Tarifbindung und Sozialpartnerschaft sollen gestärkt werden

VS – 06/2022

Die Verhandlungsführer der französischen Ratspräsidentschaft und des Europäischen Parlaments haben am 7. Juni 2022 eine noch vorläufige politische Einigung zur europäischen Mindestlohnrichtlinie erzielt. Sie wurde am 16. Juni den Arbeits- und Sozialministern der EU-Mitgliedstaaten bei ihrem Treffen in Luxemburg vorgestellt. Dabei haben fast alle Mitgliedstaaten die Einigung begrüßt. Den Richtlinienvorschlag hatte die EU-Kommission am 28. Oktober 2020 vorgelegt.

Die Richtlinie legt Verfahren zur Vereinbarung angemessener gesetzlicher Mindestlöhne fest, stärkt die Bedeutung der Sozialpartner und von Tarifverhandlungen und formuliert Maßnahmen, die sicherstellen sollen, dass der Mindestlohn auch tatsächlich gezahlt wird.

Angemessene Mindestlöhne in der EU

Eine gerechte Entlohnung, die einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht, ist einer der Grundsätze der europäischen Säule sozialer Rechte. Um diesen zu verwirklichen, haben sich die Verhandlungsführerinnen und -führer auf einen gemeinsamen Rahmen verständigt, wie gesetzliche Mindestlöhne festgelegt, aktualisiert und durchgesetzt werden sollen.

Dabei wird explizit kein gemeinsamer europäischer Mindestlohn angestrebt oder dessen Höhe vorgeschrieben. Dies liegt auch nicht in der Kompetenz der europäischen Politik. Auch die sechs Mitgliedsstaaten ohne staatliche Lohnuntergrenze sind nicht verpflichtet einen Mindestlohn einführen. Hierbei handelt es sich um Zypern, Dänemark, Italien, Österreich, Schweden und Finnland. Besteht jedoch eine staatliche Lohnuntergrenze, wird durch die Richtlinie ein Rahmen festgelegt, wie dieser ermittelt und aktualisiert werden soll.

Nach der Mindestlohnrichtlinie sind die gesetzlichen Mindestlöhne alle zwei Jahre zu aktualisieren, bzw. in Ländern mit einem automatischen Indexierungsmechanismus spätestens alle vier Jahre. Die nationalen Sozialpartner müssen dabei in die Verfahren zur Festlegung und Aktualisierung der gesetzlichen Mindestlöhne einbezogen werden. Auch müssen für die Festlegung des Mindestlohns unter anderem die Kriterien Kaufkraft, Produktivität sowie Höhe, Verteilung und Wachstumsrate der Löhne herangezogen werden.

Förderung der Tarifbindung

Die Sozialpartnerschaft und Tarifbindung sollen mit der neuen Richtlinie gestärkt werden. Die Vereinbarung sieht hierbei vor, dass die Mitgliedstaaten, in denen die Tarifbindung unter einem Schwellenwert von 80 Prozent liegt – das heißt, dass weniger als 80 Prozent der Beschäftigten einen Tarifvertrag haben – einen Aktionsplan zur Förderung von Tarifverhandlungen aufstellen sollen. Darin sollte ein klarer Zeitplan formuliert und konkrete Maßnahmen zur schrittweisen Erhöhung der Tarifbindung aufgeführt werden. Den Schwellenwert von 80 Prozent erreichen bisher nur Österreich, Frankreich, Belgien, Italien, Finnland, Dänemark und Schweden. Deutschland liegt mit etwa 50 Prozent noch im Mittelfeld

Durchsetzung des Mindestlohns

Der Rat und das Europäische Parlament haben sich auch auf eine Reihe von Maßnahmen geeinigt, dass die abhängig Beschäftigten auch den Mindestlohn erhalten. Zu diesen Maßnahmen gehören Kontrollen durch die Arbeitsaufsichtsbehörden, leicht zugängliche Informationen zum Mindestlohn und Maßnahmen, die nationalen Vollzugsbehörden in die Lage zu versetzen, gegen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber vorzugehen, die sich nicht an die Mindestlohnbestimmungen halten.

Auswirkungen auf Sozialversicherung

Auch aus Sicht der Sozialversicherung ist es wichtig, dass der Mindestlohn tatsächlich gezahlt wird. In den letzten zehn Jahren sind in vielen EU-Mitgliedstaaten die Löhne auseinandergedriftet. Dies hat auch zu einer Ausweitung des Niedriglohnsektors geführt. Ein angemessener Mindestlohn kann der daraus resultierenden Verschlechterung der Beitragsbasis der Sozialversicherung zumindest entgegenwirken, vielleicht sogar kompensieren.

Nächste Schritte

Im Juli wird das Europäische Parlament über den angepassten Richtlinienentwurf abstimmen, so dass die Richtlinie nach der Sommerpause verabschiedet werden kann. Die Mitgliedstaaten haben dann zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.