OECD veröffentlicht Bericht zu Anwendungsfällen und weiterem Potenzial.

HS – 07/2025

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat im Juni einen Bericht zum Thema „AI and the future of social protection in OECD countries“ vorgelegt. Dieser stellt Anwendungsfälle von künstlicher Intelligenz (KI) im Bereich Sozialschutz vor und identifiziert unausgeschöpftes Potenzial – etwa zur Vorhersage von Bedarfen und sozialen Schocks mit Folgen auf persönlicher sowie gesamtgesellschaftlicher Ebene oder zur Verbesserung der Inanspruchnahme von Sozialleistungen. Allerdings nutzen die OECD-Mitgliedsländer KI in diesem Feld angesichts möglicher Datenschutzrisiken sowie potenzieller Fehler bei automatisierten Entscheidungsprozessen bislang nur mit großer Vorsicht.

Weit verbreitete Anwendungsfälle in OECD-Ländern

Aktuelle Anwendungsfälle konzentrieren sich auf die Unterstützung von Leistungsberechtigten, die Automatisierung interner Verwaltungsprozesse und die Betrugsbekämpfung. Im Bereich der Unterstützung von Leistungsberechtigten sind besonders Chatbots und digitale Assistenzsysteme zur Verbesserung des Online-Kontakts beliebt. In den meisten Fällen dienen sie dazu, Bürgerinnen und Bürgern Informationen bereitzustellen und Anfragen zu beantworten. Einzelne Länder nutzen sie darüber hinaus präventiv, zum Beispiel zur proaktiven Abfrage des Wohlbefindens.

Neben solchen Unterstützungsangeboten bieten KI-Anwendungen die Möglichkeit, interne Prozesse zu automatisieren und den zeitlichen Aufwand für administrative Tätigkeiten zu reduzieren. Beispiele hierfür sind die Verarbeitung großer Datenmengen aus klassischen Datenbanken sowie die Analyse unstrukturierter Inhalte, etwa Texte und Fotos aus eingescannten Papierunterlagen.

Schließlich wird KI häufig zur Fehler- und Betrugserkennung eingesetzt, wobei die OECD in den kommenden Jahren nochmal einen sprunghaften Anstieg in diesem Bereich erwartet. Denn KI kann mögliche Betrugsfälle frühzeitig erkennen und deshalb die Prävention unterstützen. In Portugal wird beispielsweise KI-basierte Gesichts- und Spracherkennung eingesetzt, um sogenannte Lebensnachweise von im Ausland lebenden Beamtinnen und Beamten zu prüfen, die Anspruch auf Pension geltend machen.

Unausgeschöpftes Potenzial der Vorhersageanalyse

Laut der OECD ist die Vorhersageanalyse ein besonders vielversprechendes Einsatzfeld für KI im Bereich des Sozialschutzes. Solche Analysen bieten Möglichkeiten in drei Feldern:

Erstens können sie sozialen Schocks und Krisen vorbeugen oder zumindest eine frühzeitige Reaktion ermöglichen. So wird KI in Deutschland schon jetzt eingesetzt, um die Wahrscheinlichkeit von Arbeitsunfällen vorherzusagen. Mithilfe einer KI-Anwendung identifiziert die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) Unternehmen mit dem größten Unterstützungsbedarf und steuert entsprechend den Einsatz von Aufsichts- und Inspektionspersonal. Wenn eine Vermeidung von Schocks nicht möglich ist, können KI-Systeme zumindest dazu beitragen, deren Folgen abzufedern. In Togo und Irland etwa wird KI zur Vorhersage von Überschwemmungen genutzt.

Zweitens können Vorhersageanalysen genutzt werden, um gefährdete Personen frühzeitig zu identifizieren und gezielt präventive Maßnahmen zu veranlassen. Ebenso lassen sich potenzielle Anspruchsgruppen – beispielsweise nach regionalen oder soziodemografischen Merkmalen –bestimmen, um passgenaue Unterstützungsangebote zu entwickeln. Angesichts der erheblichen Renditen einiger präventiver Maßnahmen können die sozialen und wirtschaftlichen Vorteile entsprechender KI-Anwendungen beträchtlich sein. Schon jetzt gibt es Beispiele für den Einsatz von KI zur Prävention von Obdachlosigkeit, wiederholter häuslicher Gewalt sowie der Pflege und Einkommenssicherung älterer Menschen. Trotz der Möglichkeiten, die KI in diesem Kontext bietet, weist die OECD darauf hin, dass auch mit bereits vorhandenen Instrumenten – ohne KI – und hochwertigen, verknüpften Personendaten erhebliche Fortschritte erzielt werden können.

Drittens kann Vorhersageanalyse dazu beitragen, Leistungsberechtigte besser anzusprechen und die Nichtinanspruchnahme sozialer Leistungen zu verringern. Einige Bevölkerungsgruppen, die am dringendsten auf soziale Leistungen und Dienste angewiesen sind, sind oft schwer zu erreichen. So profitieren beispielsweise junge Menschen, die sich weder in Schul- oder Berufsausbildung noch in fester Anstellung befinden, in besonderem Maße von frühzeitigen Interventionen zur Vermeidung langfristiger Arbeitslosigkeit. Es ist jedoch schwierig, sie in soziale Programme einzubinden, da sie in der Regel weder über entsprechende Angebote informiert sind noch selbst aktiv Kontakt zu den zuständigen Stellen aufnehmen. Vor diesem Hintergrund wird in einigen wenigen Fällen bereits KI eingesetzt, um Menschen mit Unterstützungsbedarf zu identifizieren und ihnen proaktiv Hilfe anzubieten.

Ausblick

Laut der OECD sollten Regierungen KI-Anwendungen im Bereich des Sozialschutzes weiterhin erproben und dabei ermitteln, in welchen Bereichen der Einsatz von KI das geeignete Mittel ist. Denn oft können auch mit anderen Ansätzen noch erhebliche Fortschritte erzielt werden – ein Beispiel hierfür ist die Vereinfachung von Anmeldeverfahren durch verknüpfte Verwaltungsdaten. Für jeden konkreten KI-Anwendungsfall sollte ein klarer, an politischen Zielsetzungen orientierter Grund formuliert werden. Zugleich sei eine frühzeitige und transparente Einbindung der Öffentlichkeit erforderlich, da das Vertrauen der Bevölkerung nach wie vor fragil ist – so sehen derzeit nur 40 Prozent der Befragten in 27 OECD-Ländern einen Vorteil für die Nutzerinnen und Nutzer in einer KI-basierten Antragsbearbeitung. Diese Befunde sind auch aus Sicht der deutschen Sozialversicherung relevant. Die zunehmende Anwendung von KI in den Trägerorganisationen muss immer mit einem Nutzen für die Versicherten und größtmöglicher Transparenz verbunden sein.