Nach dem Vorschlag der Kommission im April 2017 scheinen die Diskussionen zur Säule nur langsam anzulaufen.

SW – 07/2017

Die Europäische Kommission möchte mit den in der Europäischen Säule sozialer Rechte vorgeschlagenen "Grundsätzen und Rechten" faire und gut funktionierende Arbeitsmärkte und Sozialsysteme unterstützen. Eine interinstitutionelle Proklamation hierzu soll die politische Bedeutung des Vorhabens unterstreichen. Bis spätestens Ende des Jahres möchte die Brüsseler Behörde ein vom Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission unterzeichnetes Dokument vorweisen und damit ein starkes Zeichen für ein soziales Europa setzen. 

 

Die Diskussionen kommen nur langsam in Gang. Die Europäische Kommission diskutiert das Thema mit den Mitgliedstaaten und Interessenvertretern, gibt dabei jedoch deutlich zu erkennen, dass technische Änderungen an dem von ihr vorgelegten Text nicht gewollt seien. Absolute Priorität sei es, die interinstitutionelle Proklamation zum Ende des Jahres zu verabschieden. Jegliche Textänderungen könnten dieses Ziel gefährden. Auch die estnische Ratspräsident, die bis zum Ende des Jahres den Vorsitz im Rat innehat, möchte Änderungen der vorgeschlagenen Prinzipien vermeiden und stattdessen auf eine erfolgreiche Verabschiedung der politischen Proklamation hinarbeiten.  

Erste Diskussionen im Rat

Am 15. Juni 2017 hat eine erste informelle Debatte des Rates für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz zur Europäischen Säule sozialer Rechte stattgefunden. Die Ministerinnen und Minister waren sich dabei einig, die Verabschiedung einer interinstitutionellen Proklamation bis zum Ende des Jahres anzustreben. Einigkeit hatte auch dazu bestanden, dass eine Verbesserung der Arbeits- und Sozialbedingungen wünschenswert sei, dass aber bei diesem Prozess die unterschiedlichen nationalen Voraussetzungen und Gegebenheiten berücksichtigt werden müssten. Die Säule könne jedoch nur dann echte Wirkung entfalten, wenn sie auf Ebene der Mitgliedstaaten engagiert mitgetragen werde. 

 

Die Ministerinnen und Minister haben zugleich betont, dass die angestrebte Proklamation als eine politische Verpflichtung zu verstehen sei, die jedoch keine rechtliche Bindungswirkung entfalte. Ferner soll die Säule für alle Mitgliedstaaten - auch denjenigen außerhalb der Euro Gruppe - Anwendung finden. Die Proklamation dürfe nicht die durch die Verträge eingeräumten Kompetenzen der Europäischen Union modifizieren oder gar erweitern, vielmehr müsse die Umsetzung der Säule im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip erfolgen. Der beabsichtigte Konvergenzprozess bezüglich der Lebens- und Arbeitsbedingungen müsse die sozioökonomischen Gegebenheiten und die Unterschiede auf nationaler Ebene berücksichtigen. Ferner müsse die Rolle und Unabhängigkeit der Sozialpartner im Hinblick auf Sozialstandards auf nationaler und europäischer Ebene beachtet werden.  

Das sozialpolitische Scoreboard

Mit Hilfe eines soziapolitischen Scoreboards, dessen Ergebnisse ebenfalls im Europäischen Semester verwendet und so in politische Leitlinien einfließen sollen, möchte die Kommission künftig die sozialen Fortschritte erfassen.  

 

Das Scoreboard gliedert sich in drei Bereiche: „Chancen und Zugang zum Arbeitsmarkt“, „Dynamische Arbeitsmärkte und faire Arbeitsbedingungen“ sowie „öffentliche Unterstützung/Sozialschutz und Inklusion“. Hierfür wurden insgesamt zwölf Themenfelder ausgewählt. Für die Sozialversicherung sind unter anderem die Themenfelder „Struktur der Erwerbsbevölkerung“ und „Gesundheitsversorgung“ von Interesse. Zu jedem Themenfeld werden Indikatoren vorgeschlagen, an denen der soziale Fortschritt gemessen werden soll. 

 

Im Hinblick auf das Scoreboard und die vorgeschlagenen Indikatoren zeichnet sich jedoch weiterer Diskussionsbedarf ab. Insbesondere das Verhältnis zu bereits bestehenden Überwachungsinstrumenten scheint unklar zu sein, d.h. mit dem Anzeiger für die Leistungen im Beschäftigungsbereich und dem Anzeiger für die Leistungsfähigkeit des Sozialschutzes. Deswegen könnten weitere Erörterungen mit der Kommission notwending sein, insbesondere bezüglich der Einbeziehung des Scoreboards in den nächsten gemeinsamen Beschäftigungsbericht, seine Verknüpfung mit den bestehenden Überwachungsinstrumenten des Rates und seine technische Umsetzung. Dies könnte zu Änderungen der vorgeschlagenen Leit- und Sekundärindikatoren führen. 

Was macht das Europäische Parlament?

Eine Entscheidung des Europäischen Parlaments hinsichtlich der Klärung des Umgangs mit der von der Kommission im April vorgeschlagenen interinstitutionellen Proklamation sowie die Nominierung eines Vertreters für den interinstitutionellen Prozess wird für September erwartet. 

 

Das Europäische Parlament hatte sich bereits im Rahmen der Konsultation am 19. Januar 2017 zum ursprünglich vorgelegten Vorschlag einer europäischen Säule sozialer Rechte geäußert und eine entsprechende Entschließung verabschiedet (DSV berichtete).  

Hintergrund und Ausblick

Die Kommission hatte ihre Vorschläge zur Säule mit identischem Inhalt in zwei verschiedenen Rechtsformen vorgelegt, zum einen als rechtlich nicht verpflichtende Empfehlung der Kommission (Artikel 288 AEUV), zum anderen als Vorschlag für eine gemeinsame interinstitutionelle Proklamation. Diese muss nun mit dem Europäischen Parlament und dem Rat erörtert werden.  

 

Geplant ist, dass der Rat für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz anlässlich seiner Sitzung am 23. Oktober 2017 eine Einigung zur Proklamation der Säule erzielt, um den Zeitplan für eine Unterzeichnung durch die drei Europäischen Institutionen vor Ende des Jahres einhalten zu können.