Die Grenzen zwischen Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung verschwimmen.

VS – 03/2024

Die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) hat am 30. Januar die Studie “Self-employment in the EU: Job quality and developments in social protection” vorgestellt. Danach bestehen weiterhin große Lücken beim Sozialschutz von Selbstständigen. So verfügen von den 28 Millionen Selbstständigen in Europa 16,8 Millionen über keine Absicherung im Fall von Arbeitslosigkeit. Aber auch bei Krankheit und im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sind 5,3 Millionen beziehungsweise 4,2 Millionen Selbstständige nicht abgesichert. Lücken bei der sozialen Absicherung bestehen vor allem bei Selbstständigen, deren Beschäftigungssituation der von Arbeitnehmern ähnelt.

Die Grenzen zwischen Selbstständigkeit und Beschäftigung verschwimmen

Viele Selbstständige, insbesondere diejenigen, die von einem oder einer begrenzten Anzahl von Kunden abhängig sind und deren Autonomie und Fähigkeit zur Preisgestaltung eingeschränkt ist, befinden sich in einer Situation, die einer abhängigen Beschäftigung ähnelt. Anders als diese verfügen sie jedoch nicht über einen ausreichenden Arbeits- und Sozialschutz. Ein Trend, der durch die Zunahme der Plattformbeschäftigung noch verstärkt wird. Um die soziale Absicherung dieser Beschäftigten sicherzustellen, ist es aus Sicht der Autorinnen und Autoren des Berichts notwendig, einheitliche Kriterien für die Bestimmung des Beschäftigungsstatus zu vereinbaren.

Befristete Ausweitung des Sozialschutzes während der Pandemie

Die Analysen der für die Erforschung von Lebens- und Arbeitsbedingungen beauftragte EU-Agentur Eurofound zeigen, dass die Systeme der sozialen Sicherheit primär auf abhängig Beschäftigte ausgerichtet sind. In der Gruppe der Selbstständigen bestehen hingegen große Unterschiede beim Zugang und Umfang der sozialen Absicherung. Besonders deutlich wurde dies in der Covid-19-Pandemie. Selbstständige waren hier am stärksten von Einkommensverlusten betroffen. Dabei haben die Mitgliedstaaten im Verlauf der Pandemie mit vielfältigen, meist befristeten Initiativen, deren Einkommen gestützt und den Zugang zum Sozialschutz ausgeweitet. Diese Anstrengung belegen, dass sich die Mitgliedsstaaten der Lücken im Sozialschutz für Selbstständige bewusst sind. Nach Ansicht der Autorinnen und Autoren des Berichts gelte es deshalb, die gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Pandemie zu nutzen.

Die Absicherung Selbstständiger steht auf der europäischen Agenda

In der Europäischen Säule sozialer Rechte wird im Grundsatz 12 das Ziel formuliert, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und unter vergleichbaren Bedingungen Selbstständige unabhängig von der Art und Dauer ihres Beschäftigungsverhältnisses Anspruch auf angemessenen Sozialschutz haben. Um die diesbezüglichen Lücken zu schließen, hat der Rat der Europäischen Union 2019 eine Empfehlung über den Zugang zum Sozialschutz für Arbeitnehmer und Selbstständige angenommen. Im Dezember 2021 hat die Europäische Kommission einen Richtlinienvorschlag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit vorgelegt, der darauf abzielt, den Beschäftigungsstatus von Plattformarbeitern zu klären und deren Arbeits- und Sozialschutz zu verbessern. Im Trilog haben die Verhandlungsführerinnen und -führer von Europäischen Parlament und Rat am 8. Februar hierzu eine vorläufige Einigung erzielt, über die nun entschieden werden muss. Darüber hinaus hat die Europäische Kommission im September 2022 Leitlinien zur Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts zu Tarifverträgen über die Arbeitsbedingungen von Selbstständigen verabschiedet.

Belgische Ratspräsidentschaft strebt Verstetigung des Monitorings an

Die belgische Ratspräsidentschaft hat den Zugang zum Sozialschutz zu einem Schwerpunkt ihrer aktuellen Ratspräsidentschaft gemacht und strebt eine Verstetigung der in der Ratsempfehlung vorgesehenen Überwachung der Fortschritte bei der Verwirklichung des Zugangs zum Sozialschutz an. Dabei soll der entwickelte Monitoringrahmen weiterentwickelt werden und den tatsächlichen Zugang zum Sozialschutz abbilden.