.2.1] Es bleibt unklar, warum für bibliographische Recherchen allein auf die National Library of Medicine’s bibliographic database (MEDLINE) und die Cochrane Central Registry of Controlled Trials database abgestellt wird und nicht z.B. auch auf Embase (Excerpta Medica Database). Zudem bleibt unklar, warum die Studienregister nicht weiter spezifiziert werden.

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DSV-Feedback zum Entwurf einer HTA-Durchführungsverordnung