Medizinprodukte- und In-Vitro-Diagnostika-Verordnung
Bei der Umsetzung der Medizinprodukteverordnungen hapert es.
UM – 06/2022
Seit geraumer Zeit wird seitens der Medizinprodukteindustrie heftige
Kritik an der am 26. Mai 2021 in Kraft getretenen Medizinprodukteverordnung
(MDR) und neuerdings auch an der Verordnung über In-Vitro-Diagnostika (IVDR)
geübt. Besonders problematisch sei die Verpflichtung, auf dem Markt befindliche
Bestandsprodukte rezertifizieren zu müssen. Anfang Juni hat sich auch die
Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) gemeinsam mit medizinischen
Fachgesellschaften aus dem Bereichen Chirurgie, Kardiologie und Kinder- und
Jugendmedizin besorgt zu drohenden Versorgungseinschränkungen geäußert und in
einem Brief an EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides regulatorische
Erleichterungen gefordert.
Versorgungsengpässe haben verschiedene Gründe
Der Rat
„Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz“ (EPSCO-Rat) hat am 14.
Juni über Medizinprodukte diskutiert. Im Rahmen einer Orientierungsdebatte
stellte Kyriakides klar, dass weitere Verzögerungen und damit auch die
Verlängerung von Übergangsfristen zu diesem Zeitpunkt keine geeignete Lösung
darstellen. Im Dezember will die Europäische Kommission erneut über den
Sachstand informieren. Deutschland forderte in der Ratssitzung eine Zwischenevaluierung
im Dezember 2022 und im Juli 2023, um frühzeitig prüfen zu können, ob weiterer
Handlungsbedarf bestehe. Die politische Entscheidung trägt auch dem Umstand
Rechnung, dass Versorgungsengpässe bei Medizinprodukten sehr unterschiedliche
Ursachen haben können.
Marktbereinigung ist gewollt
Nicht zuletzt wirkt die Corona-Pandemie fort. Lieferketten wurden
unterbrochen und müssen zum Teil neu erschlossen werden. Teilweise sind es auch
wirtschaftliche Entscheidungen der Unternehmen, sich aus dem europäischen Markt
zurückzuziehen. Gesehen werden muss auch: Mit dem neuen Recht geht ein
gewollter Marktbereinigungsprozess einher. Und mit dem Brexit stehen wichtige
Behörden für die Zertifizierung von Medizinprodukten nicht mehr zur Verfügung.
Ihre Aufgaben müssen die sogenannten Benannten Stellen in der EU übernehmen.
Umsetzung läuft schleppend
Hier ist in der Tat ein Nadelöhr entstanden. Denn der Brexit fällt in
die Zeit, in der die Benannten Stellen einen wichtigen Neuaufstellungsprozess
durchlaufen. Diese müssen nach neuem Recht einen qualitätsgesicherten
Zertifizierungsprozess gewährleisten. In der Vergangenheit gab es hier große
Mängel. Für die Rezertifizierung von Bestandsprodukten und die Zertifizierung
neuer Medizinprodukte müssen sie sich aber erst selbst qualifizieren und erneut
benannt werden. Stand Juni arbeiten für die MDR erst 30 Benannte Stellen und
für die IVDR erst sieben Stellen nach neuem Recht. Auch die Datenbank Eudamed
zur Registrierung und Identifizierung von Herstellern und Produkten ist noch
nicht voll funktionsfähig.
Manchmal mangelt es auch an gutem Willen
Teil der Wahrheit ist aber auch: Es ist nicht
nachvollziehbar, warum die Rezertifizierung für leistungsfähige
Bestandsprodukte so große Probleme bereitet. Ein Positionspapier der Medical
Device Coordination Group (MDCG) der Europäischen Kommission bestätigt: Im April 2022 gaben 75 Prozent der Benannten Stellen an, dass mehr als 50
Prozent der eingereichten Anträge als unvollständig erachtet wurden. Dies
verdeutliche die insgesamt unzureichende Vorbereitung der Hersteller.
Transparenz ja, pauschale Kritik nein
Angesichts der Gemengelage wäre es auch nach Ansicht der Deutschen
Sozialversicherung falsch, dem Druck der Industrie nachzugeben und die neuen
Gesetze wieder zu ändern. Da aber, wo Fakten vorgelegt werden und tatsächlich
Versorgungslücken drohen, ist zu reagieren. Dazu wird Transparenz gebraucht,
aber keine pauschalen Bedrohungsszenarien.