Bei der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit kommen Rat und Parlament auf keinen grünen Zweig.

UM – 01/2022

Sicherlich, das Timing war ungünstig. Als am 22. Dezember des letzten Jahres die Botschafter zusammen kamen, um über die Revision des Koordinierungsrechts zu beraten, war die neue deutsche Regierung erst wenige Wochen im Amt. Vorsichtig enthielt sie sich bei der Abstimmung ihrer Stimme. Damit war sie nicht allein. Vier weitere Kolleginnen und Kollegen enthielten sich im COREPER I ihrer Stimme, neun stimmten mit Nein. Damit waren die Bemühungen, im Trilog einen Kompromis zur Revision der Verordnungen zur Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme zu finden, ein weiteres Mal gescheitert.

Vorweihnachtliche Freude …

Die Verständigung vom 16. Dezember auf einen Kompromisstext kam überraschend. So kam vorweihnachtliche Freude und die Hoffnung auf, das schwierige Dossier endlich abschließen zu können. Doch die Prüfung des Textes in aller Kürze der Zeit brachte Ernüchterung. Neben handwerklichen Fehlern – so die Kommentare hinter vorgehaltener Hand – bildeten die Kompromissformeln offenbar nicht den politischen Willen der Mehrheit der Regierungen ab. Streit gab es – wie schon oft zuvor – um Regelungen zur Vorabnotifizierung bei Entsendungen und zum Export von Leistungen bei Arbeitslosigkeit.

… und alte Zankäpfel

Der Kompromiss wollte es bei der generellen Beantragung einer A1-Bescheinigung vor einer Entsendung belassen. Ausnahme: Bei Dienstreisen sollte eine „verzögerte Notifizierung“ bis zu drei Tagen nach Antritt der Reise möglich sein. Ausnahme hiervon: der Bausektor. Was passieren sollte, wenn die nachträgliche Meldung nicht erfolgt, blieb offen. Das fanden einige unbefriedigend.

Die Vorschläge für den Export von Leistungen bei Arbeitslosigkeit kranken seit jeher daran, dass für eine Reihe von Mitgliedstaaten – verkürzt gesagt – die Vorversicherungszeiten zu kurz und die Leistungszeiträume zu lang bemessenn werden. Der Versuch, über ein Zwei-Stufen-Modell ein Übereinkunft zu treffen, die wenigstens Personen, die länger im System sind, einen längeren Leistungsbezug einräumt, verfing offenbar nicht.

Alles auf Anfang?

Offen ist, wie es weitergehen soll. Wird Frankreich seine Ratspräsidentschaft nutzen und einen weiteren Anlauf nehmen, im Trilog eine Lösung zu finden? Das Land hatte im Dezember den Kompromissvorschlag energisch unterstützt, konnte aber nicht die notwendige Mehrheit hinter sich bringen. Die Europäische Kommission hingegen hat bereits im Sommer verlauten lassen, ihren Revisionsaufschlag gegebenenfalls ganz zurückzuziehen.

In vielem ist man sich einig

Das allerdings wäre mehr als nur bedauerlich. Bei allem Streit darf nicht aus den Augen verloren werden, dass bereits in vielen Punkten des Revisionsvorschlags Einigkeit herrscht. Aus Sicht der Deutschen Sozialversicherung gehören vor allem die gefundenen Regelungen zu den Pflegeleistungen auf die Haben-Seite des Dossiers. Sie sind bürokratiearm ausgestaltet und stellen ein gemeinsames Verständnis darüber her, was Pflegesachleistungen und Pflegegeldleistungen sind. Für den Alltag im zwischenstaatlichen Geschehen ist dies ungemein hilfreich.

Das Erreichte retten

Im anwendbaren Recht sind darüber hinaus Regelungen gefunden worden, auf welche Leistungen Familienangehörige sogenannte „abgeleitete Ansprüche“ haben, wenn zum Beispiel die Eltern in unterschiedlichen Mitgliedsländern leben. Durch eine Priorisierung werden hier offene Fragen beantwortet und Konflikte zwischen den Kostenträgern zulasten der betroffenen Anspruchsberechtigten vermieden. Vor diesem Hintergrund setzt sich die Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung dafür ein, dass sich Kommission, Rat und Parlament wenigstens darauf verständigen, im weiteren Verfahren das bisher Erreichte zu schützen und zu verabschieden.

Appell und Argumentationspapier hier zum Download: