Der wirt­schaft­liche Zustand der EU ist kritisch.

UM – 09/2024

Droht der Europäischen Union (EU) ein langsamer Niedergang? Nach Einschätzung des ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, ist das so. Der langjährige europäische Währungshüter hat am Montag, den 9. September, seinen Bericht zur Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit (nur in englischer Sprache) in Brüssel der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, übergeben. Sein Blick auf den gegenwärtigen wirtschaftlichen Zustand ist kritisch: Ohne radikalen Wandel drohe der EU ein „langsamer Niedergang“.

Wenig Inno­va­tionen, nied­rige Produk­ti­vität, digi­tale Rück­stände

Beklagt wird ein Mangel an Innovationen und Investitionen. Mindestens 750 bis 800 Milliarden Euro seien jedes Jahr notwendig, um insbesondere die Rückstände in technologischer Hinsicht und bei der Digitalisierung zu überwinden und den Kontinent wettbewerblich anschlussfähig zu halten. Fast noch wichtiger: Die EU ersticke in Bürokratie und habe ihre wichtigste Aufgabe, den Binnenmarkt zu vertiefen, vernachlässigt. Die Industriekultur sei zu statisch, die digitale Revolution verschlafen worden. Europa stehe – mit Blick auf die USA und China – wettbewerbspolitisch vor „existenziellen Herausforderungen“.

EU hinkt 20 Jahre hinter den globalen Entwick­lungen hinterher

Der Bericht Draghis schlägt einen Bogen über diverse industriepolitische Themen. Die europäische Pharmaindustrie wird zwar als eine Schlüsselindustrie betrachtet, deren Wettbewerbsfähigkeit gefördert werden sollte. Allerdings würde der öffentliche Bereich viel zu wenig in die Forschung und Entwicklung (F&E) in technischer Hinsicht investieren. Auch die Künstliche Intelligenz würde nur eine untergeordnete Rolle spielen. Im Europa von heute spiegele sich damit das Bild der USA zur Jahrtausendwende: Zu den drei größten Investitionsbereichen zählten damals die Automobilindustrie und der Arzneimittelsektor. Heute seien die drei führenden Investoren Technologieunternehmen.

Vorschläge für den phar­ma­zeu­ti­schen Sektor

Draghis Bericht wartet in Kapitel 9 auch mit konkreten Vorschlägen auf. Unter anderem gelte es, den Europäischen Gesundheitsdatenraum so umzusetzen, dass die Arzneimittelindustrie Gesundheitsdaten optimal nutzen kann. Zur Förderung von F&E bei Arzeimitteln sollten vermehrt die klinischen Prüfungen länderübergreifend erfolgen. Der Marktzugang neuer Arzneimittel sollte beschleunigt werden, so zum Beispiel durch ein koordiniertes Vorgehen von Zulassungsbehörden, HTA-Behörden und Kostenträgern bei der Beratung von Herstellern, bei der Preisgestaltung und Kostenerstattung sowie bei der Beschaffung. In die Erforschung von Arzneimitteln für neuartige Therapien sollte mehr öffentliches Geld fließen. 

Indus­tri­elle Perspek­tive ist einseitig

Die Vorschläge folgen erwartungsgemäß einer industriellen Perspektive. Es ist davon auszugehen, dass der Bericht seitens der Europäischen Kommission aufmerksam studiert wird und seine Inhalte in Teilen in die Erstellung der Missionsschreiben für die künftigen Kommissarinnen und Kommissare einfließen werden. Aus Sicht der DSV ist zu hoffen, dass dabei auch nicht-industrielle Aspekte Berücksichtigung finden. Der Draghi-Report blendet Aspekte der Bezahlbarkeit von Arzneimitteln oder der finanziellen Nachhaltigkeit der Gesundheitssysteme aus. Die nächste EU-Kommission darf das nicht tun.

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