„Patent Waiver“ – Patentschutz bei COVID-Impfstoffen
Kompromiss im Juni erwartet
UM – 05/2022
In der Kontroverse um eine vorübergehende Aussetzung des Schutzes geistiger Eigentumsrechte für COVID-19-Arzneimittel, Diagnostika und Impfstoffe zeichnet sich eine Lösung ab. Mitte März ist ein Kompromisstext zu dem sogenannten „Patent Waiver“ durchgestochen, Anfang Mai sind die Verhandlungen bei der Welthandelsorganisation (WTO) wieder aufgenommen worden. Die Europäische Kommission hat bereits Ende März signalisiert, sie sei mit dem Vorschlag, der nach zähem Ringen zwischen der EU, Südafrika, Indien und den USA formuliert worden ist, grundsätzlich einverstanden. Die Kontroverse darüber, wie die Produktionskapazitäten für Produkte zur Bekämpfung des Coronavirus weltweit erhöht werden können, scheint zu einem Ende zu kommen.
TRIPS-Abkommen aussetzen
Ausgangspunkt war ein Antrag der Länder Indien und Südafrika
auf einen umfassenden Verzicht auf geistige Eigentumsrechte für COVID-19-Impfstoffe,
Diagnostika und Therapeutika. Um die Prävention, Eindämmung und Behandlung von COVID-19
anzugehen, sollten gleich mehrere Abschnitte des TRIPS-Abkommens (trade-related
aspects of intellectual-property rights) vorübergehend ausgesetzt werden. Das Abkommen der WTO
legt seit 1995 die Mindeststandards für den Schutz unter anderem von Urheberrechten,
Marken und Geschäftsgeheimnissen fest. Der Vorschlag
vom 2. Oktober 2020 erhielt in der Folge die Unterstützung einer großen
Zahl von Ländern aus Afrika, Lateinamerika und Asien sowie einem breiten Kreis von
mehr als 375 zivilgesellschaftlicher Organisationen (siehe
hier).
EU: Patentschutz löst nicht das Problem
Am 10. Juni vergangenen Jahres hatte auch das Europäische Parlament
die Europäische Kommission in einer Entschließung aufgefordert, sich für eine
befristete Aufhebung des TRIPS-Abkommens einzusetzen. So sollte der weltweite
Zugang zu erschwinglichen COVID-19-Medizinprodukten verbessert und globale
Produktionsbeschränkungen und Versorgungsengpässe behoben werden (siehe
hier).
Das Anliegen fand nicht die Zustimmung der Kommission. Auch
Deutschland, Portugal, Belgien und das Vereinigte Königreich warnten vor dem Aussetzen
des Patentschutzes. Industrielle Innovationsfreude bräuchte einen verlässlichen
stabilen Schutzrahmen, so die kritischen Stimmen. Mildere Mittel stünden zur
Verfügung. Die Europäische Kommission verwies auf die Notwendigkeit zur
Kooperation und auf die Möglichkeit von – nicht kostenfreien – Zwangslizenzen. Schließlich erfordere jeder
Technologietransfer Know-How. Also Wissen und Fertigkeiten, die beim weltweit
größten Generikaproduzenten Indien oder auch in China grundsätzlich vorhanden sein
dürften. Eine Impfstofffabrik in Südafrika befindet sich im Aufbau.
Patent Waiver nur für Impfstoffe
Der Kompromisstext erlaubt die kostenfreie Nutzung von
Patenten, die für die Herstellung und Lieferung von COVID-19-Impfstoffen
erforderlich sind, ohne die Zustimmung des Rechteinhabers, soweit dies zur
Bekämpfung der COVID-19-Pandemie notwendig ist. Die Erlaubnis gilt aber nur für
Entwicklungsländer, die im Jahr 2021 weniger als 10 Prozent der weltweiten
Coronavirus-Impfstoffdosen exportiert haben. Der Vorschlag gestattet zudem, die
Impfstoffproduktion mit Mitteln wie gerichtlichen oder administrativen
Anordnungen zu fördern. Über die Ausweitung der Lösung auf Therapeutika und
Diagnostika soll nach sechs Monaten erneut beraten und entschieden werden.
Ein Kompromiss, der niemanden zufriedenstellt
Befürworter eines breiteren globalen Zugangs zu COVID-19-Medizinprodukten
kritisieren die Begrenzung des Kompromissvorschlags auf Impfstoffe heftig. Bereits
heute könnten Länder im Rahmen des TRIPS-Abkommens die nicht freiwillige
Nutzung von Patenten erlauben, so im Falle einer gesundheitlichen Notlage. Für
die Industrie würde die Ausnahmeregelung für Impfstoffpatente bares Geld kosten
und die Anreize für Investoren untergraben, wenn es zu einer weiteren Pandemie
kommt.
Trittbrettfahrer China
Am 10. Mai hat zudem das Entwicklungsland China gegenüber
der WTO eine Unterstützung des Vorschlags signalisiert, sofern
Entwicklungsländer nicht ausgeschlossen würden, die mehr als zehn Prozent der
weltweiten COVID-19-Impfstoffe exportieren. Bei China sind dies 32,6 Prozent! Was
wie Kompromissbereitschaft klingt, stellt zentrale Bestandteile des
Einigungsvorschlags infrage und belastet den weiteren Verlauf der Verhandlungen.
Die WTO-Mitglieder sind gehalten, bis zur 12. Ministerkonferenz Mitte Juni eine
endgültige Entscheidung über die Impfstofffrage zu treffen.