Die Digi­ta­li­sie­rung der Koor­di­nie­rung der sozialen Sicher­heit schreitet langsam voran.

TH – 01/2022

Bereits mit der vor langer Zeit in den Römischen Verträgen verankerten Arbeitnehmerfreizügigkeit wurde deutlich, dass die verschiedenen Systeme der sozialen Sicherheit, und die daraus resultierenden unterschiedlichen Leistungsansprüche in den verschiedenen Mitgliedsstaaten, ein Hindernis für die Rechte der mobilen Arbeitnehmer darstellen würden. Daher war klar, dass begleitende Maßnahmen zur Absicherung der Freizügigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer notwendig sein würden.

Zur Gewährleistung des Erhalts der erworbenen Sozialansprüche wählte man den Weg einer Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. „Mobile“ EU-Bürgerinnen und Bürger verlieren ihren Sozialschutz nicht, wenn sie sich vorübergehend in einem anderen EU-Land aufhalten, sei es aus privaten oder beruflichen Gründen. Erworbene Rentenansprüche können beispielsweise mitgenommen, Leistungen aus der Kranken- oder Unfallversicherung auch im Gastland in Anspruch genommen werden.  

Hierbei ergeben sich auch heute noch oftmals Verzögerungen und Probleme. Der Informationsaustausch zwischen den Sozialversicherungsträgern untereinander, aber auch mit den Leistungsberechtigten, findet oftmals noch in Papierform statt. Die EU-Vorschriften sehen jedoch die Nutzung digitaler Technologien und das Angebot benutzerfreundlicher Dienste vor. Die EU-Kommission hat daher in ihrem „digitalen Kompass“ Zielvorstellungen für einen digitalen Wandel Europas bis 2030 formuliert. Hier ist vorgesehen, dass alle wichtigen Dienste (einschliesslich der elektronischen Patientenakte) online verfügbar sein sollen. 80% aller EU-Bürgerinnen- und Bürger sollen dann eine digitale Identität nutzen. Auf europäischer Ebene wird daher teilweise bereits seit geraumer Zeit an verschiedenen Projekten zur Digitalisierung im Bereich der sozialen Sicherheit gearbeitet.

EESSI, und über ESSN...

Mit dem europäischen Austausch von Informationen zur sozialen Sicherheit (European Exchange of Social Security Information – EESSI) möchte die EU-Kommission den Datenaustausch zwischen den Sozialversicherungsträgern in der EU, den EFTA-Staaten (Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz) und dem Vereinigten Königreich digitalisieren und erleichtern. EESSI soll einen papierlosen, schnelleren und effizienteren Austausch von Daten zwischen verschiedenen Sozialversicherungsträgern und mit nationalen Behörden ermöglichen, so zum Beispiel solche zur Ausstellung einer A1-Bescheinigung. Einzelfälle und Anfragen von Versicherten können schneller bearbeitet und die Laufzeiten zur Leistungsgewährung verkürzt werden. Die Vorschriften zur Koordinierung der sozialen Sicherheit sollen ordnungsgemäß angewandt werden, wobei spezielle Vorkehrungen sicherstellen sollen, dass die ausgetauschten Daten korrekt und vollständig sind. Stand Oktober 2021 ist mit circa 3000 angeschlossenen Sozialversicherungsorganisationen aus den meisten teilnehmenden Staaten zumindest ein teilweiser Erfolg zu sehen. Ein vollständiger Anschluss wird für Mitte 2023 erwartet.


Eine von der Kommission im Jahre 2017 gestartete Initiative zur Einführung einer europäischen Sozialversicherungsnummer (European Social Security Number – ESSN) wurde hingegen mittlerweile verworfen. Maßgebend hierfür war, dass die ESSN nicht die wirtschaftlichste Lösung sei, und ihre Einführung einen zu großen Eingriff in private Daten bedeutet hätte.

...zum ESSP: es geht auch anders

Als Alternative zur ESSN hat die EU-Kommission dann im März 2021 im Aktionsplan zur Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte die Einführung eines Europäischen Sozialversicherungsausweis (European Social Security Pass – ESSP) bis 2023 vorgeschlagen. Hier soll ein anderer Weg beschritten werden.


Während die Identifizierung einer Person separat über die europäische digitale Identität (European Digital Identity – EUid) erfolgt, soll der ESSP dann in einer sogenannten „ID Wallet“, einer „elektronischen Brieftasche“, digital hinterlegt werden. Dies wird dann allen Beteiligten einen Datenzugriff in Echtzeit ermöglichen. Der ESSP könnte auf der Blockchain-Technologie basieren.


Zur Prüfung der Machbarkeit einer digitalen Lösung für einen ESSP hat die EU-Kommission Anfang 2021 ein Pilotprojekt mit dem italienischen „Instituto Nazionale della Previdenza Sociale“ (INPS) gestartet. Deutschland ist neben anderen Ländern als beratender Experte am Projekt beteiligt, dessen Abschluss für 2023 vorgesehen ist. Die bereits gestartete erste Phase läuft bis 2022 und befasst sich mit der Digitalisierung des Verfahrens zur Ausstellung und Kontrolle des tragbaren Dokuments PDA1. In einer zweiten Phase bis 2023 sollen dann weitere Elemente, wie die Europäische Krankenversicherungskarte (European Health Insurance Card – EHIC), erprobt werden.

Wie sieht die (digi­tale) Zukunft aus?

Die gesamte Kommunikation der Sozialversicherungsträger untereinander und mit den EU-Bürgerinnen und Bürger sowie etwaige Prüfungen durch Arbeitsinspektoren sollen künftig vollständig papierlos abgewickelt werden. Nachweise sollen sich in Echtzeit prüfen lassen, und Anträge vollständig online gestellt werden können.


Hierzu ist sicherlich noch auf allen Ebenen viel Arbeit zu leisten, und es sind erhebliche Investitionen notwendig. Denn bislang bestehen in den Mitgliedstaaten der EU unterschiedliche Systeme der sozialen Sicherheit mit unterschiedlichen Verwaltungsstrukturen, digitalen Technologien und Verwaltungsverfahren. Die vollständige Digitalisierung ist ein ehrgeiziges Vorhaben. Man wird abwarten müssen, ob der Zeitplan eingehalten werden kann.

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