Ein neuer (nordischer) Trend?

VS – 10/2024

Ein sich derzeit in der Konsultationsphase befindender Gesetzesentwurf der finnischen Regierung sieht vor, die Zahlung von Alters- und Invaliditätsrenten an Empfängerinnen und Empfänger in Ländern der Europäischen Union (EU) und des Europäischen Wirtschaftsraums im Jahr 2025 einzustellen. Der Gesetzentwurf ist Teil eines Reformpakets zur Stärkung der finanziellen Tragfähigkeit des finnischen Rentensystems. Hierzu sollen diese Rentenleistungen als Mindestsicherungsleistung eingestuft werden. Der finanzielle Vorteil für Finnland: Mindestsicherungsleistungen müssen im Gegensatz zu Rentenleistungen nach den europäischen Regelungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit nicht exportiert werden. Finnland folgt damit Schweden, die schon seit Januar 2023 die schwedische Garantierente (garantipension) nicht mehr in EU-Länder auszahlen.

Gleichbehandlung im Wohnsitzland

Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 enthält vielfältige Bestimmungen zu Rentenleistungen. So auch in Artikel 58 zu finanziellen Zulagen, auf die Rentnerinnen und Rentner in ihrem Wohnsitzland Anspruch haben, auch wenn sie ihre Rentenansprüche ganz oder teilweise in anderen Mitgliedstaaten erworben haben. Diese „Zulage“ entspricht der Differenz der Mindestleistung für Ältere im Wohnsitzland und der erworbenen Rentenansprüche. Damit soll sichergestellt werden, dass Rentnerinnen und Rentner im jeweiligen Wohnsitzland unabhängig vom vorherigen Arbeitsort die gleichen Mindestleistungen erhalten.

Ein Urteil und seine Folgen

Im Jahr 2017 hat der EuGH eine Entscheidung über die schwedische Garantierente (garantipension) getroffen. Die schwedische Garantierente ist steuerfinanziert und Anwartschaften werden entsprechend den Wohnzeiten in Schweden erworben. Die Leistungsempfängerinnen und -empfänger müssen mindestens drei Jahre in Schweden gewohnt haben, um Anspruch zu haben. Für den Anspruch auf eine volle Garantierente sind 40 Wohnjahre erforderlich. Der Anspruch ist „rentengeprüft“, das heißt Anwartschaften aus den einkommensbezogenen gesetzlichen Renten werden angerechnet. In der Rechtssache Zaniewicz-Dybeck hat der Gerichtshof entschieden, dass die in einem anderen Mitgliedstaat der EU zurückgelegten Versicherungs- und Wohnsitzzeiten bei der Berechnung der schwedischen Garantierente analog von schwedischen Zeiten zu berücksichtigen sind. Somit handelt es sich bei der steuerfinanzierten Garantierente um eine Zulage im Sinne von Artikel 58 und ist als Mindestsicherungsleistung einzustufen, auf die alle in Schweden lebenden Rentnerinnen und Rentner einen Anspruch haben. In der Folge hat die schwedische Regierung entschieden, Garantierente als einkommensgeprüfte Mindestsicherungsleistung einzustufen. Damit ist die mit Artikel 58 der Verordnung zur Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme bis dahin anzuwendende Rechtsgrundlage, diese Leistung auch EU-Bürgerinnen und -Bürger, die in einem anderen EU-/EWR-Staat wohnen, zu gewähren, entfallen. Seit 1. Januar 2023 wird die schwedische Garantierente als eine einkommensgeprüfte Mindestsicherungsleistung, für Personen, die 1938 oder später geboren sind, nicht mehr exportiert.

Finnland folgt Schweden

Mit Verweis auf Schweden hat die finnische Regierung einen Gesetzentwurf eingebracht, der vorsieht, die Portabilität der steuerfinanzierten Volksrente (Kansaneläke) zum 1. Januar 2025 abzuschaffen. Von dieser Entscheidung wären auch bereits gewährte Rentenzahlungen aus der Volksrente betroffen. Nicht betroffen sind hingegen Hinterbliebenenrenten. Ebenso wenig ist die gesetzliche einkommensbezogene Rente (Työeläke) betroffen. Hierbei handelt es sich um eine verpflichtende, einkommensbezogene Rente bismarckscher Prägung. Daneben verfügt das finnische Rentensystem über eine Grundrente (Takuueläke), die als Mindestsicherung für Ältere definiert ist, einer Einkommensanrechnung unterliegt und bereits heute nicht an andere EU- oder EWR-Staaten exportiert wird.

Und die Verlierer sind…

…in erster Linie sind dies Finnen und Schweden im jeweiligen Nachbarland. Von der schwedischen Gesetzesänderung zum ersten Januar 2023 waren 58.000 Beziehende der Garantierente im europäischen Ausland betroffen, darunter über 23.000 in Finnland lebende Rentnerinnen und Rentner. Nach Angaben der finnischen Sozialversicherungsanstalt (KELA) würde die Einstellung der Zahlungen der Volksrente ins europäische Ausland voraussichtlich 24.000 Menschen betreffen, darunter etwa 18.000 Finnen, die in Schweden leben.

Nicht unterschätzen sollte man den Einfluss auf die gelebte Freizügigkeit in Europa. Bürgerinnen und Bürger vertrauen auf eine Freizügigkeit mit einer möglichst lückenlosen, über die Landesgrenzen reichenden Absicherung. Für vergleichsweise geringe Einsparungen, KELA schätzt die jährlichen Einsparungen des finnischen Gesetzesvorschlags auf 38 Millionen Euro, nehmen die beiden skandinavischen Regierungen dies mit all seinen möglichen Folgen für die innereuropäische Mobilität in Kauf.