Gesetzliche Krankenkassen fordern Beibehaltung der flexiblen Vergabeverfahren.

CC – 07/2025

Mit dem am 11. März vorgelegten Verordnungsvorschlag zu kritischen Arzneimitteln (CMA) will die Europäische Kommission die Versorgung mit kritischen Arzneimitteln sichern und geopolitische Abhängigkeiten in der Arzneimittelproduktion und -versorgung verringern. Anfang Juli gab es erste Einblicke in die Haltung der Mitgliedstaaten und der EU-Abgeordneten: Sowohl im EPSCO-Rat als auch im Ausschuss für öffentliche Gesundheit (SANT) wurden erste Positionen diskutiert.

Zentrale Diskussionspunkte

Im Mittelpunkt der Debatten standen Fragen der Finanzierung, der öffentlichen Auftragsvergabe, der gemeinsamen Beschaffung sowie der strategischen Bevorratung. Während einigen die Vorschläge der Kommission zu weit gehen – etwa Deutschland bei den vorgesehenen Beschaffungsformen oder Italien hinsichtlich der MEAT-Kriterien – reichen die vorgesehenen Regelungen anderen nicht aus. So kritisierte der Berichterstatter Tomislav Sokol (EVP, Kroatien) insbesondere die Regelungen zur Bevorratung als unzureichend. Einigkeit bestand jedoch darin, dass die vorgesehene EU-Finanzierung nicht ausreicht; dies wurde gleichermaßen von Mitgliedstaaten und Abgeordneten betont.

DSV positioniert sich

Die Deutsche Sozialversicherung (DSV) hat im Juli ihre Stellungnahme zum Vorschlag veröffentlicht und nimmt dabei insbesondere zu den genannten Konfliktlinien Stellung. In Deutschland schließen die gesetzlichen Krankenkassen als Hauptkostenträger mit pharmazeutischen Unternehmen Rabattverträge ab, finanzieren die Versorgung von über 75 Millionen gesetzlich Versicherten und sichern so das Funktionieren des solidarischen Gesundheitssystems. Sie sind daher unmittelbar von den Regelungsvorschlägen des CMA betroffen. Wie genau zeigt ein Blick auf die Vergabeverfahren:

Die Vergabeverfahren

Die Europäische Kommission plant in ihrem Entwurf, dass öffentliche Auftraggeber bei Ausschreibungen bestimmter Arzneimittel den Auftrag nicht mehr allein nach dem niedrigsten Preis vergeben müssen. Stattdessen sollen zusätzliche Kriterien, die zur Versorgungssicherheit beitragen, angewendet werden können, etwa Bevorratungspflichten, die Diversifizierung durch mehrere Lieferanten, die Überwachung der Lieferketten oder auch die Begünstigung der Produktion in der EU (MEAT-Kriterien). Sandra Gallina, Generaldirektorin der DG SANTE, kündigte dazu im SANT-Ausschuss an, dass die Europäische Kommission „Public Procurement Leitlinien“ erarbeite. Zudem soll mit dem Verordnungsentwurf erstmals eine Rechtsgrundlage geschaffen werden, um bei der Vergabe öffentlicher Aufträge der EU-Produktion oder einer Produktion, die der EU-Produktion gleichwertig ist, den Vorzug zu geben.

Die Rolle der Krankenkassen

Um steigende Arzneimittelausgaben einzudämmen, schließen in Deutschland Krankenkassen mit pharmazeutischen Unternehmen Rabattverträge ab. Die Hersteller verpflichten sich darin, rabattierte Arzneimittel zu liefern, wenn diese von Apotheken an Versicherte abgegeben werden. Im Gegenzug erhalten sie einen bevorzugten Marktzugang durch den sogenannten Abgabevorrang. Die konkreten Nachlässe sind nicht öffentlich. Ziel der Rabattverträge ist, die Krankenkassenbeiträge trotz stark steigender Gesundheitskosten möglichst lange stabil zu halten.

EU-Produktion und Umweltkriterien bereits jetzt schon genutzt und umgesetzt

Das EU-Vergaberecht sieht bereits jetzt Gestaltungsmöglichkeiten für öffentliche Auftraggeber vor, neben dem Preis auch andere Beschaffungsanforderungen zugrunde zu legen. Von dieser Möglichkeit hat auch Deutschland Gebrauch gemacht. So gibt es sozialgesetzliche Regelungen, die die Krankenkassen verpflichten, bei Rabattverträgen bestimmte Arzneimittel auch aus europäischer Produktion zu beziehen. Laut des Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes, kurz ALBVVG, müssen Krankenkassen im Vergabeverfahren für Arzneimittelrabattverträge bei Antibiotika mindestens einen Zuschlag für Hersteller mit europäischer Wirkstoffproduktion vorsehen.


Und nicht nur die EU-Produktion, sondern auch andere Kriterien können in Deutschland angewandt werden. Die Ersatzkassen haben zum Beispiel Ende Mai zum ersten Mal eine Rabattvertragsausschreibung mit Umweltfokus veröffentlicht. Die Ausschreibung umfasst 14 umweltrelevante Wirkstoffe sowie -kombinationen. Darunter sind Antibiotika und Wirkstoffe, die vom Umweltbundesamt als sogenannte Spurenstoffe geführt werden oder in der Kommunalen Abwasserrichtlinie (KARL) gelistet sind. 

Flexibilität in Vergabeverfahren bewahren

Die DSV spricht sich daher nachdrücklich dafür aus, dass die Vergabe nach Most-Economically-Advantageous-Tender-(MEAT)-Kriterien eine Option, aber keine Verpflichtung sein sollte. Wie bereits in Deutschland können zusätzliche Kriterien genutzt werden. Denn verpflichtende Vorgaben für zusätzliche Vergabekriterien, etwa zur Produktionslokalisierung oder Versorgungssicherheit, erhöhen den bürokratischen Aufwand erheblich. Jede Anforderung müsste einzeln geprüft, dokumentiert und überwacht werden. Zudem führen solche Kriterien häufig zu höheren Kosten, da Anbieter mit EU-Produktion, Lagerhaltung oder detaillierten Lieferkettennachweisen meist nicht das günstigste Preisangebot machen können. Eine Verpflichtung könnte dazu führen, dass sich weniger Hersteller beteiligen, was den Wettbewerb einschränkt und die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung unnötig erhöht.


Die deutschen gesetzlichen Krankenkassen setzen sich für eine stabile Versorgung der Versicherten und wirtschaftliche Lösungen ein. Sie nutzen schon heute gezielt Instrumente wie Rabattverträge oder schreiben Kriterien wie EU-Produktion oder Umweltkriterien aus. Um diese Spielräume weiter nutzen zu können, brauchen sie klare und eindeutige Anwendungsregeln, um das rechtliche Risiko für öffentliche Auftraggeber während der Umsetzung zu minimieren, aber keine zusätzlichen Pflichten.