Psychische Gesundheit in digitaler Arbeitswelt
Ein unterschätztes Problem?
SW – 04/2022
Am 28. März
2022 haben die Abgeordneten des Ausschusses „Beschäftigung und soziale
Angelegenheiten“ des Europäischen Parlamentes den Entwurf eines Berichts der
Berichterstatterin Maria Walsh (EVP, IE) über geistige Gesundheit in der
digitalen Arbeitswelt diskutiert. Der Entwurf enthält weitreichende Forderungen
an die Europäische Kommission, um die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz –
vor allem vor dem Hintergrund des digitalen Wandels – zu verbessern.
Die COVID-19
Pandemie habe das Thema psychische Gesundheit noch stärker in den Fokus gerückt
und neue, aber auch bereits zuvor bestehende Probleme noch einmal deutlich
gemacht. Nach Ansicht der Berichterstatterin wird das Ausmaß des Problems jedoch
unterschätzt. Die nächste Gesundheitskrise werde die psychische Gesundheit
betreffen. Die Europäische Kommission wird daher dringend aufgefordert, eine
EU-Strategie für psychische Gesundheit auszuarbeiten.
Recht auf Nichterreichbarkeit
Mit Blick auf
den digitalen Wandel unterstreicht die Berichterstatterin die Bedeutung eines
Rechts auf Nichterreichbarkeit. Ein Recht auf Nichterreichbarkeit sei wesentlich,
um das psychische Wohlbefinden von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sicherzustellen.
Die Europäische Kommission wird erneut aufgefordert, Rechtsvorschriften mit
Mindestanforderungen für die Telearbeit festzulegen. Die Abgeordneten des
Europäischen Parlaments hatten dies zuvor bereits mehrfach gefordert, so zum
Beispiel in ihrer Entschließung zum Recht auf Nichterreichbarkeit mit
Empfehlungen an die Kommission vom 21. Januar 2021.
Der zuständige
Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, Nicolas Schmit, hat in einer
Aussprache zum Bericht des Europäischen Parlaments zum Strategischen
Rahmen der EU für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz am 10. März 2022 bekräftigt,
dass die Europäische Kommission eine angemessene Nachverfolgung der
Entschließung sicherstellen wird. Er sieht aber zunächst die Sozialpartner in
der Pflicht. Die Kommission sei bereit, die Sozialpartner bei der Suche nach
gemeinsamen Lösungen zur Bewältigung dieser Herausforderungen zu unterstützen
und ermutige diese, ihre Rahmenvereinbarung zur Digitalisierung aus dem Jahr
2020 weiterzuverfolgen.
Umgang mit psychosozialen Risiken am Arbeitsplatz
Sehr
weitreichend sind die Forderungen der Berichterstatterin zum Umgang mit
psychosozialen Risiken am Arbeitsplatz. Um
entsprechenden Risiken wirksam vorzubeugen, soll die Europäische Kommission
eine Richtlinie über psychosoziale Risiken und das Wohlbefinden bei der Arbeit auf
den Weg bringen. Zudem wird sie aufgefordert, Angstzustände, Depressionen und
Burnouts als Berufskrankheiten anzuerkennen, Mechanismen für deren Prävention
und die Wiedereingliederung der Betroffenen am Arbeitsplatz einzurichten. Anstelle
von Maßnahmen auf persönlicher Ebene solle zu einem Ansatz auf der Ebene der Arbeitsorganisation
übergegangen werden.
Während ein europäischer Gesetzesvorschlag, der darauf abzielt, Angstzustände,
Depressionen und Burnouts als Berufskrankheit anzuerkennen in die Freiheit der
Ausgestaltung der Sozialversicherungssysteme durch die Mitgliedstaaten
eingreifen würde, sind Initiativen und Maßnahmen zu ihrer Prävention
grundsätzlich zu begrüßen. Die Unfallversicherungsträger in Deutschland erbringen
bereits mit Hilfe von Präventionsexpertinnen und -experten umfassende Präventionsmaßnahmen,
wie Beratungsangebote und Qualifizierungsprogramme.
Kosten psychischer Gesundheitsprobleme
Schon vor der
COVID-19-Pandemie verursachten psychische Gesundheitsprobleme erhebliche
finanzielle Kosten. Ein Expertengremium, dass die Europäische Kommission zu
Fragen hinsichtlich effizienter, zugänglicher und belastbarer
Gesundheitssysteme berät, schätzt in einem Bericht zum Thema „Supporting Mental Health of
Health Workforce and other Essential Workers“ die Gesamtkosten allein für
arbeitsbedingte Depressionen in der EU-27 im Jahr 2013 auf 620 Milliarden Euro.
Die Behandlungskosten der Gesundheitssysteme beliefen sich demnach auf 60 Milliarden Euro,
die Kosten der Sozialsysteme aufgrund von Invaliditätsleistungen auf 40 Milliarden Euro.
Der zuständige
Ausschuss „Beschäftigung und Soziales“ wird voraussichtlich in seiner Sitzung
am 19. Mai 2022 über den Bericht abstimmen. Ein Termin für die Abstimmung im Plenum
des Europäischen Parlamentes liegt derzeit noch nicht vor.