©peterschreiber.media - stock.adobe.comCritical Medicines Act (CMA)
Gesetzliche Krankenkassen fordern Beibehaltung der flexiblen Vergabeverfahren.
CC – 07/2025
Mit dem am 11. März vorgelegten Verordnungsvorschlag zu kritischen Arzneimitteln (CMA) will die
Europäische Kommission die Versorgung mit kritischen Arzneimitteln sichern und
geopolitische Abhängigkeiten in der Arzneimittelproduktion und -versorgung
verringern. Anfang Juli gab es erste Einblicke in die Haltung der
Mitgliedstaaten und der EU-Abgeordneten: Sowohl im EPSCO-Rat als auch im Ausschuss
für öffentliche Gesundheit (SANT) wurden erste Positionen diskutiert.
Zentrale Diskussionspunkte
Im Mittelpunkt der Debatten standen Fragen der Finanzierung,
der öffentlichen Auftragsvergabe, der gemeinsamen Beschaffung sowie der
strategischen Bevorratung. Während einigen die Vorschläge der Kommission zu
weit gehen – etwa Deutschland bei den vorgesehenen Beschaffungsformen oder
Italien hinsichtlich der MEAT-Kriterien – reichen die vorgesehenen Regelungen anderen
nicht aus. So kritisierte der Berichterstatter Tomislav Sokol (EVP, Kroatien)
insbesondere die Regelungen zur Bevorratung als unzureichend. Einigkeit bestand
jedoch darin, dass die vorgesehene EU-Finanzierung nicht ausreicht; dies wurde
gleichermaßen von Mitgliedstaaten und Abgeordneten betont.
DSV positioniert sich
Die Deutsche Sozialversicherung (DSV) hat im Juli ihre Stellungnahme zum Vorschlag veröffentlicht und nimmt dabei insbesondere zu den genannten
Konfliktlinien Stellung. In Deutschland schließen die gesetzlichen
Krankenkassen als Hauptkostenträger mit pharmazeutischen Unternehmen
Rabattverträge ab, finanzieren die Versorgung von über 75 Millionen gesetzlich
Versicherten und sichern so das Funktionieren des solidarischen Gesundheitssystems.
Sie sind daher unmittelbar von den Regelungsvorschlägen des CMA betroffen. Wie
genau zeigt ein Blick auf die Vergabeverfahren:
Die Vergabeverfahren
Die Europäische Kommission plant in ihrem Entwurf, dass
öffentliche Auftraggeber bei Ausschreibungen bestimmter Arzneimittel den
Auftrag nicht mehr allein nach dem niedrigsten Preis vergeben müssen.
Stattdessen sollen zusätzliche Kriterien, die zur Versorgungssicherheit
beitragen, angewendet werden können, etwa Bevorratungspflichten, die
Diversifizierung durch mehrere Lieferanten, die Überwachung der Lieferketten
oder auch die Begünstigung der Produktion in der EU (MEAT-Kriterien). Sandra
Gallina, Generaldirektorin der DG SANTE, kündigte dazu im SANT-Ausschuss an,
dass die Europäische Kommission „Public Procurement Leitlinien“ erarbeite. Zudem soll mit dem Verordnungsentwurf erstmals eine
Rechtsgrundlage geschaffen werden, um bei der Vergabe öffentlicher Aufträge der
EU-Produktion oder einer Produktion, die der EU-Produktion gleichwertig ist,
den Vorzug zu geben.
Die Rolle der Krankenkassen
Um steigende Arzneimittelausgaben einzudämmen, schließen in
Deutschland Krankenkassen mit pharmazeutischen Unternehmen Rabattverträge ab.
Die Hersteller verpflichten sich darin, rabattierte Arzneimittel zu liefern,
wenn diese von Apotheken an Versicherte abgegeben werden. Im Gegenzug erhalten sie einen bevorzugten Marktzugang durch
den sogenannten Abgabevorrang. Die konkreten Nachlässe sind nicht öffentlich.
Ziel der Rabattverträge ist, die Krankenkassenbeiträge trotz stark steigender
Gesundheitskosten möglichst lange stabil zu halten.
EU-Produktion und Umweltkriterien bereits jetzt schon genutzt und umgesetzt
Das EU-Vergaberecht sieht bereits jetzt
Gestaltungsmöglichkeiten für öffentliche Auftraggeber vor, neben dem Preis auch
andere Beschaffungsanforderungen zugrunde zu legen. Von dieser Möglichkeit hat
auch Deutschland Gebrauch gemacht. So gibt es sozialgesetzliche Regelungen, die
die Krankenkassen verpflichten, bei Rabattverträgen bestimmte Arzneimittel auch
aus europäischer Produktion zu beziehen. Laut des
Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes,
kurz ALBVVG, müssen Krankenkassen im Vergabeverfahren für
Arzneimittelrabattverträge bei Antibiotika mindestens einen Zuschlag für
Hersteller mit europäischer Wirkstoffproduktion vorsehen.
Und nicht nur die EU-Produktion, sondern auch andere
Kriterien können in Deutschland angewandt werden. Die Ersatzkassen haben zum
Beispiel Ende Mai zum ersten Mal eine Rabattvertragsausschreibung mit
Umweltfokus veröffentlicht.
Die Ausschreibung umfasst 14 umweltrelevante Wirkstoffe sowie -kombinationen.
Darunter sind Antibiotika und Wirkstoffe, die vom Umweltbundesamt als
sogenannte Spurenstoffe geführt werden oder in der Kommunalen
Abwasserrichtlinie (KARL) gelistet sind.
Flexibilität in Vergabeverfahren bewahren
Die DSV spricht sich daher nachdrücklich dafür aus, dass die
Vergabe nach Most-Economically-Advantageous-Tender-(MEAT)-Kriterien eine Option,
aber keine Verpflichtung sein sollte. Wie bereits in Deutschland können
zusätzliche Kriterien genutzt werden. Denn verpflichtende Vorgaben für
zusätzliche Vergabekriterien, etwa zur Produktionslokalisierung oder
Versorgungssicherheit, erhöhen den bürokratischen Aufwand erheblich. Jede
Anforderung müsste einzeln geprüft, dokumentiert und überwacht werden. Zudem führen
solche Kriterien häufig zu höheren Kosten, da Anbieter mit EU-Produktion,
Lagerhaltung oder detaillierten Lieferkettennachweisen meist nicht das
günstigste Preisangebot machen können. Eine Verpflichtung könnte dazu führen,
dass sich weniger Hersteller beteiligen, was den Wettbewerb einschränkt und die
Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung unnötig erhöht.
Die deutschen
gesetzlichen Krankenkassen setzen sich für eine stabile Versorgung der Versicherten
und wirtschaftliche Lösungen ein. Sie nutzen schon heute gezielt Instrumente
wie Rabattverträge oder schreiben Kriterien wie EU-Produktion oder
Umweltkriterien aus. Um diese Spielräume weiter nutzen zu können, brauchen sie klare
und eindeutige Anwendungsregeln, um das rechtliche Risiko für öffentliche
Auftraggeber während der Umsetzung zu minimieren, aber keine zusätzlichen
Pflichten.