Streit um die französische Rentenreform
Ein Hauch von Margaret Thatcher im Élysée
MB – 04/2023
Frankreich ist wieder einmal im Aufruhr und die
französische Bevölkerung wehrt sich gegen die Rentenreform von Präsident
Emmanuel Macrons. Der Protest äußert sich durch – nicht immer
gewaltfreie – Großdemonstrationen auf den Straßen. Die französischen
Gewerkschaften nehmen darauf maßgeblichen Einfluss.
Aber auch im französischen
Parlament gibt es keine Zustimmung, weshalb die Regierung des Präsidenten einen
Sonderweg eingeschlagen hat. Der französische Verfassungsrat hat die Rentenreform
am 14. April weitestgehend gebilligt und sie ist nach der Unterschrift des
Präsidenten damit am
Folgetag in Kraft getreten.
Braucht man tatsächlich eine Rentenreform?
Gegenwärtig beträgt das Renteneintrittsalter im
allgemeinen System für
ab 1955 geborene Personen 62 Jahre. Diese Eintrittsalter soll mit der Reform
stufenweise ab September 2023 auf 64 Jahre bis 2030 angehoben werden. Auch die
Anzahl der Beitragsquartale – in Frankreich spricht man von Trimester – wird
von 168 (42 Jahre ) auf 172 (43 Jahre) bis 2027 erhöht; diese Anzahl an
Trimestern wird für eine abschlagsfreie Renten gebraucht.
Das Aufsichtsgremium „Conseil
d´orientation des retraites“ hält die vorgenannten Anpassungen rein
finanziell nicht für erforderlich, weil die Einnahmen stabil sind und bleiben.
Ob die vorgenannten Zielsetzungen tatsächlich wirksam sind, ist fraglich, da
bereits heute das durchschnittliche
Renteneintrittsalter bei mehr als 62 Jahren liegt und die Tendenz weiter steigt. Daneben
können versicherte Personen gleichwohl weiterhin vorzeitig in Renten gehen,
wenn sie sehr früh in das Berufsleben eingetreten sind, mehr als 40 Jahre
versichert waren und bereits vor Vollendung des 16 - 20 Lebensjahres eine
bestimmte Anzahl von Trimestern gearbeitet haben.
Starke Gewerkschaften
Dem Präsidenten und seiner Regierung weht ein starker Wind durch den gemeinsamen
Widerstand der französischen Gewerkschaften entgegen, die sich einig wie selten
zuvor sind. Dies ist u.a. dem Umstand geschuldet, dass die Regierung wohl nicht
zu Verhandlungen mit den Sozialpartnern bereit war.
Diese Einigkeit führt dazu, dass die Gewerkschaften erfolgreich
Demonstrationen organisiert haben, die entweder von allen Arbeitnehmer:innen
mitgetragen werden oder nur von speziellen Berufsgruppen, die aber Wirkung auf
die gesamte französische Gesellschaft haben (z.B. Eisenbahn, Müllabfuhr,
Raffinerien).
Das politische Ränkespiel
Der französische Präsident
hält an seinem Ziel fest, zumal auch die Europäische Kommission entsprechende
Reformen in Frankreich eingefordert hat. Macron will wie einst die „Eiserne
Lady“ die Macht der Gewerkschaften brechen. Aber auch im Parlament konnte
die Regierung das Reformhaben nicht auf normalem Wege verabschieden, obwohl man
grundsätzlich davon ausging, dass man zusammen mit den Abgeordneten der
konservativen Republikaner eine entsprechende Mehrheit in der
Nationalversammlung gehabt hätte. Die Proteste der Bevölkerung haben die
konservativen Abgeordneten zum Umschwenken gebracht, weshalb der Präsident von
Art. 49.3 der Verfassung Gebrauch gemacht hat: die Reform konnte so ohne
parlamentarische Abstimmung auf den Weg gebracht werden, wodurch die Proteste
aber nur weiter angeheizt wurden.
Durch die nunmehr erfolgte
Zustimmung des Verfassungsrats wurde zwar rechtliche Klarheit erreicht, auf politischer
Ebene und auf der Straße wird das Kräftemessen aber vermutlich weitergehen.