Ziele und Empfehlungen im Rahmen der EU-Wirtschafts- und Sozialpolitik.

DB – 11/2024

In der Studie „Financial Sustainability Above All Else? Drivers and Types of Pension Reform Recommendations in EU Socio-economic Governance“ haben die Autoren Jan Helmdag (SOFI) und Niko Väänänen (ETK) 438 Rentenreformempfehlungen untersucht, die zwischen 2011 und 2023 ausgesprochen wurden. Die Studie analysiert, wie diese Empfehlungen mit den drei Hauptzielen der Offenen Methode der Koordinierung (OMC) – finanzielle Nachhaltigkeit, Angemessenheit und Modernisierung – übereinstimmen. Die Studienergebnisse zeigen, dass ein Großteil der Empfehlungen den Fokus auf finanzielle Nachhaltigkeit legt, während soziale Aspekte oft zu kurz kommen.

Die Offene Methode der Koordinierung (OMC)

Die OMC ist ein wichtiges politisches Steuerungsinstrument der Europäischen Union (EU), das auf „Soft-Law-Mechanismen“ basiert. Dazu gehören gemeinsame Leitlinien, Indikatoren und Benchmarks sowie der Austausch bewährter Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten.

Die OMC ermöglicht es der EU, in Bereichen ohne rechtlich bindende Zuständigkeit, wie der Rentenpolitik, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten Ziele zu formulieren und die Koordinierung der nationalen Politiken zu fördern. Diese Ziele werden im Rahmen des Europäischen Semesters konkretisiert, in dem die EU-Kommission länderspezifische Empfehlungen (Country-Specific Recommendations, CSRs) ausspricht, um die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser Ziele zu unterstützen.

Im Kontext der Rentenpolitik sind die Ziele folgendermaßen definiert:


Finanzielle Nachhaltigkeit: Sicherstellung der langfristigen Finanzierbarkeit, zum Beispiel durch Anhebung des Renteneintrittsalters oder Einschränkung der Frühverrentung.


Angemessenheit der Leistungen: Vermeidung von Altersarmut und Gewährleistung eines angemessenen Lebensstandards im Alter.


Modernisierung und Geschlechtergerechtigkeit: Rentensysteme sollen flexibler auf diverse Erwerbsbiografien reagieren und geschlechtsspezifische Ungleichheiten abbauen.

Länderspezifische Empfehlungen der EU

Laut der Studie erhält fast die Hälfte der EU-Mitgliedstaaten jährlich mindestens eine Empfehlung. Andere Länder wie zum Beispiel Estland bislang keine. Die Autoren betonen, dass dies nicht automatisch auf perfekte Rentensysteme hindeutet. So weist Estland trotz fehlender Empfehlungen eines der höchsten Armutsrisiken für ältere Menschen in der EU auf. Dies deutet darauf hin, dass soziale Missstände möglicherweise nicht ausreichend durch die zugrunde liegenden Indikatoren erfasst werden.

Inhaltlicher Fokus

70 Prozent der Empfehlungen konzentrieren sich auf die finanzielle Nachhaltigkeit, etwa durch die Anhebung des Renteneintrittsalters und die Schließung von Frühverrentungsoptionen. Themen wie Geschlechtergerechtigkeit und Altersarmut werden selten angesprochen. Die Häufigkeit und Art der Empfehlungen hängen stark von Indikatoren zur Messung der finanziellen Nachhaltigkeit ab. Insbesondere die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmerinnen und -nehmer spielt hier eine zentrale Rolle.

Fazit

Die Autoren argumentieren, dass die einseitige Fokussierung auf die finanzielle Nachhaltigkeit problematisch ist, da wichtige soziale Dimensionen wie die Angemessenheit von Renten und die Weiterentwicklung der Rentensysteme vernachlässigt werden. Obwohl die Sicherstellung der finanziellen Nachhaltigkeit ein zentrales und berechtigtes Anliegen ist, argumentieren die Autoren, dass dies nicht auf Kosten sozialer Ziele geschehen darf. Sie schlagen vor, gezielte Maßnahmen zu fördern, um diese Aspekte stärker zu berücksichtigen. Dazu gehören:


Die Bekämpfung von Altersarmut: Empfehlungen zur Einführung oder Verbesserung von Grundrenten könnten Ländern mit hohen Armutsrisiken, wie Estland oder Rumänien, helfen, ein auskömmliches Rentenniveau zu erreichen.


Die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit: Die stärkere Berücksichtigung von Pflegezeiten oder Maßnahmen zur Schließung der Rentenlücke zwischen Frauen und Männern könnten einen Beitrag zu gerechteren Renten von Frauen und Männern leisten.


Die Modernisierung der Rentensysteme: Flexiblere Rentenregelungen und die Digitalisierung der Verwaltung könnten mehr Menschen in das System integrieren und den Zugang zu Leistungen erleichtern.


Ein stärkerer Fokus auf diese Dimensionen könnte nicht nur die Akzeptanz der Rentenreformen erhöhen, sondern auch die langfristige Stabilität und soziale Gerechtigkeit der Systeme sichern.