DSV sieht noch Konkretisierungsbedarf bei der Definition.

S-W – 07/2021

Bereits im Rahmen der Konsultation zum Weißbuch „Künstliche Intelligenz“ (KI) hatte die Deutsche Sozialversicherung (DSV) ausführlich zu den Chancen und Risiken des möglichen Einsatzes von KI im Rahmen der Sozialversicherung und ihrer Verwaltung Stellung bezogen.

Inzwischen hat die EU-Kommission ihre Position zu einem Rechtsrahmen für den Einsatz von KI konkretisiert, nicht zuletzt auch mit Blick auf Anwendungen im Rahmen der öffentlichen Verwaltung. Hierzu hat sie im April den Vorschlag eines „Gesetzes über Künstliche Intelligenz“ vorgelegt, COM(2021) 206 final und ein weiteres Mal alle Interessierten eingeladen, Stellung zu beziehen. Die DSV hat die Gelegenheit genutzt und am 14. Juli 2021 ihre Stellungnahme abgegeben

Auch wenn derzeit im Bereich der Sozialversicherung noch keine KI zum Einsatz kommt – jedenfalls keine mit einem hohen Risikopotenzial - kann sich das in Zukunft ändern, etwa durch maschinelle Lernverfahren für die Unterstützung personen- und fallbasierter Entscheidungen. Die DSV ist sich der hieraus ergebenden Verantwortung bewusst. Sie begrüßt daher eine Klärung unter anderem der ethischen und haftungsrechtlichen Fragen des Einsatzes von KI. Allerdings bestehen Vorbehalte gegenüber einer zu weiten Definition von KI. Es sollten nur solche Techniken hierunter fallen, die tatsächlich bisher genuin dem Menschen vorbehaltene Einschätzungen und Entscheidungen ersetzen. 

Auch nicht aktive Unionsbürger haben Recht auf Krankenversicherung im Aufnahmeland - EuGH erlaubt aber die Forderung eines angemessenen Beitrags

Aufenthaltsrecht und soziale Absicherung mobiler „nicht-aktiver“ EU-Bürger*innen sind ein „Dauerthema“ auf der europäischen Agenda und landen nicht selten vor den Gerichten. So auch im Fall eines italienischen Staatsangehörigen, der nach Lettland verzog und weder einer Erwerbstätigkeit nachging noch bereits eine Rente bezog. Nun ging es um die Frage, wo er krankenversichert ist: In Italien war er es nicht mehr, in Lettland dagegen noch nicht.

Derartige Situationen möchte die europäische Rechtsordnung eigentlich vermeiden. Dabei sieht die Lösung auf den ersten Blick einfach aus: Die Koordinierungsverordnung Nr. 883/2004, genau: ihr Art 11 Absatz 3 Buchst. e) - weist für derartige Fälle die Zuständigkeit für die soziale Sicherheit dem Wohnsitzstaat zu, und der ist hier Lettland. Dann aber kommt eine weitere Verordnung ins Spiel, die so genannte „Freizügigkeitsrichtlinie“ Nr. 2004/38. Sie gewährt in Artikel 7 nicht aktiven Unionsbürgern einen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat nur unter der Bedingung, dass er über ausreichende Mittel und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt. Der Sinn dieser Vorschrift besteht darin, den aufnehmenden Mitgliedstaat nicht übermäßig finanziell zu belasten. Damit könnte aber das Aufenthaltsrecht an einem fehlenden Krankenversicherungsschutz scheitern.

Damit dies nicht geschieht, hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. Juli 2021 – C-535/19 eine klare Entscheidung getroffen: In Fällen wie dem vorliegenden muss der Aufnahmestaat dem Einwanderer den geforderten Krankenversicherungsschutz selbst zur Verfügung stellen, etwa durch Zugang zu einer Krankenkasse oder wie im Fall Lettlands durch die Aufnahme in das staatlich finanzierte öffentliche Gesundheitssystem. Es gilt nur eine Einschränkung: Dies muss nicht unentgeltlich geschehen. Insofern nimm der EuGH eine mögliche Ungleichbehandlung zwischen „einheimischen“ (hier: lettischen) und zuwandernden EU-Bürgern bewusst in Kauf. Allerdings darf der geforderte Beitrag nicht „unverhältnismäßig“ sein. Das heißt: Der Aufnahmestaat muss dafür sorgen, „dass es für diesen Bürger nicht übermäßig schwierig ist, diese Voraussetzungen zu erfüllen.“

Damit hat der EuGH ein weites Feld für Interpretationen geschaffen, welches die Gerichte auch in Zukunft beschäftigen wird.