Psychische Gesundheit in der digitalen Arbeitswelt
Weitreichende Maßnahmen gefordert
SW – 07/2022
Am 5. Juli hat
das Europäische Parlament mit 501 Ja-Stimmen, 47 Nein-Stimmen und 85
Enthaltungen eine Entschließung zur psychischen Gesundheit in der
digitalen Arbeitswelt angenommen. Die Abgeordneten fordern, das Thema durch eine
EU-Strategie für psychische Gesundheit und eine europäische Pflegestrategie
anzugehen, die durch nationale Aktionspläne ergänzt werden sollen. Der psychischen
Gesundheit solle derselbe Stellenwert eingeräumt werden, wie der körperlichen
Gesundheit. Es fehle an finanziellen Mitteln und qualifiziertem Personal.
Digitaler Wandel
Die
Abgeordneten weisen auf die Chancen hin, die der digitale Wandel zum Beispiel für
die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen auf dem offenen Arbeitsmarkt
schaffen kann. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber werden angehalten, Barrierefreiheit
und angemessene Vorkehrungen für arbeitsbezogene digitale Umgebungen zu
gewährleisten, um gleiche Arbeitsbedingungen für Menschen mit Behinderungen
sicher zu stellen, einschließlich derjenigen mit psychischen
Gesundheitsproblemen.
Gefordert wird
ferner eine Richtlinie mit Mindeststandards und -bedingungen zur Gewährleistung
einer effektiven Wahrnehmung eines Rechts auf Nichterreichbarkeit. Dies sei insbesondere
notwendig für Beschäftigte in atypischen Beschäftigungsformen. Gleichzeitig
werden Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber aufgefordert, klare und transparente
Regelungen über Telearbeit zu erlassen und auf eine Beachtung von Arbeitszeiten
hinzuwirken.
Zum Recht auf
Nichterreichbarkeit hatte die Europäische Kommission im Strategischen Rahmen der EU für Gesundheit und Sicherheit am
Arbeitsplatz 2021–2027 zunächst die Sozialpartner in der Pflicht gesehen. Diese
haben das Thema nun in ihr Arbeitsprogramm 2022-24 aufgenommen. Die Rahmenvereinbarung über
Telearbeit aus dem Jahr 2002 soll überarbeitet werden und dem Rat als
rechtsverbindliche Vereinbarung in Form einer Richtlinie zur Annahme vorgelegt
werden.
Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
Festgehalten
haben die Abgeordneten an den sehr weitgehenden Forderungen des zuständigen
Ausschusses „Beschäftigung und soziale Angelegenheiten“ des Europäischen
Parlamentes zum Berufskrankheitenrecht. Die Abgeordneten fordern, die Empfehlung
über die Europäische Liste der Berufskrankheiten von 2003 zu überarbeiten. Arbeitsbedingte
psychische Störungen, insbesondere Depression, sogenannte Burn-outs,
Angstzustände und Stress sollen in die Liste aufgenommen werden. Zudem soll die
Empfehlung in eine Richtlinie umgewandelt werden, mit einer Mindestliste von Berufskrankheiten
sowie Mindestanforderungen für ihre Anerkennung und die Entschädigung der
Betroffenen.
Während eine solche
Gesetzesinitiative in die Freiheit der Ausgestaltung der
Sozialversicherungssysteme durch die Mitgliedstaaten eingreifen würde, sind die
ebenfalls geforderten Mechanismen zur Prävention psychosozialer Störungen und
zur Wiedereingliederung der Betroffenen grundsätzlich zu begrüßen.
Ebenfalls zu
begrüßen wäre die von den Abgeordneten geforderte Überarbeitung der Richtlinie
89/654/EWG über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz in
Arbeitsstätten und der Richtlinie 90/270/EWG bezüglich der Sicherheit und des
Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten. Die Europäische
Kommission hat die überfällige Modernisierung beider Richtlinien im Strategischen Rahmen der EU bis 2023 angekündigt.
Ausblick
Das Europäische
Parlament schlägt vor, das Jahr 2023 zum EU-Jahr der psychischen Gesundheit
auszurufen, um die Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken und hierfür zu
sensibilisieren. Mit Blick auf die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz hat die
Europäische Kommission im Strategischen Rahmen der
EU eine nichtlegislative Initiative auf EU-Ebene angekündigt. Neu auftretende
Probleme im Zusammenhang mit der psychischen Gesundheit von Arbeitskräften sollen
bewertet und vor Ende 2022 Leitlinien für Maßnahmen vorgelegt werden.