Salomonisches Urteil des EuGH
EuGH stellt klar, wann Beitragszeiten des Aufnahmestaates bei der Leistungsfeststellung zu berücksichtigen sind.
AS/TH – 01/2022
In seinem Urteil (C-866/19) vom 21.Oktober 2021 hat der EuGH entschieden, dass der jeweils betreffende
Mitgliedsstaat alle rentenrechtlich relevanten Versicherungszeiten,
einschließlich der in anderen europäischen Mitgliedsstaaten zurückgelegten,
berücksichtigen muss. Die Berechnung der anteiligen Leistung erfolgt jedoch ausschließlich
für die nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedsstaates
zurückgelegten Versicherungszeiten. Gleiches gilt für die Bestimmung der Grenze
beitragsfreier Zeiten – in dieser Form eine Besonderheit des polnischen
Rentenversicherungsrechts.
Zum Sachverhalt
Der Kläger, der rentenrechtlich relevante Zeiten sowohl in
Polen als auch den Niederlanden zurückgelegt hatte, bestritt die Berechnung
seiner von der Zakład Ubezpieczeń Społecznych (ZUS) zu gewährenden Altersrente gem.
Artikel 52 Absatz 1 der Koordinierungsverordnung (EG) Nr. 883/04. Er legte
gegen die vorgenommene Berechnung Berufung ein und argumentierte, dass die nach
polnischem Recht zurückgelegten beitragsfreien Zeiten bei der Berechnung seiner
Rente stärker berücksichtigt werden sollten. Hierzu führte er an, dass der EuGH bereits im
Fall Tomaszewska (C-440/09) festgestellt hätte, dass bei der Bestimmung
der für die Rentenansprüche erforderlichen Zeiten, insbesondere bei der für Polen
spezifischen Grenze für beitragsfreie Zeiten, alle Versicherungszeiten,
einschließlich der Versicherungzeiten in anderen Mitgliedsstaaten der EU,
berücksichtigt werden müssten.
Gegen die Aufhebung des Rentenbescheids erhob die ZUS
Kassationsbeschwerde beim Obersten Gericht Polens. Dieses kam zu dem Schluss, dass
Artikel 52 Abs. 1 Buchstabe b VO (EG) Nr. 883/2004 auf drei verschiedene Arten
ausgelegt werden könne:
1. Es werden nur die polnischen
Versicherungszeiten zur Bestimmung der zu berücksichtigten beitragsfreien
Zeiten berücksichtigt.
2. Es werden die Beitragszeiten
aus anderen EU-Staaten berücksichtigt und ein theoretischer Rentenbetrag für
die beitragsfreien Zeiten berechnet. Jedoch gilt der pro-rata
temporis-Grundsatz. Der in der Leistungsberechnung tatsächlich eingehenden
beitragsfreien Zeiten werden dann wie unter 1. Berechnet.
3. Sowohl für die Berechnung der
Höchstgrenze der zu berücksichtigenden beitragsfreien Zeiten als auch für die
tatsächliche Einbeziehung in die Leistungsberechnung werden alle nationalen und
europäischen Beitragszeiten berücksichtigt. Nationale und europäische
Beitragszeiten sind somit immer als vollkommen gleichwertig anzusehen.
Das Verfahren wurde ausgesetzt, um den EuGH zur
Vorabentscheidung zu ersuchen.
EuGH bleibt umsichtig
Der
EuGH stellte fest, dass bei der Berechnung des theoretischen Rentenbetrags, auf
den die Person Anspruch hätte, wenn sie alle Versicherungszeiten in Polen
zurückgelegt hätte, der Grundsatz der Zusammenrechnung aller Zeiten anzuwenden
ist. Dies gelte auch bei der Berechnung der Höchstgrenze von beitragsfreien
Zeiten im Verhältnis zu den im polnischen Recht festgelegten Beitragszeiten und
ziele darauf ab, Nachteile für mobile Personen zu verhindern. Für die
Berechnung des tatsächlichen Rentenbetrages auf Grundlage des theoretischen
Rentenbetrages und des Verhältnisses der Versicherungs- und Wohndauer nach
polnischem Recht zur Gesamtdauer der Versicherungszeiten, gelte der Grundsatz
der Zusammenrechnung nicht, da dies de von Polen zu zahlendem Betrag künstlich
erhöhen würde.
Artikel 52 Abs. 1 Buchstabe b VO (EG) Nr. 883/2004 sei
deshalb dahingehend auszulegen, dass im Rahmen der Berechnung des tatsächlichen
Betrages allein die nach den nationalen Rechtsvorschriften zurückgelegten
Zeiten zu berücksichtigen sind. Folglich greife die Höchstgrenze für die
Berücksichtigung beitragsfreier Zeiten in Polen nicht.
Schlussfolgerungen
In Zukunft dürften nationale Rechtsvorschriften, die eine
solche Höchstgrenze für die Berücksichtigung beitragsfreier Zeiten vorsehen,
auszuheben sein. Für die Deutsche Rentenversicherung ist dies jedoch gegenstandslos,
da das innerstaatliche Recht solche Höchstgrenzen für die Berücksichtigung
beitragsfreier Zeiten nicht kennt.