Getty Images - marchmeena29Künstliche Intelligenz und Sozialschutz
OECD veröffentlicht Bericht zu Anwendungsfällen und weiterem Potenzial.
HS – 07/2025
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat
im Juni einen Bericht zum Thema „AI and the future of social protection
in OECD countries“ vorgelegt. Dieser stellt Anwendungsfälle von künstlicher
Intelligenz (KI) im Bereich Sozialschutz vor und identifiziert unausgeschöpftes
Potenzial – etwa zur Vorhersage von Bedarfen und sozialen Schocks mit Folgen auf persönlicher sowie gesamtgesellschaftlicher Ebene oder zur Verbesserung der Inanspruchnahme von Sozialleistungen. Allerdings nutzen
die OECD-Mitgliedsländer KI in diesem Feld angesichts möglicher Datenschutzrisiken sowie potenzieller Fehler bei automatisierten
Entscheidungsprozessen bislang nur mit großer Vorsicht.
Weit verbreitete Anwendungsfälle in OECD-Ländern
Aktuelle Anwendungsfälle konzentrieren sich auf die
Unterstützung von Leistungsberechtigten, die Automatisierung interner Verwaltungsprozesse und die
Betrugsbekämpfung. Im Bereich
der Unterstützung von Leistungsberechtigten sind besonders Chatbots und digitale Assistenzsysteme zur Verbesserung des Online-Kontakts beliebt. In
den meisten Fällen dienen sie dazu, Bürgerinnen und Bürgern Informationen
bereitzustellen und Anfragen zu beantworten. Einzelne Länder nutzen sie darüber
hinaus präventiv, zum Beispiel zur proaktiven Abfrage
des Wohlbefindens.
Neben solchen Unterstützungsangeboten bieten KI-Anwendungen die
Möglichkeit, interne Prozesse zu automatisieren und den
zeitlichen Aufwand für administrative Tätigkeiten zu reduzieren. Beispiele
hierfür sind die Verarbeitung großer Datenmengen aus klassischen Datenbanken
sowie die Analyse unstrukturierter Inhalte, etwa Texte und Fotos aus
eingescannten Papierunterlagen.
Schließlich wird KI häufig zur Fehler- und
Betrugserkennung eingesetzt,
wobei die OECD in den kommenden Jahren nochmal einen sprunghaften Anstieg in
diesem Bereich erwartet. Denn KI kann mögliche Betrugsfälle frühzeitig erkennen und
deshalb die Prävention unterstützen. In Portugal wird beispielsweise
KI-basierte Gesichts- und Spracherkennung eingesetzt, um sogenannte
Lebensnachweise von im Ausland lebenden Beamtinnen und Beamten zu prüfen, die Anspruch auf
Pension geltend machen.
Unausgeschöpftes Potenzial der Vorhersageanalyse
Laut der OECD ist die Vorhersageanalyse ein besonders vielversprechendes Einsatzfeld für KI im Bereich des Sozialschutzes. Solche Analysen
bieten Möglichkeiten in drei Feldern:
Erstens können sie sozialen Schocks und Krisen vorbeugen oder zumindest eine frühzeitige
Reaktion ermöglichen. So wird KI in Deutschland schon jetzt eingesetzt, um die Wahrscheinlichkeit
von Arbeitsunfällen vorherzusagen. Mithilfe einer KI-Anwendung identifiziert
die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft
(BG BAU) Unternehmen mit dem größten
Unterstützungsbedarf und steuert entsprechend den Einsatz von Aufsichts- und Inspektionspersonal. Wenn eine Vermeidung von Schocks nicht möglich
ist, können KI-Systeme zumindest dazu beitragen, deren Folgen abzufedern. In
Togo und Irland etwa wird KI zur Vorhersage von Überschwemmungen genutzt.
Zweitens können Vorhersageanalysen genutzt werden, um gefährdete Personen frühzeitig zu identifizieren und gezielt präventive
Maßnahmen zu veranlassen. Ebenso lassen sich potenzielle Anspruchsgruppen – beispielsweise
nach regionalen oder soziodemografischen Merkmalen –bestimmen, um passgenaue
Unterstützungsangebote zu entwickeln. Angesichts der erheblichen Renditen einiger
präventiver Maßnahmen können die sozialen und wirtschaftlichen Vorteile entsprechender KI-Anwendungen beträchtlich sein.
Schon jetzt gibt es Beispiele für den Einsatz von KI zur Prävention von
Obdachlosigkeit, wiederholter häuslicher Gewalt sowie der Pflege und Einkommenssicherung älterer Menschen. Trotz der Möglichkeiten, die KI in diesem
Kontext bietet, weist die OECD darauf hin, dass auch
mit bereits vorhandenen Instrumenten – ohne KI – und hochwertigen, verknüpften
Personendaten erhebliche Fortschritte erzielt werden können.
Drittens kann Vorhersageanalyse dazu beitragen, Leistungsberechtigte besser anzusprechen und die Nichtinanspruchnahme sozialer Leistungen zu verringern.
Einige Bevölkerungsgruppen, die am dringendsten auf soziale Leistungen und
Dienste angewiesen sind, sind oft schwer zu erreichen. So profitieren beispielsweise junge Menschen, die sich weder in Schul- oder
Berufsausbildung noch in fester Anstellung befinden, in besonderem Maße von
frühzeitigen Interventionen zur Vermeidung langfristiger Arbeitslosigkeit. Es
ist jedoch schwierig, sie in soziale Programme einzubinden, da sie in der Regel
weder über entsprechende Angebote informiert sind noch selbst aktiv Kontakt zu
den zuständigen Stellen aufnehmen. Vor diesem Hintergrund wird in einigen
wenigen Fällen bereits KI eingesetzt, um Menschen mit Unterstützungsbedarf zu
identifizieren und ihnen proaktiv Hilfe anzubieten.
Ausblick
Laut der OECD sollten Regierungen KI-Anwendungen im Bereich des
Sozialschutzes weiterhin erproben und dabei ermitteln,
in welchen Bereichen der Einsatz von KI das geeignete Mittel ist. Denn oft können auch mit anderen Ansätzen noch erhebliche Fortschritte erzielt werden – ein Beispiel hierfür ist die Vereinfachung von Anmeldeverfahren durch verknüpfte Verwaltungsdaten. Für jeden konkreten KI-Anwendungsfall
sollte ein klarer, an politischen Zielsetzungen orientierter Grund formuliert
werden. Zugleich sei eine frühzeitige und transparente Einbindung der Öffentlichkeit
erforderlich, da das Vertrauen der Bevölkerung nach wie vor fragil ist – so sehen derzeit nur
40 Prozent der Befragten in 27 OECD-Ländern einen Vorteil für die Nutzerinnen
und Nutzer in einer KI-basierten Antragsbearbeitung. Diese Befunde sind auch aus Sicht der deutschen Sozialversicherung
relevant. Die zunehmende Anwendung von KI in den Trägerorganisationen muss
immer mit einem Nutzen für die Versicherten und größtmöglicher Transparenz
verbunden sein.