Eurofound-Studie stellt keine Verdrängung von Tarifverhandlungen fest.

VS – 07/2025

Vor dem Hintergrund der im Oktober 2022 verabschiedeten EU-Mindestlohnrichtlinie hat Eurofound in einer aktuellen Studie untersucht, wie sich nationale Mindestlöhne auf Tarifverhandlungen und Lohngefüge auswirken. Die Ergebnisse zeigen, dass die Festlegung von Lohnuntergrenzen die Tarifverhandlungen nicht schwächt – im Gegenteil: Mindestlöhne wirken sich positiv auf das gesamte Lohngefüge aus und stärken damit die Beitragsbasis der Sozialversicherung.

Hintergrund zur Mindestlohnrichtlinie

Die Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union zielt darauf ab, faire gesetzliche Lohnuntergrenzen sicherzustellen, Tarifverhandlungen zu fördern und den effektiven Zugang der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu diesem Schutz zu verbessern. Die Umsetzungsfrist in nationales Recht endete im November 2024.

Seit ihrer Verabschiedung hat die Richtlinie die Entwicklungen bei der Festlegung nationaler gesetzlicher Mindestlöhne beeinflusst. Dabei sind in vielen Mitgliedstaaten die nationalen gesetzlichen Mindestlöhne im Verhältnis zu den tatsächlichen Löhnen deutlich gestiegen. Darüber hinaus hat der in der Richtlinie formulierte Richtwert für eine angemessene tarifvertragliche Abdeckung von mindestens 80 Prozent die Diskussionen über die Reform der Tarifverhandlungen in einigen Ländern geprägt.

Empirische Grundlagen der Studie

Um zu untersuchen, wie sich die Mindestlohnrichtlinie auf die nationalen Tarifverhandlungen ausgewirkt hat, stützt sich die quantitative Analyse der Studie unter anderem auf die Eurofound-Datenbank zu Mindestlöhnen sowie auf Statistiken der Europäischen Union zu Einkommen und Lebensbedingungen.

Für sechs Mitgliedstaaten, in denen sich die Tarifbindung und Mindestlohnfestsetzung stark unterscheidet (darunter Deutschland), wurden die beiden Branchen Pflege und Lebensmittelindustrie anhand qualitativer Fallstudien detailliert untersucht. Diese Studien erlauben Rückschlüsse auf die Auswirkungen der Mindestlohnrichtlinie, weil sie reale nationale Reformprozesse und Reaktionen der Tarifpartner abbilden. Diese zeigen exemplarisch, wie gesetzliche Mindestlöhne und Tarifverhandlungen künftig zusammenspielen könnten.

Keine Verdrängung von Tarifverhandlungen

Nach Artikel 4 der Mindestlohnrichtlinie sind die nationalen Regierungen verpflichtet, Tarifverhandlungen aktiv zu fördern. Dahinter steht die Sorge, dass gesetzliche Mindestlöhne den Verhandlungsspielraum der Sozialpartner einschränken könnten.

Die Ergebnisse der Eurofound-Studie zeigen jedoch, dass diese Befürchtung weitgehend unbegründet ist. Im Gegenteil: Höhere nationale Mindestlöhne behindern Tarifverhandlungen nicht – sie stärken sie und tragen so dazu bei, die tarifvertraglich vereinbarten Lohnuntergrenzen in Niedriglohnsektoren anzuheben. Zudem steigt bei einer Erhöhung der nationalen Mindestlöhne die Wahrscheinlichkeit, dass Tarifverträge verlängert werden. In manchen Branchen kommt es allerdings zu einer Verlagerung der Verhandlungen über Grundlöhne hin zu Prämien und Zulagen, die oft auf Unternehmensebene ausgehandelt werden.

Eine Ausnahme bilden jedoch erwartungsgemäß Länder mit schwachen Tarifverhandlungsinstitutionen und geringer Tarifbindung. In diesen Ländern wird der Niedriglohnbereich durch den Mindestlohn bestimmt. Im Bericht wird daher hervorgehoben, dass diese Länder größere Anstrengungen unternehmen müssen, um Sozialpartner und Tarifverhandlungen zu unterstützen. Wie in der Richtlinie gefordert gehören hierzu die Schaffung eines angemessenen Rechtsrahmens für Tarifverhandlungen sowie die Stärkung der Sozialpartner.

Stärkung der Beitragsbasis für die Sozialversicherung

Die Analysen belegen, dass sich höhere Mindestlöhne mittelfristig auf das gesamte Lohngefüge auswirken. Für die Sozialversicherung bedeutet dies, dass eine Erhöhung des Mindestlohns nicht nur zu höheren Sozialversicherungsbeiträgen von Beschäftigten im Niedriglohnbereich führt, sondern auch die Beitragsbasis insgesamt gestärkt wird.