Geistige Gesundheit
EU-Initiative zur psychischen Gesundheit - Gute Absicht oder zahnlose Initiative?
UM – 06/2023
Am 7. Juni hat die Europäische Kommission ihren Ansatz
für eine „umfassende Herangehensweise im Bereich der psychischen Gesundheit“ vorgestellt. Ein bereits im Vorfeld durchgesickerter Entwurf aus dem Anfang Mai
ließ erahnen, dass allzu hohe Erwartungen nicht angebracht sind. Das hat sich
bestätigt. Die Mitteilung
der Kommission COM(2023) 298 final lässt lediglich gute Absichten erkennen,
indem ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz zur Bewältigung der Herausforderungen
im Bereich der psychischen Gesundheit vorgeschlagen wird. Diese
Herangehensweise will zudem in einem ersten Schritt die psychische Gesundheit
auf eine Stufe mit der körperlichen Gesundheit stellen. Hierfür will die
Europäische Kommission 1,23 Milliarden Euro bereitstellen.
Vulnerable Gruppen
Heute leide jeder sechste Mensch in der Europäischen Union
(EU) unter seelischen Problemen. Die Situation sei durch die Krisen der
vergangenen Jahre verschlimmert worden. Die Corona-Pandemie habe eine ganze
Generation von Kindern und Jugendlichen über die Lockdowns eine Serie von
verpassten Gelegenheiten beschert. Flüchtlinge und Migranten träfen auf fremde
Kulturen und Vorbehalte; dies häufig genug mit traumatischen Erlebnissen im
Gepäck. Seniorinnen und Senioren leiden in zunehmender Zahl an Einsamkeit. Energiekrise
und Inflation schaffen Existenzängste, der Klimawandel bei jungen Menschen das
Gefühl von Perspektivlosigkeit. Es gelte, diese vulnerablen Gruppen besonders in
den Blick zu nehmen.
Nicht alles ist neu
Die Herangehensweise der Europäischen Kommission lässt sich
von drei zentralen Prinzipien leisten: Prävention, Zugang zu Behandlung,
Wiedereingliederung nach Genesung. Über 20 Leuchtturminitiativen sollen Maßnahmen
auf EU-Ebene und in den Ländern ergriffen beziehungsweise unterstützt werden. Dabei
erstrecken sich die Vorschläge von Ankündigungen über die Unterstützung von
Maßnahmen der Mitgliedstaaten und der Förderung des best practice Austauschs bis
hin zum Aufbau von Netzwerken. Einiges davon bezieht sich auf bereits
bestehende Maßnahmen, wie zum Beispiel das Recht, sich online von der Arbeit
abzuschalten. Die generell spürbare Zurückhaltung, durchgreifendere Maßnahmen
vorzuschlagen, erklärt sich aber auch aus der primären Zuständigkeit der
Mitgliedstaaten für die Gesundheits- und Versorgungspolitik.
Mehr Transparenz für eine bessere Versorgung
Im Rahmen der Pressekonferenz zur Vorstellung der neuen EU-Initiative
hob Margaritis Schinas, Vizepräsident und Kommissar für die europäische
Lebensweise, zwei zentrale Motive hervor: Zum einen die Entstigmatisierung seelischer
Probleme. Hierfür will die Kommission 18 Millionen Euro aus dem Gesundheitsprogramm
EU4Health einsetzen; vorwiegend für die Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der
Ermittlung und Umsetzung bereits bewährter Verfahren, für Kommunikationsmaßnahmen
und die Projektarbeit von Interessenträgern. Zum anderen soll der wichtige
Zugang zur Behandlung durch die Schaffung von Transparenz über die Hilfestrukturen
vor Ort gefördert werden. „Jeder Hilfebedürftige solle wissen, an wen er sich
wenden kann“, so Gesundheitskommissarin Stelle Kyriakides. Dann würde ihm auch
geholfen. Angesichts der Versorgungswirklichkeit in den meisten Mitgliedstaaten
dürfte diese Sichtweise
nicht von allen geteilt werden. Eurocadres,
der europäische Verbund von Gewerkschaften, die Fach- und Führungskräfte
vertreten, spricht von einer „zahnlosen Initiative, die zum Scheitern
verurteilt sei“.