Klimawandel und Digitalisierung werden die nächsten Jahrzehnte prägen

UM – 07/2023

Die Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung hat am 27. Juni ihren 30ten Geburtstag gefeiert. Zugleich ist auch der europäische Binnenmarkt 30 Jahre alt geworden. Und als wäre das noch nicht Grund genug: Die Grundsteine der deutschen Sozialversicherung wurden vor 140 Jahren gelegt. 

Das Palais Charles de Lorraine – immer schon ein Ort für besondere Begegnungen - bot eine würdige Kulisse für besondere Gäste aus Politik und Regierung, Sozialversicherung und europäischen Verbänden und Institutionen. Wer sich zum abendlichen Empfang auf den Weg gemacht hatte, wurde belohnt: Mit der schon zur Tradition gewordenen „DSV-Praline“, einem lauen Sommerabend am Hang des Museumsberges im Herzen Brüssels, einer leidenschaftlichen Rede von Dennis Radtke, dem Koordinator für soziale Themen bei der EVP im Europaparlament und besten Grüße von Dubravka Šuica, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und zuständig für Demokratie und Demografie. Selbige überbrachte Marion Finke aus dem Kabinett Šuica und hob in ihrer Rede die kontinuierlich gute Zusammenarbeit zwischen der DSV und ihrem Politikbereich hervor; zuletzt beim Grünbuch Altern.

„140 Jahre Sozialversicherung – 30 Jahre Binnenmarkt“. Bismarck on the move: Get digital. Go green.“

Um miteinander zu reden und sich politisch einzubringen, sei die deutsche Sozialversicherung vor 30 Jahren nach Brüssel gekommen, erinnerte deren Direktorin Ilka Wölfle. Das verpflichte. Und so ist dem entspannten Miteinander bei kühlen Getränken die fachliche Debatte vorangestellt worden. Im Rahmen einer Fachkonferenz „140 Jahre Sozialversicherung – 30 Jahre Binnenmarkt“. Bismarck on the move: Get digital. Go green.“ wurden zwei Trends aufgegriffen, die auch für die Sozialversicherung einschneidende Veränderungen mit sich bringen werden: die Digitalisierung und der Klimawandel.

Und so wurde am Nachmittag in der Hessischen Landesvertretung in zwei Gesprächsrunden intensiv und hochrangig darüber diskutiert, wie sich die Sozialversicherung angesichts dieser Zukunftsherausforderungen aufstellen muss. Und wie Europa die notwendigen gesellschaftlichen Transformationsprozesse flankieren kann. Zu Wort kamen hochrangige Vertreterinnen und Vertreter aus der Politik, der Europäischen Kommission, der OECD, des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) sowie der deutschen Sozialversicherung.

Belgische Ratspräsidentschaft: Digitalisierung und Sozialschutz

Der belgische Vize-Premierminister und Minister für soziale Angelegenheiten und öffentliche Gesundheit, Frank Vandenbroucke, erlaubte vorab als Gastredner einen Einblick in die politischen Pläne seines Landes. Belgien wolle seine Ratspräsidentschaft ab Januar 2024 nutzen, um unter anderem die Digitalisierung der Sozialversicherungssysteme etwas geordneter zu gestalten. Beifall fand er dafür auch bei der Europaabgeordneten Gabriele Bischoff, die als Expertin für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit seit Jahren für mehr Transparenz in den Verfahren zur grenzüberschreitenden mobilen Beschäftigung wirbt.


Mit Verweis auf die Europäische Säule Sozialer Rechte sprach sich Vandenbroucke dafür aus, allen EU-Bürgerinnen und Bürgern – egal ob teilzeit- oder vollzeitbeschäftigt – Zugang zum Sozialschutz zu gewähren. Eine Ausweitung der bereits seit 2019 bestehenden Ratsempfehlung könne hier helfen.

„Europa to go – mobiles Arbeiten im digitalen Wandel“

Wie schwer solche Vorhaben umzusetzen sind, zeigt sich bei der Plattformarbeit und dem im Trilog befindlichen Richtlinienvorschlag. Dennoch unterstrich Joost Korte, Generaldirektor der Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Integration der Europäischen Kommission im Rahmen des ersten Panels „Europa to go – mobiles Arbeiten im digitalen Wandel“ die Notwendigkeit, trotz schwieriger Verhandlungen eine europaweite Antwort zu finden. In anderen Bereichen könne Europa hingegen nur koordinieren, aber nicht harmonisieren. Zum Beispiel, wenn es um die Interoperabilität von digitalen Systemen und Prozessen geht. Wenn die Digitalisierungsinitiativen der EU auch praktisch und nicht nur auf dem Papier funktionieren sollen, seien die Sozialversicherungsträger frühzeitig und eng einzubinden, forderte Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund. Es gelte, aus den Erfahrungen der Vergangenheit zu lernen und es in Zukunft besser zu machen. So zum Beispiel bei der Entwicklung von Standards für den gemeinsamen, datenschutzkonformen Austausch von Informationen. Dem stimmte auch Dr. Carsten Stender vom BMAS zu.

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„Wind of change – die Sozialversicherung im Klimawandel“

Die zweite Diskussionsrunde mit dem Titel „Wind of change – die Sozialversicherung im Klimawandel“ rückte den Klimawandel in den Vordergrund. Francesca Colombo von der OECD legte gleich eingangs den Finger in die Wunde: Die Gesundheitssysteme gäben viel zu wenig Geld für Prävention aus. Auch Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, räumte ein, dass der Gesundheitsbereich ökologischer werden müsse. Ein verantwortlicher Umgang mit Ressourcen hieße für sie auch, unnötige Behandlungen zu vermeiden. Damit Klimaschutzmaßnahmen nicht soziale Ungleichheiten verschärfen, will die Europäische Kommission Klima- und Sozialpolitik in Abhängigkeit voneinander gestalten. Nach Frank Siebern-Thomas von der Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Integration treffen durch den Klimawandel neue auf bereits bestehende soziale Benachteiligungen. Es gäbe aber zahlreiche europäische Initiativen, um hier gegenzusteuern. Und auch gut gefüllte Töpfe. Ein Punkt auf der Wunschliste von Dr. Edlyn Höller, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, war die besondere Förderung des Arbeitsschutzes im Klimawandel. Hinsichtlich der Wissensgrundlagen und der Erforschung von notwendigen Arbeitsschutz- und Präventionsmaßnahmen gäbe es Handlungsbedarf. Aber auch in Bezug auf Risiken durch neue, grüne Technologien, wie zum Beispiel bei der Arbeit mit Wasserstoff, sei die Wissensbasis noch dünn. 

Mehr Informationen wie das vollständige Programm und die Impulspapiere zur Fachkonferenz  sind hier zu finden.