Eine Stärkung der sozialen Dimension innerhalb der EU ist zu begrüßen. Dabei sollte der EU aber allenfalls eine unterstützende Rolle zukommen.

IW – 12/2016

Stärkung der sozialen Dimension

Die Europäische Kommission möchte den Blick stärker auf die soziale Dimension und die fundamentale Bedeutung des Sozialschutzes in der Europäischen Union lenken. Hierzu möchte sie einen neuen Pfeiler sozialer Rechte schaffen, ein Richtung, die aus Sicht der deutschen Sozialversicherung grundsätzlich zu begrüßen ist. Denn ohne eine soziale Dimension wird sich die Akzeptanz der europäischen Integration weder kurz- noch langfristig verbessern.  

 

Bereits im Frühjahr 2016 hat die Brüsseler Behörde ihre ersten Vorstellungen einer europäischen Säule sozialer Rechte der Öffentlichkeit präsentiert und zur Diskussion gestellt. Die Spitzenorganisationen der deutschen Sozialversicherung haben sich an der Befragung mit einem ausführlichen Beitrag beteiligt.  

Wahrung der nationalstaatlichen Rechte

Sie begrüßen das mit der Initiative verbunde Ziel, die soziale Dimension innerhalb der EU zu stärken. Gleichzeitig weisen sie jedoch darauf hin, dass die nationalstaatlichen Rechte im Bereich der sozialen Sicherheit gewahrt bleiben müssen.  

 

Die am Subsidiaritätsprinzip orientierte Zuständigkeitsverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten darf aus Sicht der deutschen Sozialversicherung bei der Weiterentwicklung des sozialen Besitzstandes der EU nicht in Frage gestellt werden. Die Entscheidung, wie die Ziele Tragfähigkeit und Angemessenheit der nationalen Sozialversicherungssysteme unter den jeweiligen Bedingungen effektiv und effizient realisiert werden können, sollte weiterhin den Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Erst wenn ein gemeinsames Handeln notwendig ist, kann die EU-Ebene beauftragt werden. Eine solche Notwendigkeit ist jedoch - mit Ausnahme des Arbeitsschutzes - nicht ersichtlich. Insbesondere für den Bereich der Gesundheits- und Pflegepolitik sowie der gesetzlichen Alterssicherungssysteme ist die Säule kein geeignetes Mittel. 

 

Verbindliche Vorgaben an die Mitgliedstaaten erscheinen auch wegen der unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den einzelnen Mitgliedstaaten sowie der jeweiligen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Komplexität der sozialen Sicherungssysteme wenig erfolgversprechend. 

 

Deswegen kann und darf nach Auffassung der Spitzenorganisationen der deutschen Sozialversicherung eine europäische Säule sozialer Rechte den Mitgliedstaaten nur generelle, unverbindliche Prinzipien mit auf den Weg geben und empfehlen, im Rahmen ihrer Ausgestaltungsfreiheiten darauf zu achten. Denkbar wäre zum Beispiel eine von Seiten der Europäischen Kommission aufgestellte allgemeine Empfehlung an die Mitgliedstaaten, für alle Erwerbstätigen den Zugang zu sozialen Sicherungssystemen sicherzustellen. Die konkrete Umsetzung dieses allgemeinen Zieles muss jedoch - insbesondere auch vor dem Hintergrund der Vielfalt der Systeme - den Mitgliedstaaten selbst vorbehalten bleiben.  

Europäische Säule sozialer Rechte - noch viele Fragen offen

Aus Sicht der deutschen Sozialversicherung lässt der von der Europäischen Kommission vorgestellte erste Entwurf noch viele Fragen offen, insbesondere ist zurzeit kaum absehbar, welche Wege die europäische Säule sozialer Rechte auf den einzelnen sozialpolitischen Feldern einschlagen wird.  

 

Die Spitzenorganisationen haben sich deswegen in ihrem ausführlichen Konsultationsbeitrag zu verschiedenen Politikbereichen wie Gesundheit und Pflege, Rente und Pensionen, Arbeitsschutz sowie Leistungen für Menschen mit Behinderungen geäußert und ihre Positionen in die europäische Diskussion eingebracht. Dabei sehen sie die Säule sozialer Rechte als kein geeignetes Mittel für ein „Leistungsscreening“. So stehen die Mitgliedstaaten zwar vor gemeinsamen, jedoch zum Teil sehr unterschiedlichen Herausforderungen, denen vor allem auf nationalstaatlicher Ebene begegnet werden sollte.  

 

Der ausführliche Beitrag ist hier abrufbar:  

http://dsv-europa.de/lib/02_Positionspapiere/2016-DSV-Beitrag-Konsultation-europ.-Saeule-soz.-Rechte.pdf