Mehrheit der Mitgliedstaaten gegen Voucher für antimikrobielle Arzneimittel

UM – 12/2022

Im Vorfeld der Sitzung des Rates für Beschäftigung, Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz (EPSCO) am 9. Dezember haben 14 Mitgliedstaaten in einem „Non-paper“ ihre Bedenken zur geplanten Revision der europäischen Arzneimittelgesetzgebung geäußert. Angeführt durch die Niederlande und im Wissen, dass der Rat von der Europäischen Kommission hierzu unterrichtet werden soll, haben die Länder der Idee, übertragbare Exklusivitätsgutscheine (auch Voucher oder TEE – Transferable Exclusivity Extension) einzuführen, eine klare Absage erteilt. Damit ist fraglich geworden, ob die Europäische Kommission bei der Überarbeitung der allgemeinen Arzneimittelgesetzgebung im nächsten Frühjahr ihre ursprüngliche Idee Voucher einzuführen, weiterverfolgen wird.

Voucher sind teuer

Mittels eines Vouchers soll ein pharmazeutischer Hersteller dazu veranlasst werden, ein neues und wirkungsvolles antimikrobielles Arzneimittel auf den Markt zu bringen. Mit dem Gutschein kann der Exklusivitätszeitraum verlängert werden, in dem ein Unternehmen eines seiner anderen Medikamente ohne Konkurrenz durch Generika-Anbieter verkaufen kann. Wird der Voucher für einen profitablen „Blockbuster“ eingelöst, lässt sich viel verdienen. Die Europäische Kommission bemisst den Wert eines Vouchers, der für ein besonders profitables Medikament verwendet wird, nach Abzug der Produktions-, Vertriebs- und Kapitalkosten auf durchschnittlich etwa 360 Millionen Euro jährlich. Patientinnen und Patienten sowie Kostenträger tragen aber eine höhere Last; neben den Mitteln für den Anreiz auch in Form eines verzögerten Generika-Wettbewerbs, der letztendlich zu höheren Arzneimittelausgaben führt.

Intransparent, wettbewerbsfeindlich, kontraproduktiv

Das Gutscheinsystem erhöhe die Kosten der Gesundheitssysteme auf unvorhersehbare Weise, so auch die Ländergruppe. Es beeinträchtige den Zugang der Patientinnen und Patienten zu Medikamenten und garantiere auch nicht die Entwicklung neuartiger Antibiotika. Im Gegenteil belohne der Transfer von Exklusivitätsrechten die Entwicklung von Arzneimitteln in profitableren Indikationen.

Mit dem Nein zum Voucher kritisieren die Länder zudem den bestehenden Rechtsrahmen. Schon das bestehende Anreizsystem würde dort zur Produktentwicklung ermuntern, wo die Umsatzerwartungen hoch sind und wo hohe Preise gute Profite versprechen. Letzteres sei bei Arzneimitteln für seltene Erkrankungen (Orphan-Arzneimittel) der Fall. Bei Indikationen, bei denen dringend Innovationen gebraucht werden, fänden keine statt.

Pull-Anreize

Deshalb müssten neben geeigneten direkten finanziellen Belohnungen, sogenannte Pull-Anreize entwickelt werden. Diese sollen eine gewünschte Produktentwicklung fördern, wie zum Beispiel mit Markteintrittsprämien, bei denen der Ertrag vom Umsatz entkoppelt ist. Modelle hierzu gibt es, wie etwa das sogenannte „Netflix-Modell“. Bei diesem Ansatz würde dem Hersteller unabhängig von den Verordnungszahlen ein fester Einnahmebetrag garantiert. Denkbar wären auch eine direkte Forschungs- und Entwicklungsförderung, bei der die Fortschritte belohnt würden. Man solle aber Anreize mit strategischen Zielen, zum Beispiel der Belieferung aller Mitgliedstaaten, der Produktion in Europa oder auch zur Förderung des verantwortungsvollen Umgangs mit antimikrobiellen Mitteln, verknüpfen.

HERA einbinden

Der EU-Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) könne zudem eine besondere Rolle bei der Erforschung und Beschaffung neuer Produkte zukommen. Einen Vorschlag hierzu hatte die gemeinsamen Aktion zur Bekämpfung der Resistenz gegen antimikrobielle Mittel und therapieassoziierte Infektionen (JAMRAI) gemacht. Die HERA hat im Juli die Gefahr durch antimikrobielle Resistenzen als eine der drei prioritären grenzüberschreitenden Gesundheitsbedrohungen der EU festgelegt, für die Gegenmaßnahmen auf der Gemeinschaftsebene vorzubereiten sind.