Die Europäische Kommission will die Verwendung von bereits etablierten Medikamenten für neue Indikationen systematisch fördern.

UM – 11/2021

Am 28. Oktober haben die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und die Leiter der zuständigen nationalen Arzneimittelbehörden ein Pilotprojekt zur Unterstützung der Wiederverwendung von Arzneimitteln ins Leben gerufen. Gesucht wird nach einem geeigneten Rahmen für die Suche nach neuen Indikationsgebieten für bereits vorhandene Wirkstoffe, dem sogenannten „Drug-Repurposing“. Der Pilot fußt auf einem Vorschlag einer Expertengruppe der Europäischen Kommission für den sicheren und rechtzeitigen Zugang zu Arzneimitteln für Patienten (STAMP) aus dem Juni 2019 und wurde mit der Kommissionsmitteilung zur Arzneimittelstrategie vom 25. November 2020 angekündigt. Für die Umsetzung ist eine Arbeitsgruppe („RepOG“) eingerichtet worden.

Keine COVID-19-Therapien gesucht

Drug-Repurposing ist im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie ein großes Thema geworden. Seit Pandemiebeginn screenen Forscher weltweit Substanz-Datenbanken auf ihr antivirales Potenzial. Der Rahmen, indem über das hier ausgerufene Pilotprojekt Daten generiert werden sollen, schließt allerdings COVID-19 ausdrücklich aus. Die Initiative wendet sich vielmehr an Not-for-profit-Organisationen (NPO), die ein Interesse daran haben, dass ein auf dem Markt befindliches, nicht mehr patent- oder anderweitig geschütztes Arzneimittel für eine neue Indikation zugelassen und damit gegebenenfalls auch verordnet und erstattet werden kann. Die gemeinnützigen Organisationen können dabei aus der Wissenschaft kommen, es können aber auch Patientenorganisationen sein.

Ziel: Versorgung zu günstigen Preisen

Es gelte, so die Expertengruppe STAMP, interessierten und geeigneten Organisationen – sogenannte „Champions“ – das notwendige Wissen zu den regulativen Anforderungen und Prozessen, zu vorhandenen und gegebenenfalls noch zu erhebenden Daten sowie den Zugang zu Informationen aus klinischen Prüfungen zu verschaffen. Darüber hinaus soll Hilfe geleistet werden, um Kooperationspartner in der Pharmaindustrie zu finden, die das Produkt mit neuer Indikation am Ende vertreiben können. Kurz: Gesucht wird ein systematischer Ansatz, um neue Indikationen zu finden und geeignete Partner zusammenzubringen, damit nach Patentablauf billiger werdende Arzneimittel für eine breitere Versorgung verfügbar bleiben; nur halt mit anderer Indikation.

Nicht jede NPO kommt in Frage

An die gemeinnützigen Organisationen richten sich hohe Erwartungen. Sie müssen in der Lage sein, ein Programm zur Erforschung der Eignung eines Wirkstoffes für eine neue Indikation zu schultern, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren. Daneben müssen sie die Zusammenarbeit zwischen den Arzneimittelregulierungsbehörden, der Industrie und Patientengruppen koordinieren und diese regelmäßig mit neuen Informationen versorgen können. Keine leichte Aufgabe und sicherlich nichts für kleine Selbsthilfeorganisationen.

Nicht zu verwechseln: Off-Label-Use

Die Umwidmung von Arzneimittelwirkstoffen ist grundsätzlich nichts Ungewöhnliches, sondern gängige Praxis. Eine bekannte Spielart ist der Off-Label-Use, der sich aber vom „Drug Repurposing“ deutlich unterscheidet. Beim Off-Label-Use können zum einen noch patentgeschützte Arzneimittel zulassungsüberschreitend genutzt werden. Beispiele finden sich häufig in der Kinderheilkunde oder der Onkologie. Zum anderen gelten andere Haftungsregelungen für den verordnenden Arzt und zusätzliche Anforderungen an die Aufklärung der Patientinnen und Patienten. Daneben sind die Kriterien für die Erstattungsfähigkeit nicht zuletzt durch höchstrichterliche Rechtsprechung eng gefasst. In der Praxis führt dies immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Ärzten, Patienten und Kostenträgern.