Bedeutung sozioökonomischer Faktoren für das Lebenserwartungsniveau.

VS – 12/2024

In den Vereinigten Staaten hat die Ungleichheit der Lebenserwartung zwischen den Bevölkerungsgruppen in den letzten 20 Jahren stark zugenommen. Die in der Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlichte Studie „Ten Americas“ zeigt, dass die Lebenserwartung in Abhängigkeit vom Wohnort, den wirtschaftlichen Bedingungen vor Ort oder der ethnischen Identität stark variieren kann. Diese Unterschiede waren in den USA bereits zu Beginn des 21. Jahrhunderts groß, sie haben in den letzten zwei Jahrzehnten aber weiterhin leicht zugenommen und sind infolge der Covid-19-Pandemie noch einmal erheblich angestiegen. Die Studie unterstreicht damit, wie stark sozioökonomische Bedingungen das Lebenserwartungsniveau beeinflussen können und hebt die Bedeutung von Chancengleichheit im Zugang zum Sozialschutz hervor.

Geringere Lebenserwartung trotz hoher Gesundheitsausgaben

Trotz der weltweit höchsten Gesundheitsausgaben pro Kopf – 11.000 Dollar im Jahr 2021 – bleibt die Lebenserwartung in den USA im internationalen Vergleich niedrig. Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigen, dass die Amerikanerinnen und Amerikaner jährlich weit mehr für Gesundheitsleistungen ausgeben als die deutsche Bevölkerung (5.700 Dollar). Dennoch erreichen die USA in Sachen Lebenserwartung nicht das Niveau anderer Industrieländer. 2021 lag die durchschnittliche Lebenserwartung in den USA bei 76,1 Jahren, was deutlich unter dem Wert vieler europäischer Länder wie Deutschland (80,7 Jahre) liegt.

Sozioökonomische Faktoren laut Studie entscheidend

Um die Unterschiede in der Lebenserwartung zu untersuchen, teilt die Studie die Bevölkerung der Vereinigten Staaten in zehn Kategorien ein, die auf ethnischer Zugehörigkeit, geografischen Merkmalen und sozioökonomischen Bedingungen basieren. Die vorgenommene Einteilung zeigt, dass unter anderem ein enger Zusammenhang zwischen dem Einkommen und der Lebenserwartung besteht, weist aber auch darauf hin, dass vor allem ethnische und soziale Unterschiede die Lebenserwartung bestimmen. Denn trotz eines höheren Durchschnittseinkommens lag die Lebenserwartung der mehrheitlich weißen Bevölkerung (77,2 Jahre) unter der asiatisch- (80,4 Jahre) und der lateinamerikanischabstämmigen Bevölkerung (79,4 Jahre). Die Ursachen hierfür liegen laut der Studie in unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten zu Gesundheitsdiensten, Bildung und Präventionsmaßnahmen.

Prognose der zukünftigen Lebenserwartung

Eine weitere im „The Lancet“ veröffentlichte Studie prognostiziert zudem, dass die Lebenserwartung in den USA zukünftig nur geringfügig, auf 80 Jahre, steigen wird. Grund dafür seien sozial bedingte Gesundheitsrisiken, wie Adipositas, Tabak- und Drogenkonsum sowie andere verhaltensbedingte Gesundheitsprobleme. Laut der Verfasser seien diese Risiken stark durch das soziale Umfeld geprägt und würden sich vor allem auf sozial schwächere Gruppen konzentrieren. In diesem Zusammenhang gehen die Autorinnen und Autoren davon aus, dass die Ungleichheit der Lebenserwartungen in den Vereinigten Staaten bis 2050 weiter ansteigen wird.

Schlussfolgerungen für die Sozialversicherungssysteme

Die dargelegten Studien zeigen, dass wesentliche Risiken für die Lebenserwartung beeinflussbar sind. Aus dieser Erkenntnis ergeben sich nicht nur für die Vereinigten Staaten wichtige Ableitungen, sondern auch für die Sozialversicherungssysteme in Europa.

Die Förderung von Chancengleichheit, besserer Zugang zu Gesundheitsleistungen sowie Prävention, Rehabilitationsmaßnahmen und Informationen für einen gesünderen Lebensstil sind nicht nur wichtig, sondern eine zentrale Voraussetzung dafür, dass sich die Menschen länger aktiv im Erwerbsleben und in die Gesellschaft einbringen können.