Nächste Schritte betreffen die Mehrheitsbildung und die Vergabe der Top Jobs.

HS – 06/2024

Nach den Europawahlen beginnt in Brüssel das Suchen nach Mehrheiten. Das betrifft zum einen das Europäische Parlament, wo die Wahlen das Kräfteverhältnis grob festgelegt haben, durch die Fraktionsbildung aber bis Anfang Juli noch viel passieren kann. So ging die EVP als stärkste Partei aus der Wahl hervor. Sie konnte ihren Vorsprung vor den Sozialdemokraten in der Zwischenzeit noch ausbauen, indem sich weitere Angeordnete der Fraktion angeschlossen haben. Die rechtkonservative EKR-Fraktion konnte ebenfalls aufholen. Nach der Wahl lag sie auf dem vierten Platz, mittlerweile hat sie die Liberalen überholt und stellt die drittgrößte Fraktion.

Fraktionsbildung im Europäischen Parlament

Der 4. Juli ist die interne Frist für die Bildung neuer Fraktionen und große Wechsel. Dies ist zunächst wichtig, um sich intern einigen zu können, welchen Fraktionen wie viele und welche Posten zukommen – von Vizepräsidentinnen und -präsidenten des Europäischen Parlaments bis hin zu Ausschussvorsitzenden stehen etwa 100 Posten zur Verfügung. Die Verteilung der Posten soll sich im Großen und Ganzen nach der Größe der Fraktionen richten. Doch in der letzten Legislaturperiode hat der sogenannte „cordon sanitaire“, auf den sich die übrigen Fraktionen verständigt haben, verhindert, dass Abgeordnete der Rechtsaußenfraktion ID Schlüsselpositionen besetzen. Zwar können zu jeder Zeit neue Fraktionen gebildet oder Wechsel vollzogen werden. Jedoch sorgen die internen Abstimmungen im Juni und Juli dafür, dass das Fraktionsgefüge im Europäischen Parlament vor der ersten Sitzungswoche (16. bis 19. Juli) weitestgehend steht.

Diskussionen um die Top Jobs dauern an

Während sich im Europäischen Parlament die Mehrheiten bilden, diskutiert der Europäische Rat die sogenannten Top Jobs. Dies geschieht traditionell im Paket und betrifft die Präsidentschaft der Europäischen Kommission, des Europäischen Rates sowie den Posten des Hohen Vertreters oder der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik. Bei den Überlegungen werden bestenfalls Parteimitgliedschaft und Mehrheitsverhältnisse, aber auch Ausgewogenheit hinsichtlich Ländergruppen und Geschlecht berücksichtigt. Am 17. Juni haben sich die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der EU erstmals zu diesem Zweck zu einem informellen Abendessen getroffen. Zu einer Einigung ist es dabei nicht gekommen.


Abgesehen von den Top Jobs sind immer auch andere mächtige Posten Teil der Diskussionen unter den Staats- und Regierungschefinnen und -chefs, insbesondere die Posten der Vizepräsidentinnen oder ‑präsidenten der Europäischen Kommission. Eine Einigung über die Top Jobs wird nun beim formellen Treffen des Europäischen Rates am 27./28. Juni erwartet. Da der Europäische Rat das Vorschlagsrecht für die Präsidentin oder den Präsidenten der Europäischen Kommission hat, ist dieser Schritt eine Voraussetzung für die Wahl der Kommissionspitze, die voraussichtlich in der ersten Sitzungswoche des Europäischen Parlaments (16.-19. Juli) stattfinden wird.

Erste Sitzungswoche des Europäischen Parlaments

Die Parlamentspräsidentschaft dagegen ist kein klassischer Teil der Diskussionen um die Top Jobs. Stattdessen ist schon seit vielen Jahren üblich, dass sich die EVP und die SPE als die beiden größten im Parlament vertretenen europäischen Parteienfamilien die Präsidentschaft in je zweieinhalb Jahre aufteilen. Die Wahl der Parlamentspräsidentin oder des Parlamentspräsidenten findet am ersten Sitzungstag des neu gewählten Europäischen Parlaments (16. Juli) statt. Außerdem wird auf Vorschlag der Konferenz der Präsidenten – Parlamentspräsident*in und Fraktionsvorsitzende – über die Ausschüsse sowie deren Größe abgestimmt.

Zusammenarbeit unter den Fraktionen

Aktuell ist noch unklar, wie die Fraktionen in der kommenden Legislaturperiode zusammenarbeiten wollen. Die EVP als größte Fraktion verhandelt – auch um eine ausreichende Unterstützung für ihre Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin sicherzustellen – vor allem mit den Sozialdemokraten und den Liberalen. Doch auch mit den Grünen und Teilen der EKR kann es zu Gesprächen kommen. In dieser komplizierten Interessenlage gibt es die Idee eines Koalitionsvertrags, um sich auf einige bestimmte Inhalte vorab zu einigen. Schon 2019 haben die vier Fraktionen der proeuropäischen Mitte versucht, sich auf eine solche Vereinbarung zu einigen, damals ohne Erfolg.

Weitere Schritte

Sofern das Europäische Parlament in seiner ersten Sitzungswoche eine Kommissionsspitze wählt, kann sie oder er über Sommer das Kollegium der Kommissarinnen und Kommissare nach Nominierungen der einzelnen Mitglieder durch die Mitgliedstaaten zusammenstellen. Im Herbst kommt es dann zu den Anhörungen der designierten Kommissionsmitglieder sowie der Abstimmung über das gesamte Kollegium durch das Europäische Parlament.